Mythos Bernsteinzimmer:Das rettende Versteck

Trotz Todesurteils eines polnischen Gerichts wurde NS-Gauleiter Erich Koch, einer der größten Sadisten der SS, nie hingerichtet. Seine Lebensversicherung: das legendäre Bernsteinzimmer.

Thomas Urban

Gauleiter Erich Koch galt als einer der größten Sadisten in der SS-Führung. Im besetzten Polen und der Ukraine war er für den Tod Hunderttausender verantwortlich.

Mythos Bernsteinzimmer: Touristen besichtigen die Kopie des Bernsteinzimmers, die in jahrelanger Kleinarbeit nachgebaut wurde

Touristen besichtigen die Kopie des Bernsteinzimmers, die in jahrelanger Kleinarbeit nachgebaut wurde

(Foto: Foto: AP)

Folglich verurteilte ihn ein polnisches Gericht 1959 zum Tode. Er hatte sich nach dem Krieg zunächst unter falschem Namen in der britischen Zone in Westdeutschland versteckt, war dann aber entdeckt und an Polen ausgeliefert worden.

Das Todesurteil wurde indes nie vollstreckt, Koch starb 1986 im Alter von 90 Jahren im polnischen Gefängnis Barczewo (Wartenburg) in Masuren eines natürlichen Todes.

Der Grund ist seit langem bekannt: Der polnische Geheimdienst SB und der sowjetische KGB hofften, von Koch Informationen über den Verbleib des legendären Bernsteinzimmers zu erhalten.

Nun wurden im Warschauer Institut für das Nationale Gedächtnis (IPN), das die Akten aus der kommunistischen Zeit verwaltet und auswertet, Dokumente dazu entdeckt.

Die Spuren des Bernsteinzimmers hatten sich im Frühjahr 1945 in der ostpreußischen Metropole Königsberg verloren, die später in Kaliningrad umbenannt wurde. Ursprünglich war es im Auftrag des Preußenkönigs Friedrich I. angefertigt worden, dieser hatte es 1716 Zar Peter dem Großen geschenkt.

Im Zweiten Weltkrieg montierten die deutschen Besatzer die Bernsteinmosaike in der Zarenresidenz Zarskoje Selo ab und brachten sie nach Königsberg, wo sie vorübergehend ausgestellt wurden.

Als sich die Rote Armee Ostpreußen näherte, wurden sie in große Kisten verpackt und sind seitdem verschollen. In Dutzenden von Orten wurde nach dem Bernsteinzimmer gesucht, auch in der früheren DDR und in Polen.

Der umhegte Nazi schwieg - wenn er denn was wusste

Um einen Eindruck von der Pracht des Zimmers zu vermitteln, entstand in Zarskoje Selo in jahrelanger Kleinarbeit eine Kopie, 2003 stellte sie Kremlchef Wladimir Putin der Öffentlichkeit vor.

Mythos Bernsteinzimmer: Entging der Todesstrafe mit vagen Andeutungen zum Verbleib des Bernsteinzimmers: Erich Koch. Hier eine Aufnahme aus seiner Zeit als Gauleiter

Entging der Todesstrafe mit vagen Andeutungen zum Verbleib des Bernsteinzimmers: Erich Koch. Hier eine Aufnahme aus seiner Zeit als Gauleiter

(Foto: Foto: Bundesarchiv)

Koch war in den letzten Kriegswochen für die Evakuierung Ostpreußens verantwortlich, also nahmen die Geheimdienste Warschaus und Moskaus an, dass er auch das Versteck kannte.

Er wurde im Gefängnis ständig von Ärzten betreut, das Essen war gut, er bekam sogar deutsche Presse und Bücher. Der KGB schickte ihm den deutschstämmigen Ethnologen Dmitrij Olderogge, der in Berlin studiert hatte.

Wie aus den SB-Akten hervorgeht, trug Olderogge unter der Kleidung Mikrofone. Doch Koch sei misstrauisch geblieben.

Er habe nur angedeutet, dass die Kisten in einen Königsberger Bunker gebracht worden seien. Dort befänden sich auch Bilder aus seiner persönlichen Sammlung, darunter das einzige zeitgenössische Porträt des Königsberger Philosophen Immanuel Kant.

Mit solch vagen Informationen gelang es ihm, das Interesse an seinem Wohlergehen wachzuhalten.

Den SB-Akten zufolge hat Koch SB und KGB auch vorgeschlagen, für ihn eine Reise nach Königsberg zu organisieren. Dort würde ihm vielleicht eher einfallen, wo genau das Bernsteinzimmer versteckt sei.

Die Dokumente belegen überdies, dass sich offenbar auch andere Geheimdienste für Koch interessierten. Jedenfalls hätten Wächter des Gefängnisses zu Protokoll gegeben, dass ihnen Unbekannte viel Geld geboten hätten, wenn sie Koch in seiner Zelle besuchen dürften.

Der SB konnte jedoch nie aufklären, ob diese Geschichte stimmte und wenn ja, wer dahinter steckte. Koch nahm das Geheimnis, wenn er es denn überhaupt kannte, mit ins Grab. Er hatte begriffen, dass es für ihn eine Art Lebensversicherung war.

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