Süddeutsche Zeitung

Myanmar:Terror bei Nacht

In Myanmar legen die Herrschenden das Internet lahm und verhaften Oppositionelle. Andere Gefangene werden gezielt entlassen und ausgesetzt, um Chaos zu stiften.

Von David Pfeifer, Bangkok

In Myanmar spitzte sich die Lage am Wochenende zu, die Proteste gingen weiter, auch am Sonntag. Man kann auf übermittelten Videoclips sehen, wie Menschen auf Töpfe und Pfannen schlagen - nicht nur als Zeichen des Protests, sondern auch um ihre Nachbarn zu warnen. Nach Informationen, die der SZ vorliegen, wurden gezielt Gefangene entlassen, um den Terror bei Nacht noch zu verstärken. Sie wurden in den Städten ausgesetzt und dazu aufgestachelt, Chaos zu stiften.

In einer übermittelten Sprachnachricht berichtet eine Augenzeugin aus Myeik, dass ein Haus in ihrer Nachbarschaft angezündet wurde: "Wir sind jetzt nicht mehr sicher. Ein Mann wirft Feuer ... O mein Gott! Vor unserem Haus ... alle Leute laufen ihm hinterher ... ich weiß nicht, was genau passiert, es passiert so viel!" Ein Junge wurde ebenfalls bei dem Versuch erwischt, ein Haus anzuzünden. Er berichtete, zwei Soldaten hätten ihm Geld für die Brandstiftung versprochen.

Auch das Online-Magazin Myanmar Now schreibt von Randalierern, die dem Militär nahestehen und in einem Restaurant in Meikitila Menschen verletzten. "Es ist so, als würden die Verantwortlichen wissen, was passiert, und es bewusst geschehen lassen", sagte einer der Verletzten dem Magazin.

In Myitkyina im Norden des Landes sollen Sicherheitskräfte am Abend auf Teilnehmer einer Kundgebung gegen den Militärputsch geschossen haben. Auf Videos, die auf Twitter verbreitet wurden, war zu sehen, wie Menschen in Panik auseinanderliefen. Ob es Verletzte gab und ob es sich um scharfe Munition oder um Gummigeschosse handelte, war zunächst unklar.

Wie regelmäßig solche Informationen noch ins Ausland gelangen, ist allerdings unklar. Das Internet wird zeitweise wieder blockiert, von nachts um eins bis morgens um neun Uhr mindestens. Am Wochenende kam es allerdings nicht nur zu Freilassungen, sondern auch zu Verhaftungen durch die Militär-Machthaber. Laut einem UN-Bericht wurden mittlerweile mehr als 350 Oppositionelle festgenommen, was die Älteren in Myanmar an düstere Zeiten erinnert.

Schon 1988 griff das Militär zu ähnlichen Mitteln

Auch dass Randalierer bewusst gegen die Bevölkerung eingesetzt werden, um Angst und Chaos zu stiften, ist als Methode nicht neu. Bereits bei den Revolten von 1988 griff das Militär zu ähnlichen Mitteln, um die Bürgerinnen und Bürger einzuschüchtern.

General Min Aung Hlaing versucht nun, wohl vor allem für das Ausland, das Bild einer legalen Machtübernahme abzugeben. So wurde ein Kommunikationsgesetz erlassen, das Tele-Konferenzen und Gespräche mit Journalisten unter Strafe setzt. Laut dem Online-Magazin Frontier Myanmar beinhaltet es das Verbot für Medien, die Generäle als anar thein asoya zu bezeichnen - was auf Burmesisch "Coup-Regierung" bedeutet.

"Einige Zeitungen und Nachrichtendienste haben unethisch berichtet, inklusive der falschen Aussage, die Staatsführung als Coup-Regierung zu bezeichnen", heißt es in der neuen Medienverordnung. In Paragraf 8 wird "Nachrichten-Mitarbeitern", die sich nicht an die neuen Regeln halten, mit Anklagen gedroht. Herausgeber oder Verlage dürfen nichts veröffentlichen, "das der nationalen Sicherheit schaden könnte, den Gesetzen widerspricht oder der öffentlichen Ordnung".

Bisher lässt sich der Protest auf diese Weise allerdings nicht eindämmen. Denn die Menschen fürchten sich zwar vor dem Militär, sie sind aber gleichzeitig sehr wütend. Seit dem 1. Februar, dem Tag des Militär-Coups, wachsen Wut und Widerstand in der Bevölkerung, während die Armee versucht, Furcht und Verwirrung zu säen. "Angst und Unbeugsamkeit" titelte die BBC zu den nächtlichen Terror-Aktionen.

Seit über einer Woche laufen die Massenproteste nun, nicht nur in Yangon, sondern im ganzen Land. Unter dem Hashtag "CDM" - für "Civil Disobediance Movement" - versammeln sich alle politischen Fraktionen und Religionen, die gegen die alten und neuen Machthaber demonstrieren.

Mittlerweile sind Teile der Polizei übergelaufen

Und diese Bewegung wächst, mittlerweile sind Teile der Polizei übergelaufen, auch Sonntag sah man Polizisten offen auf der Straße protestieren. Die BBC berichtete, dass unter den Oppositionellen, die am Wochenende wegen "Ruhestörung" verhaftet wurden, auch Min Ko Naing ist, einer der Studenten, die den gescheiterten Aufstand gegen die Junta im Jahr 1988 angeführt hatten.

Die meisten Myanmarer erinnern sich noch an die Zeit vor 2007 und fürchten, dass ihnen nun jede Perspektive geraubt wird. Sie organisieren sich und versorgen Journalisten im Ausland mit Informationen. Aber zur Ruhe kommen sie nicht. Sie machen Lärm, um einander zu warnen und zu protestieren.

"Ich habe Angst, aber ich werde nicht aufgeben zu kämpfen", sagt ein Student aus einer Kleinstadt im Süden Myanmars. "Wir können nicht verlieren. Wenn wir jetzt aufgeben, wird alles weg sein. Unsere Zukunft, unsere Träume, einfach alles." Doch obwohl die Generäle versuchen, die Menschen mit Furcht einzuschüchtern, gingen am Sonntag wieder Zehntausende Protestierende auf die Straße. Sie demonstrierten beispielsweise vor der US-Botschaft in Yangon und forderten die USA und die UN dazu auf, die Myanmarer in ihrem Widerstand gegen die Militär-Junta zu unterstützen. Auf Plakaten wurde um aktive Intervention gebeten, aber es stand auch "Wir können nachts nicht mehr schlafen" auf einem Schild zu lesen.

Es sieht nach zwei Wochen der stetig wachsenden Proteste, denen sich immer mehr Teile der Bevölkerung anschließen, die sich ansonsten aufgrund religiöser oder politischer Differenzen eher in verschiedenen Lagern wiederfinden, so aus, als hätten die Generäle sich verschätzt, was die Gegenwehr angeht. Doch am Abend fuhren Panzer nach Yangon. Ohne Unterstützung von außen werden die Myanmarer dem Militär weiter ausgeliefert sein.

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