Süddeutsche Zeitung

Mysteriöser "Regenschirmmord" aufgeklärt:Gift direkt vom Diktator

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Es war ein Mord wie aus einem Spionagefilm. Nun ist der "Regenschirmmord" von 1978 an einem bulgarischen Regimekritiker in London aufgeklärt.

Klaus Brill

Es war ein Mord wie aus dem Spionagefilm, und weil zum Zeitpunkt des Ereignisses, am 7. September 1978, zwischen Ost und West in Europa noch der Kalte Krieg herrschte, war die Realität der Fiktion sogar ein Stück voraus. Georgi Markow, ein regimekritischer Autor und Emigrant aus Bulgarien, der in London für die BBC arbeitete, stand an jenem lausigen Septembertag an der Waterloo Bridge an einer Haltestelle und wartete auf den Bus.

Plötzlich spürte er in der rechten Wade einen stechenden Schmerz und sah einen Mann mit einem Regenschirm vorüberhasten. Der Fremde murmelte ein paar Worte der Entschuldigung und fuhr mit dem Taxi davon. Markow maß dem Vorfall keine Bedeutung bei, doch Stunden später bekam er Fieber, sein Blutdruck fiel ab, und nach drei Tagen war er tot. Die Ärzte fanden in der Wade eine winzige Kapsel aus Platin und Iridium, die das Gift Rizin verströmt hatte. Der 49-jährige Journalist war das Opfer eines der mysteriösesten Attentate der Nachkriegszeit geworden.

Der 7. September war der Geburtstag des kommunistischen bulgarischen Partei- und Staatschefs Todor Schiwkow, der wurde damals 67 Jahre alt. Doch aus diesem Umstand auf den Urheber des Mordkomplotts zu schließen, erschien wohl zu verwegen. Und doch ist es genau so gewesen, wie jetzt der frühere Generalmajor des sowjetischen Geheimdienstes KGB, Oleg Kalugin, im bulgarischen Sender Radio Darik enthüllte. Demnach ging der Anschlag direkt auf einen Befehl Todor Schiwkows zurück, der vom Journalisten Markow mit satirischen Bemerkungen auch persönlich angegriffen worden war.

Kapsel aus KGB-Geheimlabor

"Er bat seine russischen Freunde um technische Unterstützung", sagte Ex-General Kalugin, der einst Chef der sowjetischen Spionageabwehr war und inzwischen in den USA lebt. Der damalige sowjetische Parteichef Jurij Andropow habe gezögert und angeordnet, der KGB dürfe nur technische Hilfe leisten. So wurden laut Kalugin aus einem KGB-Geheimlabor, das immer noch bestehe, das Gift und die Kapsel besorgt. "Heute ist dieses Labor viel ausgeklügelter, und viele Leute in Russland sind an Vergiftung gestorben", sagte der Experte. "Ich spreche von russischen politischen Dissidenten."

Diese Auskunft wirft neuerlich ein bizarres Schlaglicht auf Todor Schiwkow und den bulgarischen Geheimdienst. Schiwkow galt als Hardliner, nach neueren Forschungen war er es auch, der 1968 als Erster beim Kremlchef Leonid Breschnew darauf drang, mit Panzern den Prager Frühling zu beenden, ehe die Forderung nach Demokratisierung in andere Ostblock-Staaten überschwappe. Immer noch steht auch die Frage im Raum, ob der bulgarische Geheimdienst hinter dem Pistolenattentat stand, das 1981 auf dem Petersplatz in Rom der türkische Extremist Mehmet Ali Agca auf den damaligen Papst Johannes Paul II. verübte.

Die Aufklärung solch spektakulärer Untaten lässt im heutigen Bulgarien durchaus zu wünschen übrig. Als eines der letzten Länder des früheren kommunistischen Blocks setzte es erst 2006 unter dem Druck des EU-Beitritts ein Gremium ein, das systematisch die Akten des früheren Geheimdienstes ("Darschawna Sigurnost") auswertet. Und siehe da: Hunderte Beamte und heutige Politiker waren als Mitarbeiter der bulgarischen Stasi vermerkt, unter ihnen Staatspräsident Georgi Parwanow und Ahmed Dogan als Wortführer der türkischen Minderheit, einer der Chefs der regierenden Dreier-Koalition. Konsequenzen hatte das nicht.

Im Fall Georgi Markow setzte gleich nach der Wende von 1989 eine große Vertuschungsaktion ein. 1992 kam der einstige Geheimdienstchef Wladimir Todorow wegen der Vernichtung von Akten ins Gefängnis, der ebenfalls verdächtigte frühere stellvertretende Innenminister Stojan Sawow beging Selbstmord. Dafür hat sich jetzt, nach 30 langen Jahren, die britische Kriminalpolizei der Sache erneut intensiv angenommen.

Im Mai reisten Ermittler von Scotland Yard nach Sofia und vernahmen dort 40 Zeugen, womöglich ist von ihnen bald mehr zu erfahren. Als Attentäter ist in britischen Presseberichten schon vor einiger Zeit ein Däne italienischer Herkunft namens Francesco Guillino identifiziert worden. Er war Agent des bulgarischen Geheimdienstes und soll an jenem 7. September 1978 mit einer am Schirm befestigten Kleinwaffe das Gift in Georgi Markows Wade befördert haben.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2008/lala
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