Süddeutsche Zeitung

Myanmar:Revolte im Pagodenland

Im Westen des südostasiatischen Staates weitet sich der bewaffnete Konflikt zwischen Rebellen und Armee aus, und offenbar hat er schon Zehntausende Menschen vertrieben.

Von Arne Perras, Singapur

Die Tempelstadt Mrauk-U im äußersten Westen Myanmars könnte ein Touristenmagnet sein. Auf den Hügeln ragen früh morgens malerische Pagoden aus dem Nebel, die Ruinen erzählen von einem längst versunkenen buddhistischen Königreich. Mrauk-U, nicht weit von den Ufern des Indischen Ozeans, ist bedeutsam genug, um als Weltkulturerbe anerkannt zu werden. Und doch ist es nicht wahrscheinlich, dass dies bald geschieht. Denn das Gebiet Rakhine im äußersten Westen Myanmars findet keinen Frieden. Und vor wenigen Tagen rückten die Gefechte gefährlich nahe an die Ruinenstadt heran.

Ende August überfielen Rebellen der Arakan Army (AA) im frühen Morgengrauen einen Armeeposten außerhalb von Mrauk-U, wie das Newsportal The Irrawaddy berichtete, angeblich starben dabei fast drei Dutzend Soldaten, vom Militär gab es dafür keine Bestätigung. Doch es häufen sich Berichte über eine Zunahme der Gewalt, die Armee setzt dabei offenbar auch Kampfhubschrauber gegen die Aufständischen ein, in deren Reihen viele Frauen kämpfen.

Es gibt wenige Jobs, deshalb lassen sich auch viele junge Frauen für die Rebellenarmee rekrutieren

Viele von ihnen sind kaum älter als 20 Jahre alt. Experten werten dies als Indiz für die wachsende Armut und Verzweiflung in Rakhine, wo es nur wenig Jobs gibt, so lassen sich nicht nur junge Männer, sondern zunehmend auch Frauen für die Arakan Army rekrutieren. Schon im Frühjahr waren Videos von Trainingscamps im Norden Myanmars aufgetaucht. Dort gibt es weitere Rebellengruppen, die schon seit Jahrzehnten gegen den Zentralstaat kämpfen und sich mit der deutlich jüngeren AA verbündet haben. "Ich habe gelernt, dass eine bewaffnete Revolution unvermeidbar ist, um die Nation Rakhine zu schaffen", sagte eine der Kämpferinnen in einem Interview, das ein Radiosender im Norden führte. Es ist die Kampfansage einer separatistischen Gruppe, die der Armee in Rakhine immer stärker zusetzt.

Belastbare Informationen über den genauen Verlauf des Krieges sind schwer zu ermitteln, es ist ein Konflikt, der sich den Augen der Außenwelt weitgehend entzieht, weil die Armee die Region komplett abriegelt. Lokale Quellen sprechen inzwischen von Zehntausenden Vertriebenen. Und die Kämpfe zwischen dem myanmarischen Militär und den Rebellen der Arakan Army dürften Folgen haben, die weit über das entlegene Gebiet hinausreichen: Die Kämpfe konzentrieren sich in derselben Krisenzone, aus der vor zwei Jahren Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit vertreiben wurden. Sie nennen sich Rohingya, Myanmar verweigert ihnen die Staatsbürgerrechte. Die Vereinten Nationen wollen ihnen dennoch einen Weg zurück in die Heimat ebnen.

Doch die muslimischen Flüchtlinge verlangen Sicherheitsgarantien und Staatsbürgerrechte, die Lage ist seit 2017 sehr kompliziert. Doch nun forciert die Arakan Army ihren Kampf. Dieser Konflikt überlagert zunehmend die Rohingya-Krise und macht es noch unwahrscheinlicher, dass die vor allem nach Bangladesch Geflohenen bald eine Chance bekommen zurückzukehren. Sie müssen fürchten, dort sehr schnell zwischen die Fronten zu geraten.

Die buddhistischen Rakhine fühlen sich von den Birmanen unterdrückt

Die Arakan Army rekrutiert sich aus einheimischen Buddhisten, die sich vom Zentralstaat Myanmar abspalten wollen. Dort dominiert die Volksgruppe der Birmanen, von denen sich die Rakhine unterdrückt fühlen. Dieser Konflikt wurzelt tief in der Geschichte, die Rakhine sind von großem Stolz auf ihre eigene Kultur erfüllt, sie wollen Eigenständigkeit. Zunehmende Verteilungskämpfe im verarmten Westen Myanmars erhöhen die Spannungen, sie haben auch den Massenexodus der Rohingya mitbefördert.

Die Arakan Army aber behauptet, die Weltgemeinschaft habe die Probleme der einheimischen Buddhisten nicht wahrgenommen, stets habe sie sich nur auf die Flüchtlingskrise der Rohingya und den Vertreibungskrieg der Armee konzentriert, deren Führung laut Vereinten Nationen eine "genozidale Absicht" gegen die Minderheit verfolgte.

Nun aber macht die Arakan Army von sich reden, ihre Guerillakämpfer scheinen hoch motiviert zu sein gegen eine Armee, deren Soldaten zumeist aus anderen Gegenden kommen und sich schlecht auskennen. Die myanmarischen Generäle sehen sich unterdessen erneut Vorwürfen internationaler Menschenrechtsexperten ausgesetzt. Berichte über Folterungen und qualvolle Internierungen sind aufgetaucht. Wie in jedem Guerillakrieg hat das Militär Schwierigkeiten festzustellen, wer in der Bevölkerung die Rebellion unterstützt, so geraten Zivilisten unter Generalverdacht.

UN-Menschenrechtsexperten berichteten vom Beispiel des jungen Mannes Naing Aung Htun aus dem Ort Buthidaung, der mit 15 anderen festgenommen worden war und zwei Wochen lang ohne jeden Kontakt zur Außenwelt weggesperrt war. Als ihn sein Vater dann schließlich besuchen durfte, konnte der Sohn nicht mehr kauen, er hatte Verletzungen, klagte über Schmerzen am Kopf und in der Brust. "Der Vorwurf, dass Naing Aung Htun gefoltert wurde, muss untersucht werden", erklärten Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen in Genf, sie fordern für Fälle dieser Art faire Verfahren.

Die Armee dürfte dies aber wenig beeindrucken, sie jagt nach eigenen Angaben Terroristen, und sie hat das bisher mit allen Mitteln getan.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2019
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