Myanmar: Der Glanz der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verblasst

170515 BEIJING May 15 2017 Myanmar State Counselor Aung San Suu Kyi arrives for the Leaders

Aung San Suu Kyi bei einem öffentlichen Auftritt im Mai 2017 in Peking

(Foto: imago/Xinhua)

Sie wollte Myanmar Frieden und Freiheit bringen, doch sie droht zu scheitern. Die Not der Rohingya redet sie klein - während erneut Angehörige der Volksgruppe sterben.

Kommentar von Arne Perras

Wenn Menschen andere Menschen als gute Helden idealisieren, erschaffen sie Ikonen. Sie verehren diese Männer und Frauen wie lebende Denkmäler, weil sie deren Hartnäckigkeit, Mut oder Unbestechlichkeit bewundern. Die jüngere Geschichte hat mehrere solche Lichtgestalten hervorgebracht, Mahatma Gandhi war die größte. Auch Martin Luther King und Nelson Mandela gehören in den Kreis der Friedens- und Freiheitsikonen. Ihr Nimbus ist nützlich für Gesellschaften in Not, Ikonen stiften Hoffnung. Sie erinnern daran, dass Menschen - manchmal - über sich hinauswachsen können. Ikonen machen Mut, nicht zu kuschen, sondern etwas zu wagen. Geknechtete Völker brauchen sie, um aufzustehen gegen Unterdrückung und Diktatur.

Doch so lange sie leben, kämpfen diese Superhelden mit einer schweren Last. Was geschieht, wenn sie plötzlich umstellt sind von Problemen, die sie nicht gleichzeitig lösen können? Wenn sich Hürden so hoch türmen, dass sie nicht mehr vorankommen? Ausgebremst und lahmgelegt, verblasst ihre Strahlkraft. Die Realität kratzt am zu makellosen Bild. Gut möglich, dass die Welt gerade Zeuge einer solchen Entzauberung wird.

Die Birmanin verkörperte den Kampf für Menschenrechte und Freiheit

Schauplatz Myanmar: Dort hat die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi 2015 die Wahlen gewonnen, mit ihr sollte eine neue Epoche beginnen. Die Lady, wie sie genannt wird, wollte die Massen aus der Armut heben und Rebellionen der Minderheiten beenden. Jetzt aber dringen andere Meldungen in die Welt. Gewalt entflammt, die muslimische Minderheit wird drangsaliert, Terror keimt.

Dabei verkörperte die asketische Birmanin einst den Kampf für Menschenrechte und Freiheit. Alle Welt verehrte sie, als sie unter Hausarrest stand, weggesperrt von Generälen, die das Volk knechteten und das Land plünderten. Damals war sie Ikone. Und jetzt? Einstige Verehrer sind irritiert. Sie rätseln, ob das Vorbild noch Vorbild ist. Verschleppte Reformen und der eskalierende Konflikt um muslimische Rohingya nähren Zweifel, ob die Lady das Land reformieren und befrieden kann.

An den Ikonen Mandela und Gandhi ist nicht mehr zu rütteln, sie haben sich als Idealbilder verselbständigt, obgleich auch sie nicht ohne Schwächen waren. Ihre Fehler wurden nach dem Tod überstrahlt vom Heldenmythos, der sie zu Quasi-Heiligen machte. Der eine hat die britischen Imperialisten zermürbt, der andere über die Apartheid triumphiert. Die Lady aber muss ihre Mission noch erfüllen.

Die Realpolitik überfordert die Nobelpreisträgerin Suu Kyi

Von Aufbruch ist wenig zu spüren. Das Militär hat viel von seiner Macht bewahrt, durch einen Verfassungstrick verweigern die Generäle Suu Kyi das Präsidentenamt. Zurückgeworfen auf den Posten einer Staatsrätin, hat sie eine strategische Entscheidung getroffen: Statt Konfrontation sucht sie Ausgleich mit dem Militär. Ob das auf lange Sicht klug oder ein fataler Fehler war, wird sich zeigen. In jedem Fall ist sie in die Rolle der Realpolitikerin geschlüpft. Und im Geschacher um die Macht hat das Bild der Ikone Kratzer bekommen. Denn sie schließt Kompromisse mit Kräften, die Menschenrechte immer noch häufiger verletzen als achten.

Ist sie zu schwach, um das Militär zu bändigen? Es ist komplizierter. Die Lady hat durch ihren Rückhalt im Volk durchaus Gewicht. Doch warum nutzt sie es nicht mehr zum Schutz jener Rechte und Ideale, für die sie früher kämpfte? Am Schicksal der Rohingya wird ihr Zögern deutlich. Deren Not redete die Lady klein. Nun aber eskaliert die Krise, und es wird immer schwieriger, die Gewaltspirale zurückzudrehen. Radikalisierte Rohingya prallen auf das Militär, dem grausame Exzesse gegen Zivilisten angelastet werden. Doch Suu Kyi, sie wirkt seltsam entrückt.

Rohingya radikalisieren sich und rebellieren

Die Lady folgt einem populistischen Reflex. Die Rohingya werden von vielen im Land abgelehnt. Wer sich für sie einsetzt, macht sich unbeliebt. Suu Kyi will ihre Popularität unter der dominierenden Ethnie der Birmanen nicht verspielen. So gesehen kommt das Machtkalkül jetzt vor den Menschenrechten. Die Rohingya, die nicht als Staatsbürger anerkannt werden, haben in Myanmar keinen Anwalt.

So fliehen viele von ihnen in Nachbarländer wie Bangladesch - und riskieren bei der Überfahrt ihr Leben. Erst an diesem Donnerstag sind in Bangladesch drei Boote mit Rohingya-Flüchtlingen aus Myanmar gesunken. 26 Leichen seien aus dem Fluss Naf geborgen worden, sagte ein Kommandeur der Grenztruppen in Cox's Bazar. Bei den Toten handele es sich um elf Frauen und 15 Kinder. Ob noch Menschen vermisst würden, sei unklar. Die jüngsten Gefechte zwischen dem myanmarischen Militär und Rohingya-Kämpfern haben mindestens 18 000 Rohingya in die Flucht getrieben.

Radikalisierung und Rebellion sind auch eine Folge der Hilflosigkeit von Suu Kyi. Der Lady gelingt es nicht, aufständische Gruppen zu befrieden. Ethnische Minderheiten sind misstrauisch, sie glauben, die Friedensnobelpreisträgerin marschiere mit dem Militär. Als Vorkämpferin für Menschenrechte sehen sie nicht mehr viele.

So verblasst die einstige Ikone, die Realpolitik fordert Tribut. Und niemand weiß, ob Aung San Suu Kyi in all diesen Zwängen ihr großes Werk noch vollenden kann: ein freies, friedliches Myanmar, für das sie einst so große Opfer brachte.

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