Putsch in Myanmar:Das gesamte Volk ist der Feind

Putsch in Myanmar: Nicht nur Straßen, wie hier in Yangon, auch Kommunikationswege sind blockiert: Internet und Mobilfunk funktionieren in weiten Teilen des Landes nicht mehr oder nur sporadisch.

Nicht nur Straßen, wie hier in Yangon, auch Kommunikationswege sind blockiert: Internet und Mobilfunk funktionieren in weiten Teilen des Landes nicht mehr oder nur sporadisch.

(Foto: AP/AP)

Das Militär in Myanmar geht immer brutaler gegen die Zivilbevölkerung vor. Soldaten töten mehr als 80 Demonstranten. Die Polizei fordert für die Herausgabe der Leichen offenbar Geld von den Angehörigen.

Von David Pfeifer, Bangkok

Die Worte fielen deutlich aus. "Die UN und die Asean machen uns wirklich krank, wie können sie es wagen, diesen Coup nicht einen Coup zu nennen, und ein Massaker nicht ein Massaker" schrieb das "Civil Disobediance Movement" (CDM), eine wichtige Widerstandsbewegung in Myanmar, am Samstagabend. "Und hört auf damit, alle Seiten dazu aufzurufen, keine Gewalt anzuwenden - es gibt nur eine Seite die Gewalt anwendet. Es ist das verdammte SAC, das Myanmarische Militär".

Vorangegangen war eine der brutalsten Aktionen der Junta seit ihrer Machtübernahme in der Nacht zum 1. Februar. In Bago, einer der größeren Städte des Landes, etwa 100 Kilometer nordöstlich von Yangon, ermordeten Soldaten nach Angaben der Hilfsvereinigung für politische Gefangene (AAPP) mindestens 82 Protestierende. Die Zahl könnte noch höher liegen, genaue Angaben sind schwer zu ermitteln, weil das SAC, das "State Administration Council", wie sich die Junta offiziell nennt, den Informationsfluss langsam besser in den Griff bekommt. Das Internet funktioniert in weiten Teilen des Landes nicht mehr oder nur sporadisch, genauso wie der Mobilfunk.

Was die vorwiegend jungen Protestierenden seit Wochen befürchten, ist nun eingetreten: Myanmar bewegt sich zurück in allerdunkelste Zeiten, abgeschnitten von der Welt und tyrannisiert von einem Militär, das sich als Elite des Landes begreift und die Macht mit aller Brutalität gegen das Volk durchsetzt, das es eigentlich schützen sollte. Laut Augenzeugenberichten sind die Soldaten mit Panzern und schweren Waffen in Bago gegen die weiterhin friedlichen Demonstranten vorgegangen.

Mehr als 3000 Menschen wurden verschleppt

Das verschafft den Beobachtern der Region eine Ahnung davon, wie viel unbarmherziger dieser Konflikt noch werden wird, wenn sich das SAC in seinem Vorgehen nicht mehr beobachtet fühlt. Mehr als 700 Zivilisten sind laut AAPP mittlerweile von Soldaten erschossen worden, mehr als 3000 verschleppt und eingesperrt. In den Gefängnissen wurden Schnellgerichte installiert, um Demonstranten abzuurteilen. Gegen 19 wurde bereits die Todesstrafe ausgesprochen. Ärztinnen und Ärzte berichten, dass sie gezielt von Soldaten behindert oder angegriffen werden, wenn sie Protestierende behandeln.

Es wird nicht mehr nur auf Protestierende geschossen. Zahlreiche Zeugen berichten, dass wahllos auch in Häuser und Menschenansammlungen gefeuert wird. Das gesamte Volk ist der Feind. Dass man zunächst nicht wusste, wie viele Opfer es in Bago gab, lag daran, dass das Militär die Körper wegtransportiert hatte. Die Polizei fordert für die Herausgabe der Leichen anscheinend Geld von den Angehörigen der Opfer des Massakers. Das teilte das CDM am Sonntag wieder per Twitter mit und fügte hinzu: "Wie tief kann man noch sinken?" Die Leichen der Opfer waren in einen buddhistischen Tempel gebracht worden, wie Medien aus Myanmar berichteten. Trotz der blutigen Gewalt gingen am Sonntag in Bago und anderen Städten Myanmars wieder Tausende Menschen gegen die Junta auf die Straße.

