Süddeutsche Zeitung

Myanmar:Gefangene der Interessen

Myanmar will die Rohingyas wieder aufnehmen, spielt aber auf Zeit. Und Bangladesch stellt Bedingungen - über das unklare Schicksal der Flüchtlinge.

Von Arne Perras, Singapur

Als sie über den Fluss kamen, zusammengedrängt in einem überfüllten Boot, hatten sie nichts. Familienvater Safiulla, seine Frau und die sieben Kinder kamen mit leeren Händen. Aber sie waren am Leben. Drüben auf der anderen Seite des Flusses waren sie vor Soldaten und einem mordenden Mob geflohen. So erzählten sie es Anfang September, als sie über den Grenzfluss kamen, den River Naf. Wer damals mit der Familie von Safiulla sprach, spürte, wie erschöpft und verzweifelt sie waren. Wohin sollten sie nun gehen? Wer würde ihnen helfen? Tagelang hatten sie nicht richtig gegessen, die Kinder konnten in der prallen Sonne kaum noch stehen, sie suchten nach einem ruhigen Platz im Schatten, aber unter Bäumen und Planen saßen schon Tausende andere vertriebene Muslime aus dem Westen Myanmars.

So waren im Lauf weniger Wochen mehr als 600 000 Menschen geflüchtet, ein Exodus, wie ihn Myanmar noch niemals erlebt hatte. Und drei Monate später sind die großen Fragen immer noch ungeklärt. Wann werden Safiulla, seine Familie und all die anderen geflohenen Rohingya zurückkehren können nach Myanmar? Und werden sie sich dann auch sicher fühlen? Es scheint, dass es zwischen den beiden Staaten Bangladesch und Myanmar erheblichen Klärungsbedarf gibt, um die Krise zu entschärfen und eine dauerhafte Lösung zu finden. Doch vorerst scheinen beide Regierungen auf Zeit zu spielen, sie versuchen, den jeweiligen Nachbarn als Bremser bei der künftigen Rückführung der Flüchtlinge erscheinen zu lassen.

Aus dem Büro von Myanmars Staatsrätin Aung San Suu Kyi hieß es in dieser Woche, dass der Staat jederzeit bereit sei und nur darauf warte, die Flüchtlinge zurückzuholen. Myanmar beruft sich auf eine Vereinbarung aus den 90er-Jahren, als schon einmal geflohene Rohingya von Bangladesch aus nach Myanmar zurückkamen. Aber die Zustimmung aus Dhaka sei bislang ausgeblieben, hieß es in Nay Pyi Taw. Suu Kyi ist derweil erstmals in die Unruheregion Rakhine gereist, von wo aus Hunderttausende Rohingya geflüchtet sind. Sie sprach mit Vertretern der Minderheit, doch über was genau, war zunächst nicht bekannt.

Ein Sprecher Aung San Suu Kyis versuchte, das angebliche Zögern Bangladeschs mit der Zusage von Hilfszahlungen der Weltgemeinschaft zu erklären, in der staatlich kontrollierten Zeitung Global New Light of Myanmar verwies er auf die Zusage internationaler Mittel für den Bau neuer großer Camps. Seine Botschaft lautete sinngemäß: Bangladesch bekommt nun fast 400 Millionen Dollar Hilfe von der Weltgemeinschaft, deshalb interessiere sich das Land für die Rückführung der Flüchtlinge nicht mehr besonders. Diese Argumentation allerdings blendet aus, wie groß der Platzmangel in den Flüchtlingsgebieten ist, dass es dort wachsende Spannungen gibt und die Kriminalität steigt. Alles in allem spricht wenig dafür, dass Bangladesch die Rohingya behalten will, wie das Myanmar zu unterstellen scheint.

Bangladesch hat seinerseits erklärt, dass das Nachbarland noch nicht einem Zehn-Punkte-Plan zugestimmt habe, der den Rohingya eine "nachhaltige Rückkehr" ermögliche. Die Regierung in Dhaka pocht auf Bedingungen, um eine dauerhafte Eingliederung der Geflüchteten in Myanmar zu ermöglichen. Weil sich beide Seiten aber gegenseitig die Schuld an Verzögerungen zuschieben, sind schnelle Fortschritte bei den Verhandlungen kaum zu erwarten.

Offenkundig ist, dass viele Flüchtlinge nicht heimkehren wollen, solange sie auf der anderen Seite Gewalt durch das myanmarische Militär oder feindlich gesinnte buddhistische Gruppen befürchten müssen. Traumatisierte Rohingya-Familien haben diese Angst nach ihrer Flucht immer wieder zum Ausdruck gebracht. Auch die Familie von Safiulla musste nicht lange überlegen: "Ich habe gesehen, wie sie unsere Leute gejagt und getötet haben, wie soll ich da zurückgehen? Selbst wenn sie jetzt sagen: Kommt zu uns. Wir würden nicht gehen." Viele sagen, sie gingen erst zurück, wenn sie internationale Garantien bekämen, dass sie als Staatsbürger akzeptiert und nicht als illegale Einwanderer abgestempelt würden.

Myanmar ist dem Vorwurf ausgesetzt, das Militär habe Gewalt systematisch eingesetzt, um die Minderheit zu vertreiben, die Vereinten Nationen beklagen ethnische Säuberungen, während die Regierung in Nay Pyi Taw die Militäroffensive im Westen als legitimen Kampf gegen bewaffnete Extremisten rechtfertigte, nachdem Rohingya-Rebellen am 25. August Polizei und Militärposten angegriffen hatten.

Unter den Rohingya wurden Forderungen nach einer internationalen Schutzzone laut, was Myanmar aber kaum akzeptieren dürfte. Die Eskalation befeuert außerdem Debatten, ob das politisch einflussreiche Militär in Myanmar wegen der Vertreibung der Rohingya mit Sanktionen bestraft werden sollte. Jahrzehntelang war die frühere Militärjunta international geächtet, nur China blieb ihr als Verbündeter. Als sich das Land öffnete für die Demokratiebewegung mit Aung San Suu Kyi an der Spitze, hob der Westen die Sanktionen auf. Seither ringen die Großmächte um Einfluss in Myanmar, was eine Entscheidung über mögliche internationale Sanktionen kompliziert.

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SZ vom 03.11.2017
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