Es bleibt einem, wenn man irgendwo auf der Welt Anteil nimmt an dem, was sich in Myanmar abspielt, kaum mehr, als die Toten zu zählen und auf eine Wende zu hoffen. Über 1500 Menschen sind bei den Protesten bisher von der Polizei und dem Militär festgenommen worden, mehr als 50 wurden erschossen. Dass es nicht noch mehr sind, hat vermutlich damit zu tun, dass die Protestierenden neben ihrer Streik-Strategie eine sehr effektive Informationspolitik betreiben. Jeder Übergriff wird dokumentiert und über soziale Medien ins Ausland gesendet.
Man sieht also überall auf der Welt, dass das Militär das eigene Volk bekriegt, um nicht zu sagen: terrorisiert. Nächtliche Massenverhaftungen sind üblich, von Sonntag auf Montag wurde ein ganzes Viertel in Yangon abgeriegelt, um etwa 40 Jugendliche festzusetzen, die sich aktiv am Widerstand beteiligen. In den sozialen Medien wird immer wieder von gezielten Exekutionen junger Menschen berichtet. Wer auf Kinder schießt, trifft gleichzeitig die Eltern.
Myanmar:Tod einer 19-Jährigen bringt Generäle in Bedrängnis
Die Junta leugnet, für den Tod der Demonstrantin verantwortlich zu sein, und heizt die Proteste in Myanmar damit weiter an. Berichte über Folter weiten sich aus.
Dass diese Aktionen international bekannt werden, bleibt nicht ohne Wirkung. Am heutigen Mittwoch sollte beispielsweise ein offener Brief an das Auswärtige Amt in Berlin gehen, in dem viele Expertinnen, Fachkräfte und Wissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Myanmar die Bundesregierung dazu auffordern, das Ersatzparlament, kurz CRPH genannt, anzuerkennen, aber keinesfalls einen Entsandten der Junta. Der Militärattaché Myanmars in Deutschland soll aufgefordert werden, seine Position klarzumachen, und auch die Botschafterin soll darlegen, auf welcher Seite sie steht.
Folgt sie den Generälen oder der Bewegung für zivilen Ungehorsam, kurz CDM ("Civil Disobedience Movement"), das seit dem Putsch am 1. Februar mit einem Generalstreik versucht, das Land lahmzulegen, unregierbar und unausbeutbar zu machen für die Junta? Die Armee ist in Myanmar in vielfältige Geschäfte involviert, Handel mit Rohstoffen und Edelsteinen, Tabak, Bankenwesen.
Soldaten haben die Universität besetzt
"Gestern war hier in Yangon nur eine Bank geöffnet, die wurde aber gleich gestürmt und so viel Geld abgehoben, dass sie wieder schließen musste", erklärt Khin Myo Wai, 39, die an der Wirtschaftsuniversität in Yangon Demoskopie unterrichtet. Das Volk bekundet in seltener Einigkeit, dass es vor allem ein Ziel hat: die Militärjunta loszuwerden. Soldaten haben die Universität vor zwei Tagen besetzt, nachdem sich einige Professoren zum CDM bekannt hatten. Myo Wai arbeitet zu Hause, sie wirkt im Videogespräch sehr konzentriert, obwohl hinter ihr der Sohn tobt und draußen das Land von einer großen Covid-Krise in den Staatsbankrott schlittert.
"Mein Mann war heute auf dem Markt, weil er für uns kochen wollte, aber es kommen kaum noch Waren an", erzählt sie. Trotzdem würden sich weiter täglich mehr Berufsgruppen dem CDM anschließen. Trotz gezielter Terroraktionen der Armee, trotz der steigenden Todeszahlen. "Es sind weniger Leute auf den Straßen, aber der Widerstand wächst."
Die Tatmadaw, wie das Militär in Myanmar genannt wird, hat nicht nur den Widerstand der jungen Leute unterschätzt, sondern auch die Gegenwehr, die sie im gesamten Land durch den Putsch ausgelöst hat. Myanmar hat eine äußerst diverse Bevölkerung, was Religion und Ethnien angeht, einig sind sich die einzelnen Gruppen momentan nur im Widerstand. In einigen Provinzen herrschte bis zum 1. Februar ein Waffenstillstand zwischen der Tatmadaw und verschiedenen bewaffneten ethnischen Armeen, der von diesen nach der Machtergreifung aufgekündigt wurde.
Die Tatmadaw gerät unter Druck, nicht so sehr durch UN-Verurteilungen, sondern durch "Social Shaming": das Bekanntmachen von Firmen, die mit der Junta zusammenarbeiten, und die Nennung der Namen von Armee-Angehörigen in sozialen Netzwerken, die mit Armee-Geld im Ausland auf Schulen und Universitäten gehen. "Das CDM agiert außerdem klug, es gibt dort keine einzelnen Anführer, sondern ein Kollektiv", erklärt Myo Wai, "jeden Tag werden noch mehr Protestierende eingesperrt, aber die Sache kommt nicht zur Ruhe."
Militärsender: Demonstranten schießen auf Demonstranten
Ihre Informationen bezieht Myo Wai hauptsächlich über Facebook, das in Myanmar quasi mit dem Internet gleichzusetzen ist. Das Militär hat Fernsehsender geschlossen und Redaktionen gestürmt, aber die Journalistinnen und Journalisten, die noch nicht festgenommen wurden, berichten weiter via Facebook. Auch auf Twitter sind mittlerweile viele aktiv, weil das international mehr Aufmerksamkeit bringt.
Dabei ist es wichtig, die richtigen Quellen zu kennen, sonst sitzt man der Empörung oder der Propaganda auf. Dass nun gezielt Jugendliche gejagt würden, das müsse man auch einordnen, sagt die Wissenschaftlerin, "es werden vor allem junge Menschen getroffen, weil unsere Generation Z sehr aktiv im Protest ist. Wir Älteren machen uns zu viele Sorgen, die Jungen sind tapferer."
Noch absurder sind natürlich die Geschichten, die auf dem Militärsender laufen, wo in einer Informationssendung nach nordkoreanischer Machart am Wochenende erklärt werden sollte, dass einer getöteten Demonstrantin von einem ihrer Mitdemonstranten in den Kopf geschossen wurde. Sie wird derzeit zur Symbolfigur des CDM, weil sie zum Zeitpunkt ihres Todes ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Everything will be ok" trug.
"Die Junta war schlecht vorbereitet, auf den Protest der Jugend, das CDM, die Gegenkräfte in den Provinzen", sagt Khin Myo Wai. Nun aber müsse man irgendwie wieder ins Gespräch kommen, "denn wenn die Armee einfach nur verliert, wird das nicht ohne größere Gewalt über die Bühne gehen". Das CDM lehnt jede Beteiligung der Tatmadaw für eine Zukunftslösung ab, was nach den Ereignissen nachvollziehbar ist. Am Dienstag starb der zweite Vertreter der gewählten Regierungspartei in Gefangenschaft.
Die Armee wiederum würde, wenn sie von der Macht lässt und wirklich freie Wahlen erlaubt, in die Bedeutungslosigkeit versinken, das werden die Generäle nicht zulassen. Eine Lösung kann nur von innen kommen, auch wenn Aufmerksamkeit von außen wichtig bleibt. Die Botschaften Myanmars in den USA und Großbritannien haben bereits durchblicken lassen, dass sie die Militär-Machthaber nicht als Regierung anerkennen.