Muslime in Deutschland:"Kopftuch fördert Integration"

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Das Ziel der Islamkonferenz, die Bundesinnenminister Schäuble ausrichtet, ist klar: Muslime sollen sich besser in Deutschland eingliedern. Über den Weg dahin streiten sich aber die Geister. Der ehemalige Verfassungsrichter Mahrenholz spricht sich für mehr Rücksicht gegenüber Muslimen aus.

Ernst Gottfried Mahrenholz war von 1981 bis 1994 Richter und von 1987 bis 1994 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts.

Ex-Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz (Foto: Foto: ddp)

SZ: Die muslimischen Verbände dringen bei der Islamkonferenz auf mehr Rechte, die Bundesregierung dagegen bremst. Sind die Muslime reif für eine Gleichstellung mit den Kirchen?

Mahrenholz: Die Zeit für eine Gleichstellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts halte ich noch nicht für gekommen. Wenn es aber konkret um einen eigenen Religionsunterricht geht, so können die Verbände auch ohne Körperschaftsstatus auf dieses Recht pochen. Rechtsansprüche gibt es sogar auf muslimische Kindergärten oder Privatschulen.

SZ: Eigene Kindergärten und Schulen - das klingt nicht nach mehr Integration.

Mahrenholz: Nein, überhaupt nicht. Aber was tut die Mehrheitsgesellschaft? Die Hannoversche Landeskirche etwa hat ihren muslimischen Erzieherinnen verboten, mit Kopftuch in den Kindergarten zu gehen - anstatt zu sagen: Hier habt ihr Muslime einen Ansprechpartner, ihr braucht keine eigenen Einrichtungen.

SZ: Der muslimische Dachverband, der Koordinationsrat, ist gegen die Kopftuchverbote für Lehrerinnen. Würden Kopftücher im Unterricht eine Abschottung fördern?

Mahrenholz: Nein, das fördert die Integration. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits klargestellt: Das Kopftuch ist auch während des Unterrichts grundrechtlich geschützt. Leider haben die Richter erklärt, wenn der Schulfrieden gestört sein könnte, darf das Kopftuch per Gesetz verboten werden.

Diese Auffassung dient nicht der Integration. Denn man muss fragen: Wer stört eigentlich den Schulfrieden? Wäre es nicht möglich, eine Lehrerin im Streitfall zu versetzen? Durch solche Verbote machen wir das Kopftuch zu einem Symbol einer muslimischen Identität statt zu einem Symbol der Integration.

SZ: Der Muslim-Rat tritt für einen nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht ein, wenn Eltern das wünschen. Das hat ihm scharfe Kritik eingebracht.

Mahrenholz: Überall, wo es zu solchen Konflikten kam, haben die Gerichte gesagt: Das elterliche Erziehungsrecht ist im Grundgesetz verbürgt. Die Eltern haben ein Recht darauf, ihre Kinder nicht am gemischten Sportunterricht oder an Klassenfahrten teilnehmen zu lassen. Integration hat eine einfache Philosophie: Respekt der Muslime vor unserer Rechtsordnung, Respekt der Mehrheitsgesellschaft vor ihrer Kultur.

SZ: Bundesinnenminister Schäuble verlangt darüber hinaus ein Bekenntnis zur "deutschen Werteordnung". Ist das sinnvoll?

Mahrenholz: Ich weiß nicht, was die "deutsche Werteordnung" ist. Wenn es darum geht, dass alle Bürger das Grundgesetz respektieren, dann stimme ich natürlich zu. Aber Werteordnung ist ein schwammiger Begriff. Das kann von der Nächstenliebe bis hin zur freiheitlichen Staatsordnung gehen. Die Grundrechte der Verfassung dagegen sind als Normen definiert und damit fassbarer.

SZ: Kann ein Dachverband, der sich nicht aus Einzelpersonen zusammensetzt, tatsächlich eine Körperschaft werden wie die großen Kirchen?

Mahrenholz: Eher nein. Es wäre hilfreich, wenn die muslimischen Verbände sich auf Einzelmitglieder stützen könnten. Allerdings setzt ein Fortschritt in dieser Frage mehr Offenheit des Staates voraus.

SZ: Wird es in Deutschland in den nächsten 20 Jahren eine Islamsteuer geben analog zur Kirchensteuer?

Mahrenholz: Das hängt davon ab, ob die Muslime daran interessiert sind. Wenn sie eine Körperschaft werden sollten, dann dürfen sie Steuern erheben; kleine Körperschaften tun dies trotzdem nicht. Viel wichtiger ist aber, ob die Mehrheitsgesellschaft die Anliegen der Muslime wirklich ernst nehmen will.

Nehmen wir die muslimischen Kinder. Wir können uns nicht den Verlust der Begabung auch nur eines Kindes erlauben, denn gerade in Deutschland beruht unser wirtschaftlicher Erfolg auf Bildung. Diese Kinder müssen gefördert werden, egal, ob die Muslime nun eine einheitliche Vertretung haben. Die Gesellschaft muss sich so weit öffnen, dass sich Muslime sagen: Wir gehen jetzt zum Rathaus, weil wir dort auf offene Ohren treffen.

© SZ vom 3.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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