Süddeutsche Zeitung

Internationaler Gerichtshof in Den Haag:Ein Land steht vor Gericht

  • Myanmars regierende Staatsrätin Aung San Suu Kyi wird am Dienstag vor dem Internationalen Gerichtshof zu einer Anhörung erwartet.
  • Gambia, das mit Unterstützung der Organisation für Islamische Zusammenarbeit die Klage eingereicht hat, wirft Myanmar Völkermord vor.
  • Dabei stützt es sich auf die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.
  • Die Anforderungen an den Nachweis eines solchen Verbrechens sind hoch.

Von Arne Perras, Singapur, und Wolfgang Janisch, Karlsruhe

In der Heimat von Aung San Suu Kyi verstehen viele Bürger die Welt nicht mehr - zumindest wundern sie sich über jenen Teil der internationalen Gemeinschaft, der mit Schrecken auf den Westen des Landes blickt und Erkenntnisse der Vereinten Nationen ernst nimmt, die einen Völkermord an der muslimischen Minderheit nahelegen.

Die Verfolgten, die sich selbst Rohingya nennen, sind bei vielen Birmanen verhasst. Im Mehrheitsvolk herrscht Zufriedenheit darüber, dass der Staat der muslimischen Minderheit im Gebiet Rakhine die Staatsbürgerrechte entzogen hat, man nennt diese Leute in Myanmar "Bengalis", was schon klarmacht, wo sie nach Meinung vieler Birmanen hingehören: Ins Nachbarland Bangladesch, aber nicht nach Myanmar, obgleich sie dort schon teils seit vielen Generationen leben.

Insofern konnte die regierende Staatsrätin Aung San Suu Kyi vor ihrer Abreise zum Internationale Gerichtshof in Den Haag zumindest zuhause jenen Rückhalt erleben, den sie draußen in der Welt vermisst. Das Land Gambia hat Myanmar wegen Völkermordes verklagt, und die Außenministerin hat sich entschlossen, ihr Land dort nun selbst zu vertreten. Auf großen Plakaten prangte vor ihrer Abreise der Schriftzug: "We stand with you". Im Hintergrund zu sehen das Gerichtsgebäude von Den Haag, davor drei Generäle in Uniform und Aung San Suu Kyi; alle vier mit strahlendem Lächeln.

Nun ist dieser Spruch im Englischen zumindest zweideutig. Man kann ihn so lesen: "Wir stehen zu dir", was nahelegt, dass die gezeigten Generäle zur Außenministerin stehen. Oder aber auch: "Wir stehen zu euch", was eher nahelegt, dass das Volk von Myanmar hinter dem Militär und Aung San Suu Kyi steht. In jedem Fall ist die Frontstellung nach außen klar: Das Verfahren in Den Haag provoziert in Myanmar starke Abwehrreflexe, weshalb Suu Kyi nun versucht, sich als Verteidigerin ihres Landes vor Gericht zu profilieren.

In Den Haag wird Aung San Suu Kyi an diesem Dienstag zu einer Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) erwartet, die auf drei Tage angesetzt ist. Sie betrifft ein Eilverfahren, in dem geklärt werden soll, ob schon vor Abschluss der wahrscheinlich sehr langwierigen gerichtlichen Aufarbeitung Schritte zum Schutz der Rohingya ergriffen werden müssen. Das kann relativ schnell gehen; ein Urteil könnte in wenigen Wochen vorliegen.

Im November hat der Gerichtshof Ermittlungen aufgenommen

Nicht ganz einfach zu beantworten ist die Frage, ob es wirklich zu einer Verurteilung kommen wird. Gambia, das mit Unterstützung der Organisation für Islamische Zusammenarbeit die Klage eingereicht hat, wirft Myanmar Völkermord vor und stützt sich dabei auf die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. Die Anforderungen an den Nachweis eines solchen Verbrechens sind hoch.

Es wird nicht ausreichen, dem Gerichtshof die bereits dokumentierten Gräueltaten gegen die Rohingya vorzulegen; dass die muslimische Minderheit brutaler Verfolgung und Gewalt ausgesetzt war, dürfte sich ohnehin kaum leugnen lassen. Artikel 2 der Konvention setzt vielmehr Tötungen oder Gewalttaten voraus, "die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Gambia als Kläger müsste also den Nachweis eines übergreifenden, zielgerichteten Plans einer "ethnischen Säuberung" erbringen.

Das ist eine hohe Hürde. Allerdings stellt der Bericht der unabhängigen "Fact-Finding-Mission" der Vereinten Nationen vom September bereits ausdrücklich fest, dass sich der Verdacht einer Absicht zum Völkermord verdichtet habe.

Noch ein weiteres Verfahren ist für Myanmar von großer Bedeutung, es wurde am Internationalen Strafgerichtshof in Gang gesetzt, keine fünf Kilometer vom IGH entfernt. 2018 hatte sich das Tribunal für zuständig erklärt, obwohl Myanmar kein Vertragsstaat ist. Weil aber Hunderttausende Rohingya nach Bangladesch geflogen sind, in ein Land also, das sich dem Gerichtshof unterworfen hat, besteht aus Sicht des Strafgerichtshofs eine Verbindung zu Verbrechen in Myanmar, aus der sich eine juristische Zuständigkeit ableiten lässt.

Im November hat der Gerichtshof Ermittlungen aufgenommen, und Chefanklägerin Fatou Bensouda ließ keinen Zweifel daran, dass sie dies als breit angelegtes Mandat versteht, das beispielsweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfasst.

Für Aung San Suu Kyi und die Generale bedeutet dies, dass sich die internationale Justiz nun auf Jahre hin mit den Verbrechen im Westen Myanmars beschäftigen wird. Das verstärkt das Risiko, dass Myanmar noch stärker zurück in die Isolation driftet.

Ganz alleine ist das Land allerdings nicht, immerhin kann es auf Rückhalt in zwei großen asiatischen Ländern setzen: Indien und China. Diese beiden Staaten sind bereits sehr engagiert, Myanmar gegen allzu starken Druck abzuschirmen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4716155
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.12.2019/dit
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.