Mutmaßlicher Kriegsverbrecher:Ratko Mladic in Serbien gefasst

In Serbien ist der meistgesuchte Kriegsverbrecher Europas festgenommen worden. Präsident Boris Tadic bestätigte die Verhaftung des ehemaligen Generals Ratko Mladic. Er ist in Den Haag wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Kriegs angeklagt.

Ratko Mladic ist nach mehr als 15 Jahren auf der Flucht in Serbien festgenommen worden. Der als Kriegsverbrecher gesuchte frühere bosnisch-serbische General soll an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt werden.

Das Verfahren zur Überstellung könnte allerdings noch bis zu einer Woche dauern. Die Dauer des Verfahrens hänge davon ab, ob Mladic gegen eine Überstellung Rechtsmittel einlege, sagte Serbiens stellvertretender Staatsanwalt zur Ahndung von Kriegsverbrechen, Bruno Vekaric.

Der Staatssekretär im Justizministerium, Slobodan Homen, sagte, Mladic werde derzeit einem Untersuchungsrichter vorgeführt, der ihm die gegen ihn erhobenen Vorwürfe verlesen werde. Sollte der Richter die Überstellung nach Den Haag anordnen und sollte Mladic dagegen keine Rechtsmittel einlegen, könnte der 69-Jährige binnen Stunden in ein Flugzeug Richtung Niederlande gesetzt werden. Dies galt aber als unwahrscheinlich. Den endgültigen Überstellungs-Beschluss müsste zuvor noch der serbische Justizminister unterschreiben. Das serbische Staatsfernsehen hatte zuvor berichtet, dass Mladic bereits in einem Flugzeug nach Den Haag sitze.

Mladic ist wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Kriegs zwischen 1992 und 1995 angeklagt. "Im Namen der Republik Serbien teile ich mit, dass Ratko Mladic verhaftet wurde", sagte Serbiens Präsident Boris Tadic in einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Jetzt könne Serbien "ein unrühmliches Kapitel seiner jüngeren Geschichte" abschließen.

Die Ergreifung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers gilt seit langem als Voraussetzung für einen Beitritt Serbiens zur Europäischen Union. "Ich hoffe, dass jetzt die Türen offen stehen", sagte Tadic.

Für Serbien hat Mladics Verhaftung auch symbolische Bedeutung. Sie öffne auch die Türen für die Versöhnung auf der ganzen Balkanhalbinsel, sagte Tadic. "Die Verhaftung ist wichtig für die Versöhnung". Serbien schließe damit ein Kapitel seiner Geschichte und befreie sich von einer schweren Last.

Tadic verweigerte allerdings alle Angaben über Einzelheiten der Verhaftung. Das werde später durch die Sicherheitskräfte mitgeteilt, kündigte er an. "Mladic wurde auf dem Boden Serbiens verhaftet", sagte er lediglich.

Bekannt wurde mittlerweile, dass der von vielen seiner Landsleuten immer noch hoch geschätzte Mladic nicht mit seiner Verhaftung gerechnet hatte, hinter seiner falschen Identität als Milorad Komadic Schutz suchte. Er wurde in einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen in der Provinz ohne große Zwischenfälle festgenommen. Dort hatte er bei einem Verwandten Unterschlupf gefunden. Die immer befürchtete Schießerei der Leibgarde um Mladic und das von ihm angedrohte Blutbad gab es nicht.

Der gewöhnlich gut informierte TV-Sender B92 in Belgrad meldete, die Festnahme sei durch den Geheimdienst in dem Dorf Lazarevo bei Zrenjanin, im Norden des Landes, erfolgt. Lazarevo liegt in der Autonomen Provinz Vojvodina, ungefähr 80 Kilometer von Belgrad entfernt.

"Freiheit für die serbischen Heroen"

Erst in einem am Donnerstag bekannt gewordenen Bericht des Anklägers Serge Brammertz an den US-Sicherheitsrat heißt es, die Anstrengungen Serbiens zur Festnahme Mladics und anderer Verdächtiger seien "unzureichend". Dies untergrabe die "Glaubwürdigkeit" Belgrads, vollständig mit dem Tribunal zu kooperieren.

Vor allem wird Mladic eine Beteiligung an dem Massaker von Srebrenica zur Last gelegt. In der bosnischen Enklave wurden im Juli 1995 beim schlimmsten Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg rund 8000 muslimische Männer und Jungen getötet. Auch die jahrelange Belagerung von Sarajewo und die vielen Toten in der bosnischen Hauptstadt werden Mladic angelastet, ebenso wie "ethnische Säuberungen" und die Gräuel in Internierungslagern. Seit 1995 ist Mladic auf der Flucht.

"Riesenverrat an Serbien"

In ersten Kommentaren zeigten sich viele Serben tief enttäuscht über die Verhaftung. "Mladic hat uns jahrelang verteidigt, hat dem Staat geholfen und den Armen Essen gegeben", lautet eine Zuschrift an die Zeitung Blic. "Riesenverrat an Serbien" und "Freiheit für die serbischen Heroen", hieß es in anderen Kommentaren.

Bei der letzten Umfrage hatten sich noch 51 Prozent der Bürger gegen eine Verhaftung von Mladic ausgesprochen. Der heimische Politik-Analyst Zoran Dragis hat eine klare Antwort auf die Frage, warum Mladic nach so vielen Jahren gerade jetzt dingfest gemacht wurde. "Es bleibt der Eindruck, dass die Regierung in Serbien die ganze Zeit wusste, wo er sich versteckt", sagte er der Belgrader Agentur Beta: "Und als jetzt die EU-Kandidatur bedroht wurde, musste man Mladic schnell aufspüren."

Staatspräsident Tadic, der alles im Land bestimmt und alle Fäden fest in der Hand hält, hat sich möglicherweise zu dieser hoch riskanten Strategie durchgerungen: Weil seine DS-Partei - einst mit Abstand stärkste Kraft im Land - dramatisch an Zustimmung verloren hat, benötigt er einen neuen Trumpf vor den nächsten Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr. Angesicht einer darnieder liegenden Wirtschaft, einer völlig verunglückten Privatisierung sowie von Arbeitslosigkeit und sozialer Not soll die EU-Mitgliedschaft jetzt das neue politische Ass im Ärmel werden.

Dazu müssen der Bevölkerung die Segnungen Brüssels nahe gebracht werden. Dafür bleibt bis zum Frühjahr noch genügend Zeit. Bis dahin, so hofft Tadic, werden alle Mladic-Fans die Vorteile von dessen Verhaftung eingesehen haben und ihm und seiner DS doch noch einmal eine Chance einräumen.

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