Während der unkontrollierte Informationsfluss über Soziale Netzwerke dünner wird, gab General-Major Zaw Min Tun, ein Sprecher der SAC, dem Fernsehsender CNN ein Interview, in dem er darauf bestand, dass die Generäle nur "die Sicherheit des Landes" im Blick hätten, während sie den Wahlbetrug untersuchen würden, "das ist kein Coup". Im vergangenen November war die Partei der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mit einem Erdrutschsieg gewählt worden, während die vom Militär entsandte Partei ein demütigend schlechtes Ergebnis eingefahren hatte. Dass die Protestierenden, die, organisiert vor allem durch das CDM, seit dem Putsch auf die Straße gehen und dort von Soldaten erschossen werden, sei ihre Schuld, sagte Zaw Min Tun. Er bezeichnete sie als "aufrührerisch", als würde das die Aktionen der Soldaten legitimieren.

Entstanden ist eine Kleptokratie der oberen Dienstränge

Das Militär in Myanmar darf man sich nicht vorstellen wie eine reguläre Armee. Die Soldaten leben abgeschottet von der zivilen Bevölkerung in Baracken und Wohnanlagen, Angehörige gehen in Militär-Schulen und werden in Militär-Krankenhäusern behandelt. Die Armee muss sich außerdem selbst finanzieren, unterhält Beteiligungen an Banken und Firmen, wer in Myanmar produzieren lässt, muss sich mit dem Militär arrangieren. Daraus hat sich über die Jahre eine Kleptokratie der oberen Dienstränge entwickelt. Das CDM attackiert dieses System seit dem Coup mit einem Generalstreik, der das Land auch wirtschaftlich in den Abgrund führt.

Die Generäle halten also nicht nur an ihrer Macht fest, sondern an ihrem Einkommen, ihrer Existenz. Daher ist es nicht wahrscheinlich, dass sie in irgendeiner Form zu Verhandlungen bereit sein werden. So lange es keine internationalen Interventionen gibt, werden die Soldaten weiter morden und versuchen, die Proteste der Bevölkerung mit Terror-Methoden zu zerschlagen. Daher auch die zunehmend verzweifelten Aufrufe des CDM an die UN und die Asean-Staaten.

Währenddessen verstärken sich die Fluchtbewegungen der Bevölkerung nach Thailand, wo die Menschen nicht willkommen geheißen werden, zumal in einer Pandemie. Der vergangene Lockdown im Januar war von der Regierung in Bangkok damit begründet worden, dass illegal eingereiste Gastarbeiter aus dem Nachbarland das Virus eingeschleppt hätten. Nach Berichten, die der SZ vorliegen, werden die Flüchtlinge von Schleppern und Grenzbeamten abkassiert.

Viele Myanmarer sammeln sich auch innerhalb des Landes in den Shan- und Karen-Gebieten im Osten, an der Grenze zu Thailand. Diese Volksgruppen stellen jeweils etwa acht Prozent der myanmarischen Bevölkerung. Es gibt mehr als zwei Dutzend sogenannte "Ethnic Armed Forces" in Myanmar, die nur gelegentlich Waffenstillstand mit dem Militär geschlossen hatten. Die meisten der Gruppen verurteilen den Coup und die Brutalität, mit der Polizei und Militär ihn durchsetzen wollen - und unterstützen die Protestbewegung. Auch General Yawd Serk, ein alter Anführer der "Shan State Army" hat CNN nun ein Interview gegeben, in dem er vor einem eskalierenden Bürgerkrieg warnt. Wenn das Militär "weiterhin auf das Volk schießt und es Menschen umbringt, dann bedeutet es, dass die Junta sich schlicht zu Terroristen transformiert hat" sagte Yawd Serk. "Wir werden nicht still sitzen bleiben, wir werden jede Maßnahme ergreifen, um das Volk zu beschützen."

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