Süddeutsche Zeitung

Myanmar:Gangster in gebügelten Uniformen

Sie machen es wie früher. Sie drangsalieren und foltern, sie lassen ihre Soldaten schießen und morden. Doch mit einem haben die Generäle in Myanmar offenbar nicht gerechnet.

Von Arne Perras

Myanmars Armee, Tatmadaw genannt, ist eine große Truppe. General Min Aung Hlaing befehligt nach Schätzungen von Experten mehr als 300 000 Soldaten. Als er in der Nacht zum 1. Februar 2021 putschte, würgte er abrupt ein Jahrzehnt zaghafter Demokratisierung ab. Die demokratisch legitimierte Regierung unter Aung San Suu Kyi wurde entmachtet, sie selbst kam in Haft. Aber wie groß sind die Chancen für den General, die politische Kontrolle der Armee auf Dauer zu festigen? Der Bürgerkrieg jedenfalls eskaliert seither.

Sicher ist: Die Zahl seiner Gegner ist seit dem Coup sprunghaft angestiegen. Kämpfte die Armee früher gegen aufständische ethnische Minderheiten an den Rändern des Staates, so haben sich die Fronten inzwischen vervielfacht: Alle, die sich gegen den Militärputsch stemmen, gelten dem Regime als "Terroristen", sie werden gejagt, gefoltert, getötet. Die Generäle bombardieren die eigene Bevölkerung, ob bewaffnet oder unbewaffnet, scheint dabei kaum noch eine Rolle zu spielen. Wer es am ersten Jahrestag des Putsches wagen sollte, auch nur auf Töpfe zu schlagen als Zeichen des Protests, dem droht die Junta mit lebenslanger Haft.

Solange Russland Waffen liefert und China Handel ermöglicht, scheint das Regime sicher zu sein

Die Armee begeht schwere Verbrechen, muss sich aber wenig Sorgen machen, dass ihr eine Intervention von außen drohen könnte. Die Ukraine-Krise saugt alle Aufmerksamkeit auf, und schon zuvor war weltweit wenig Wille zu spüren, militärisch in Myanmar einzugreifen. Die Nachbarländer sind zerstritten, der Druck von außen scheint für die Generäle beherrschbar zu sein, solange Russland Waffen liefert und China Handel ermöglicht.

Andererseits aber - und das wird immer wichtiger - haben die Generäle mit einer großen Schwäche zu kämpfen: "Jedes Regime braucht zumindest einen Hauch von Legitimität, um sich längere Zeit an der Macht zu halten", sagt Gareth Price, Asienexperte am politischen Institut Chatham House in London. "Aber es ist nicht erkennbar, wie die Junta in Myanmar sich diese Legitimität erwerben könnte, und das wird langfristig für sie zum Problem." Die Generäle mögen in fein gebügelten Uniformen und als Wächter des Staatswesens auftreten, aber sie sind, wie Price sagt, "nichts anderes als ein Haufen Gangster". Und alle im Land wissen das.

Autoritäre Regierungen herrschen vielerorts in Asien, doch sie haben Wege gefunden, sich jedenfalls einen Hauch von Akzeptanz zu sichern. Gewalt und Zwang alleine fundieren keine dauerhafte Herrschaft. China und Vietnam sind Einparteiensysteme, die wenig Freiheiten zulassen, aber gleichzeitig haben sie Wohlstand gefördert, Armut bekämpft. In Thailand schützen Soldaten durch Coups immer wieder eine Monarchie, die trotz wachsender Kritik am König tief verwurzelt ist. So merkwürdig es auch klingen mag: Aber selbst ein so menschenverachtendes Regime wie Nordkorea verzichtet nicht darauf, seine Herrschaft ideologisch zu untermauern, indem es einen intensiven Personenkult pflegt. Und die Militärherrscher von Myanmar? Sogar ein brutales Regime wie das von Baschar al-Assad in Syrien könne sich auf mehr Anhänger stützen als die Junta in Naypyidaw, konstatiert Price sarkastisch.

Früher war das in Myanmar noch anders. Armeeführer konnten sich zumindest darauf berufen, dass sie als Wächter der Nation den Staatszerfall verhinderten. Das sicherte ihnen einen gewissen Rückhalt im Mehrheitsvolk, bei den Birmanen. Der Feind, das waren all die kleinen Armeen ethnischer Minderheiten, die an den Rändern Myanmars lebten, die Chin oder die Karen. Der Vielvölkerstaat, der früher Birma hieß, hatte seinen Frieden ja nie gefunden, der Zweite Weltkrieg und eine missglückte Dekolonisierung stürzten das Land in eine Dauerkrise, die dem von Birmanen dominierten Militär eine Schlüsselrolle sicherte.

Doch ist Myanmar Anfang 2022 nicht mehr das Land, das die Generäle in früheren Jahrzehnten halbwegs beherrschten. Die Bevölkerung hat zehn Jahre lang erlebt, wie Demokratie aufkeimte. Sie will die Zeiten nicht mehr zurückdrehen. Die Generäle aber haben das ignoriert, womöglich nicht einmal verstanden. Sie setzen seit dem 1. Februar 2021 darauf, nur genügend Druck aufbauen zu müssen, damit sich die Leute beugen. Doch das ist nicht gelungen. Und ohne Mitarbeit der Massen lässt sich die Wirtschaft des Landes nicht aufrichten. Denn die ist zusammengebrochen.

Was den Generälen aber am meisten schaden dürfte: Die ethnischen Rebellengruppen haben Allianzen mit dem demokratischen Widerstand geknüpft, der sich teils ebenfalls bewaffnet. Damit fällt es der Armee immer schwerer, sich als Schutzherrin der Nation aufzuspielen. Denn der Widerstand speist sich nun maßgeblich aus dem Mehrheitsvolk der Birmanen.

Angeblich sind Tausende Soldaten und Polizisten desertiert

Die Gegner der Junta wissen, dass ihnen keine ausländischen Truppen zu Hilfe eilen werden. Deshalb bleibt ihnen nur eine Hoffnung: dass die myanmarische Armee - irgendwann - auseinanderbricht. Politologe Price sieht in den Berichten von Desertationen erste Anzeichen dafür. Die Soldaten sollen Krieg führen, aber wissen nicht, wofür.

Die zivile Untergrundregierung von Myanmar, kurz NUG, versuche alles, Soldaten zur Flucht zu verhelfen, erklärte deren Sprecher Sasa auf Anfrage schon vor einigen Wochen. Angeblich haben sich bereits 2000 Soldaten von der Truppe abgesetzt, hinzu kommen 8000 Polizisten, wie der Economist berichtete. Ein desertierter Hauptmann beschrieb die Stimmung auf der Plattform Myanmar Now: "Wenn jeder desertieren könnte, der wollte, blieben in der Kaserne nur der Oberbefehlshaber und der Flaggenmast übrig."

Ist das tatsächlich so, könnte es bald zu einer Zerreißprobe für die Militärführung kommen, vielleicht die größte Gefahr für die weitere Herrschaft von Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing. Wird er in fünf Jahren noch immer die Armee führen? Politologe Price wagt eine Prognose: "Ich glaube, eher nicht."

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