Süddeutsche Zeitung

Mutmaßlicher Angriff mit Chemiewaffen:Zivilisationsbruch vor Damaskus

Es ist eine Frage des Willens: Die USA oder Russland könnten dank ihrer Spionagetechnik schon lange wissen, wer in Syrien Chemiewaffen gegen wen einsetzt. Die Welt sollte ein dringendes Interesse daran haben, dies herauszufinden. Denn wenn Assad wirklich diesen Zivilisationsbruch begangen hat, dann darf niemand mehr dieses Regime stützen oder mit Waffen beliefern.

Ein Kommentar von Kurt Kister

Man hat gelernt, dass Geheimdienste nahezu jede Form von Geheimnis brechen können. Mithilfe von Satelliten, Flugzeugen oder Drohnen lässt sich fast alles beobachten und analysieren; die elektronische Aufklärung wiederum überwacht alle Arten der menschlichen Kommunikation. Den Rest besorgen Agenten in klassischer Manier.

Nein, es soll diesmal nicht die Rede davon sein, wie NSA und deren Spießgesellen nach Belieben die Privatsphäre unbescholtener Bürger beschädigen. Vielmehr geht es darum, dass ein bewusster Einsatz von Aufklärungstechnik und Spionen in und über Syrien längst den Nachweis hätte erbringen können, ob und von wem dort chemische Waffen eingesetzt werden oder nicht. Und wer, wie Amerikaner oder Russen, aus großer Entfernung Kommandoeinsätze steuern kann, der wäre auch in der Lage, selbst in umkämpftem Gebiet und unter Bruch der Souveränität des betroffenen Staates schnellstens Boden- oder Blutproben nach einem mutmaßlichen C-Waffengebrauch beizubringen. Es ist eine Frage des Willens.

Zu Recht gilt der Einsatz von Chemiewaffen selbst in einem regellosen Bürgerkrieg wie dem in Syrien als Zivilisationsbruch. So ungefähr hat auch US-Präsident Obama vor einem Jahr argumentiert. Seitdem aber hat Washington zu wenig unternommen, um sich zu vergewissern, ob jene rote Linie denn nun überschritten worden ist. Von Moskau ist in diesem Zusammenhang nicht zu reden. Wie zu Sowjetzeiten hält Putinistan dem alliierten Vasallen Assad die Treue. Vermutlich hat das mehr mit Weltmannssucht als mit rationaler, wenn auch moralloser Außenpolitik zu tun.

Das Gas von Damaskus könnte ein Wendepunkt werden

Propaganda, gerade solche der schauerlichsten Art, ist ein probates Kriegsmittel. Russen und Amerikaner, Europäer und Araber müssen größtes Interesse daran haben, entweder die Propaganda zu entlarven oder eben den Zivilisationsbruch festzustellen. Sollten Assads Truppen Giftgas verschossen und damit Hunderte Menschen getötet haben, dann darf niemand mehr, aus was für Gründen auch immer, dieses Regime stützen oder mit Waffen beliefern. Allerdings ist eben auch denkbar, dass radikale Guerilleros chemischen Massenmord als Keule gegen das militärisch noch relativ stabile Regime einsetzen.

Auch der Sturz Assads bedeutete mutmaßlich kein Ende des Bürgerkriegs. Aber es gibt Ereignisse, die selbst in einer furchtbar verfahrenen Situation wegen ihrer Schrecklichkeit zum Wendepunkt werden können. Srebrenica war so ein Ereignis; das Gas von Damaskus könnte es werden.

Dafür aber muss die Welt Gewissheit haben. Die Inspektoren der UN müssen Zugang zu den mutmaßlichen Orten des Grauens bekommen, jetzt und notfalls mit einer bewaffneten Eskorte. Niemand, nicht das zaudernde Washington, nicht Russland und China oder die händeringenden Europäer dürfen diesmal wieder unter gegenseitigem Gezeter sich dieser Verpflichtung entziehen. Und selbst wenn es nicht konsensual geht, gibt es Mittel und Wege, die nötigen Proben zu beschaffen.

Anmerkung der Redaktion: Zu dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien kursieren zahlreiche Bilder mit zum Teil schockierenden Motiven. Wir gehen bei der Auswahl von Fotos äußerst vorsichtig vor, denn viele der Bilder stammen nicht von Fotografen etablierter Agenturen, sondern von Privatleuten und Bürgerjournalisten. Quellenlage und der Wahrheitsgehalt vieler Bilder sind daher nur sehr schwer zu überprüfen.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2013/mati
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