Amokläufe:"Ohne Waffen gäbe es noch mehr Verbrechen"

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Ein Argument wird von der mächtigen Waffenlobby, der National Rifle Association (NRA), besonders gern verwendet. Nach dem Newtown-Massaker forderte Wayne LaPierre von der NRA, Schulen und Universitäten aufzurüsten - und es Lehrern wie Studenten zu erlauben, ihre Waffen auf dem Campus zu tragen. Sein Argument ("Der Einzige, der einen bösen Kerl mit einer Pistole stoppen kann, ist ein guter Kerl mit einer Pistole") klingt absurd angesichts der aktuellen Zahlen: Allein in diesem Jahr sind 9948 Amerikaner durch Waffengewalt getötet worden.

Mit schöner Regelmäßigkeit fordern gerade konservative Politiker mehr Waffen im öffentlichen Raum: Eine Republikanerin aus Nevada ist überzeugt, dass es weniger Vergewaltigungen an den Unis geben würden, wenn die "jungen, heißen Mädchen eine Pistole" bei sich hätten. Und in Städten wie Houston sammeln Aktivisten Spenden, um Schrotflinten an Frauen aus Problemvierteln zu verteilen, damit diese Verbrecher abwehren können (Details in diesem SZ.de-Text).

"Die Regierung plant, uns die Waffen wegzunehmen"

Essenziell für das besondere Verhältnis der Amerikaner zu Waffen ist das Second Amendment, also der zweite Verfassungszusatz. "Da eine wohlgeordnete Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden." Dieser Satz wird von überzeugten Waffenbesitzern einerseits als Beweis dafür angebracht, dass Washington keine Beschränkungen erlassen darf, ohne die Verfassung zu verletzen.

Andererseits wird der Satz aus dem Jahr 1791 von geschichtsbewussten Amerikanern im Wortsinne verstanden: Der Waffenbesitz des Einzelnen ist die beste Absicherung gegen einen "tyrannischen" Zentralstaat. Ein nationales Waffenregister, in dem alle Besitzer - und deren Vorstrafen und psychische Probleme - aufgeführt sind, ist aus dieser Sicht nicht hinnehmbar. "In Washington soll niemand wissen, wer eine Waffe besitzt" - dieses Argument ist sogar von schwulen Obama-Wählern in Colorado zu hören, die ihrem Präsidenten nur beim Thema guns nicht folgen.

"Kriminelle werden sich sowieso nicht durch strengere Gesetze abhalten lassen"

Auch wenn dieser Satz in den USA oft zu hören ist, fällt es schwer, ihn als "Argument" zu bezeichnen. Denn mit der gleichen Begründung wären ja viele Gesetze und Verbote widersinnig: Warum stehen Raubüberfälle, Mord oder Versicherungsbetrug unter Strafe, wenn es Verbrecher gibt, die sich davon nicht beeindrucken lassen?

Eng damit verknüpft ist folgende Argumentation: Demnach gibt es neben den "bösen" Kriminellen natürlich "gute" und verantwortungsvolle Waffenbesitzer, die ihre Pistole oder ihr Gewehr nur zur Selbstverteidigung oder als Sportgerät nutzen und sie ansonsten sicher verwahren. Das Risiko, dass diese trotzdem in die falschen Hände (etwa von Kindern) geraten oder gestohlen werden können, wird ausgeblendet. Die persönliche Überzeugung oder das eigene Schutzbedürfnis wird also über die Sicherheit der Gesellschaft gestellt - denn der Vergleich mit anderen Industrieländern zeigt: Je weniger Waffen in einem Land in Umlauf sind, umso weniger Menschen werden tödlich verwundet.

Wie es nun weiter geht

Bis Anfang 2017, wenn Obamas Nachfolger fürs Weiße Haus antritt und die Mehrheiten im Kongress fest stehen, wird sich substanziell nichts verändern. Die Republikaner dominieren beide Kammern und für Amerikas Konservative ist es ein Muss, sich, wie Präsidentschaftsbewerber Ted Cruz, als Waffennarr zu präsentieren. Er fertigt seinen Frühstücksspeck angeblich mit einem Maschinengewehr an.

Unter den demokratischen Präsidentschaftsbewerbern dürfte das Thema stärker diskutiert werden - etwa in der ersten TV-Debatte am 13. Oktober. Denn während Hillary Clinton sich seit Wochen - und auch direkt nach dem Roseburg-Massaker via Twitter - für strengere Waffengesetze ausspricht, ist ihr schärfster Konkurrent Bernie Sanders hier eher in der Defensive.

Auf seiner Facebook-Seite und in einem Interview mit MSNBC warb Sanders nach dem Roseburg-Massaker für strengere Gesetze und für ein Verbot von halbautomatischen Waffen in Privatbesitz. Doch dies sind eher neue Töne: Sanders mag sich zwar selbst als Sozialist bezeichnen und deutlich progressivere Positionen vertreten als Hillary Clinton - als unabhängiger Abgeordneter und Senator stimmte er mehrmals gegen strengere Waffengesetze. Nach dem Amoklauf in Newtown hatte er 2012 noch gesagt: "Ich bin überzeugt, dass die striktesten Regeln solche Tragödien nicht verhindern können".

Die Erklärung für Sanders' damaliges Verhalten ist simpel und zeigt, dass die Waffendebatte quer durch die US-Gesellschaft geht und sich nicht nach Parteien aufteilen lässt: In der Hauptstadt Montpelier seines Heimatstaats Vermont gibt es zwar keine einzige McDonald's-Filiale, doch die Waffengesetze sind extrem locker. Und die Interessen der heimischen Wähler sind Senator Sanders eben sehr wichtig.

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