Mutmaßliche IS-Terroristin:Verteidiger: Safia S.s Reife entspricht der einer 13-Jährigen

  • In Celle beginnt das Verfahren gegen Safia S.
  • Die heute 16-jährige Deutsch-Marokkanerin steht im Verdacht, im Auftrag des "Islamischen Staats" einen Polizisten angegriffen zu haben.
  • Um die Angeklagte zu schützen, findet der Prozess hinter verschlossenen Türen statt.

Von Wiebke Ramm, Celle

"Soll ich Safia und du sagen? Oder Frau S.?" Richter Frank Rosenow lächelt freundlich. Der Verteidiger beugt sich zu Safia S., flüstert ihr ein paar Worte ins Ohr. Safia S. ist 16 Jahre alt, sie trägt Brille, hellbraunes Kopftuch, graumelierten Wollmantel und schwarze Hose. Sie sagt: "Ja, Safia und du reicht."

Der Ton im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle ist am Donnerstag freundlich, fast väterlich. Richter Rosenow lächelt viel, lacht auch mal. So war er schon im Prozess gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff zu erleben, als Rosenow noch Richter am Landgericht Hannover war. Seine zugewandte Art hat ihn damals aber nicht daran gehindert, der Staatsanwaltschaft einige deutliche Worte mitzugeben. Rosenow ist ein freundlicher Mensch, ein kompetenter Jurist ist er auch. Wulff wurde freigesprochen. Rosenow hat also Erfahrung mit spektakulären Prozessen. Nun hat er es erneut mit einem sehr speziellen Fall zu tun.

Safia S. mag Justin Bieber, und sie mag Katzen. Davon zeugen Fotos auf der Facebook-Seite der Gymnasiastin aus Hannover. Auf die Idee, dass das Mädchen mutmaßlich im Auftrag der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in Deutschland töten wollte, muss man erst mal kommen. Die Ermittler haben es lange nicht für möglich gehalten - bis Safia S. am 26. Februar im Hauptbahnhof Hannover mit einem Messer auf einen Bundespolizisten einstach. Seit Donnerstag muss sie sich wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung der terroristischen Vereinigung IS vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Celle verantworten.

Safia S. ist Deutsch-Marokkanerin - ohne es zu wissen

Aus Sicht des Generalbundesanwalts hat das Mädchen den ersten direkt vom IS in Auftrag gegebenen Angriff in Deutschland verübt. Ihr Verteidiger hält das für eine bloße Behauptung ohne Belege. Um das Gerichtsgebäude patrouillieren schwer bewaffnete Polizisten.

"Du hast die deutsche und die marokkanische Staatsbürgerschaft?", fragt der Richter. "Nein, nur die deutsche", sagt Safia S. - und irrt. "Möglicherweise weißt du davon nichts", sagt Rosenow. "Der König von Marokko entlässt ungern seine Staatsbürger aus der Staatsbürgerschaft", sagt Verteidiger Mutlu Günal. Safia S. ist also ohne ihr Wissen Deutsch-Marokkanerin.

Wegen des jungen Alters der Angeklagten findet die Hauptverhandlung hinter verschlossenen Türen statt. Ein Prozess gegen eine Jugendliche soll vor allem der Erziehung, weniger der Strafe dienen. Schon nach rund 20 Minuten schickt der Richter alle Zuschauer und Journalisten aus dem Saal. Der Schutz der Angeklagten überwiege das Interesse der Öffentlichkeit, sagt er: "Es gilt, die Angeklagten vor weiteren Bloßstellungen und Stigmatisierung zu beschützen."

Die Öffentlichkeit muss also draußen bleiben, wenn der Senat über Schuld und Unschuld von Safia S. und dem Mitangeklagten Hasan K. verhandelt, und möglicherweise auch Pannen der Ermittler zur Sprache kommen. Bereits die Anklage wird an diesem Tag hinter verschlossenen Türen vorgetragen. Und auch das Urteil wird ohne Zuhörer verkündet werden.

Der Verteidiger geht von einem Freispruch aus

Außerhalb des Saales sagt Verteidiger Günal: "Ich gehe derzeit fest davon aus, dass das Verfahren mit einem Freispruch endet." Er hege "ganz erhebliche Zweifel", dass Safia S. Einsicht in das Unrecht ihrer Tat hatte. Seiner Ansicht nach entspreche ihre Reife nicht der einer 16-, sondern eher der einer 13-Jährigen. Ihrer Reife nach wäre Safia S. dann strafunmündig. Das Gericht hat eine Jugendpsychiaterin beauftragt, ein Gutachten über das Mädchen zu erstellen.

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft hat die damals 15-Jährige an jenem Freitagnachmittag im Februar zunächst eine Kontrolle am Hauptbahnhof provoziert. Der Polizist fragte das Mädchen nach seinem Ausweis. Im nächsten Moment stieß Safia S. dem 34-Jährigen ein Gemüsemesser in den Hals. Der Mann erlitt eine fünf Zentimeter tiefe Schnittwunde und musste operiert werden. Er ist Nebenkläger im Prozess. Aus der Untersuchungshaft schrieb Safia S. ihm einen Entschuldigungsbrief.

Der Generalbundesanwalt geht davon aus, dass Safia S. den Polizisten "als Repräsentanten der von ihr verhassten Bundesrepublik" töten wollte. Laut Anklage soll sie vorgehabt haben, mit seiner Dienstwaffe weitere Menschen zu töten.

Safia S. erlangte in der Salafisten-Szene früh Berühmtheit. Im Alter von sieben Jahren rezitierte sie neben Pierre Vogel, dem Bonner Salafistenprediger, erstmals Koranverse. Drei weitere Auftritte folgten. Da war sie acht und neun Jahre alt.

Am 22. Januar 2016 ist sie von Hannover nach Istanbul geflogen. Die Bundesanwaltschaft ist davon überzeugt, dass sie nach Syrien wollte, um sich dort dem IS anzuschließen. Stattdessen soll sie noch in der Türkei von IS-Mitgliedern den Auftrag für eine "Märtyrertat" in Deutschland bekommen haben.

Der Mitangeklagte versuchte vor dem Prozess zu fliehen

Mit Safia S. auf der Anklagebank sitzt Hasan K. Er ist 20 Jahre alt und gilt juristisch als Heranwachsender. Das heißt, er kann entweder nach Erwachsenen- oder nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Hasan K. hat seine Haare kurz geschoren, den Bart gestutzt. Seine Jeans hat er bis über die Knöchel hochgekrempelt, wie es sich für einen gläubigen Muslim gehört. Der Deutsch-Syrer aus Hannover soll gewusst haben, dass Safia S. im Auftrag des IS eine "Märtyrertat" in Deutschland plante. Weil er nicht zur Polizei ging, muss er sich nun mit ihr vor Gericht verantworten.

Gegen Hasan K. läuft parallel ein anderes Ermittlungsverfahren. Der damals 19-jährige Schüler steht im Verdacht, mit den angeblichen Terrorplänen zu tun zu haben, die im November 2015 zur Absage des Fußballländerspiels Deutschland gegen die Niederlande in Hannover geführt haben. Einen Monat vor Beginn des Prozesses gegen ihn und Safia S. versuchte Hasan K. zu fliehen. In Griechenland wurde er festgenommen. Am Dienstagabend ist er gerade noch rechtzeitig zum Prozess nach Deutschland ausgeliefert worden.

Bei einer Verurteilung drohen Safia S. im Höchstfall zehn Jahre, Hasan K. fünf Jahre Gefängnis. Das Gericht hat Termine bis Ende Januar 2017 anberaumt.

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