Süddeutsche Zeitung

Muslimbrüder in Ägypten:Zäh, aber nicht zukunftsfähig

Natürlich wäre es nötig, die Muslimbrüder in Ägypten auch nach dem Sturz von Mursi in den politischen Prozess einzubeziehen. Aber dazu scheinen sie nicht bereit. Sie haben ihre Chance verspielt, weil sie ihre Popularität mit der Zustimmung für ihre Ideologie verwechselt haben. Dass sie einen Staat im 21. Jahrhundert führen können, ist nicht zu erkennen.

Ein Kommentar von Sonja Zekri, Kairo

Eine der groteskeren Drohungen in diesen Tagen kommt vom Sinai. Nach der Entmachtung der Muslimbrüder und ihres Präsidenten Mursi hatten die Islamisten der Halbinsel umgehend Vergeltung angekündigt, denn: "Die Zeit der Friedfertigkeit ist vorbei." Dann töteten sie fünf Polizisten, schossen einen Priester nieder, stürmten das Büro des Gouverneurs und hissten die schwarze Flagge.

Nur: Der Sinai ist seit Langem eine Brutstätte der Militanten, einige sind während des Aufstandes gegen Mubarak aus dem Gefängnis geflohen, andere lernten das Töten in Afghanistan. Ideologisch trennt sie wenig von al-Qaida, aber viel von Ägypten. Drogen- und Menschenhandel florieren. Die Halbinsel, sagen Sicherheitsdienste, hat Pakistan als Trainingslager für Dschihadisten überholt. So viel zur Friedfertigkeit.

Nicht nur für Apologeten der Muslimbrüder ist die drohende Radikalisierung enttäuschter Islamisten eines der stärksten Argumente gegen Mursis Entmachtung. Gewiss, der vom Volk ersehnte Putsch ist ein Fest für al-Qaida. Aus Syrien und dem Irak donnert die Gruppe ihre Verachtung für Demokratie in die Welt. Nur das Schwert bringe Wandel, nur Munitionskartons, nicht Wahlurnen. Aber hatte al-Qaida je etwas für Wahlen übrig?

Der politische Islam ist in eine neue, vielleicht entscheidende Phase eingetreten. So gefährlich Prognosen zu diesem Zeitpunkt sein müssen: Es wird um das Verhältnis des Islamismus zur Demokratie gehen. Und zur Gewalt. Sind die Religiösen eine politische Herausforderung? Oder nur ein Sicherheitsproblem?

Märtyrerkitsch und Erpressung

Am Freitag beschwor der Führer der Muslimbruderschaft vor Anhängern die Zerstörung der "Feinde des Islam", also: aller Mursi-Gegner. Minuten darauf marschierte ein knüppelschwingender Mob auf seinen politischen Gegner los. Das hatte nichts mit der Verteidigung der Demokratie zu tun, aber viel mit Märtyrerkitsch und mit Erpressung. Natürlich wäre es dringend nötig, die Muslimbrüder jetzt in den politischen Prozess einzubeziehen. Aber dazu scheinen sie so wenig bereit zu sein wie vor einer Woche.

Festnahmen von politischen Führern und abgeschaltete Fernsehsender passen nicht zu jenem Ägypten, das Europa sich wünscht und das sich die Ägypter wünschen. Auch Deutschland würde kaum Sender tolerieren, die Mordaufrufe verbreiten. Es gehört zu den neuen Opferlegenden, dass die Islamisten im demokratischen Spiel keine Chance bekommen. Ägypten zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Die Muslimbrüder haben ihre Chance verspielt. Zur Demokratie gehören nicht nur der Wahlsieg, sondern auch die Teilung der Macht und das Risiko ihres Verlustes.

Ein böser Satz besagt, dass Nasser, Sadat und Mubarak versucht hätten, die Muslimbrüder zu erledigen - erst Mursi habe es geschafft. Man sollte sich keine Illusionen machen: Ägyptens Muslimbrüder leben noch, ihre Zähigkeit ist sprichwörtlich. Manche warten auf einen Aufstand innerhalb der Gruppe, die Jungen könnten übernehmen und modernisieren. Alle bisherigen Versuche endeten stets mit dem Ausschluss der Reformer.

Der Größenwahn der Muslimbrüder hat viele gläubige Ägypter abgeschreckt

Ohnehin würde das Ende der Muslimbrüder nicht den Abschied vom politischen Islam bedeuten. Sie haben, obwohl sie so auftreten, keinen Alleinvertretungsanspruch auf die Ideologie der Frommen, sondern mit ihrem Größenwahn viele gläubige Ägypter abgeschreckt. Und deshalb gibt es auch die anderen, die sich in ihrem Misstrauen gegen die Frommen durch Ägypten ermutigt fühlen. Im Gazastreifen sammeln ein paar Inspirierte schon Unterschriften gegen den Muslimbruder-Sprössling Hamas, Ähnliches hört man aus syrischen Städten im Griff der Islamisten.

Die Muslimbrüder sind die Mutterorganisation aller islamistischen Gruppen der Region, ihr Scheitern erschüttert ihre Ableger in Libyen und Syrien und Gaza. Das ägyptische Experiment ist modellhaft gescheitert. Säkulare Optimisten frohlocken, verweisen auf die Proteste gegen Erdogans türkischen Wohlstandsislamismus, auf das schiitische Iran, wo sich der Gottesstaat nur als Diktatur hält. Auch wenn der Islamismus nicht am Ende ist, die Krise ist unübersehbar.

Die einstige Reformbewegung ist erstarrt. Religion als Grundlage der Politik trägt den Keim der Ausgrenzung in sich. Gesellschaften wie jene Ägyptens sind zerrissen zwischen religiöser Nostalgie und Aufbruch, das macht die Wucht der Auseinandersetzung aus. Ägyptens Islamisten haben ihre Popularität in jenem einzigartigen historischen Moment vor einem Jahr mit der Zustimmung für ihre Ideologie verwechselt. Dass sie in der Lage sind, einen Staat im 21. Jahrhundert zu führen, dass sie auch nur begriffen haben, wo ihre Fehler liegen, ist nicht zu erkennen.

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SZ vom 08.07.2013/olkl
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