Musikhören:Der Reiz des Zufalls

Apple verabschiedet sich vom iPod Shuffle. Warum Durcheinander den Alltag manchmal spannend macht.

Von Jens-Christian Rabe

Als der amerikanische Computerkonzern Apple am Freitag bekannt gegeben hatte, den Verkauf seines Musikabspielgeräts iPod Shuffle einzustellen, war das Aufsehen groß. Bemerkenswert ist in Zeiten der Allmacht des Smartphones allerdings weniger das Verschwinden eines weiteren, unübersehbar veralteten digitalen Spielzeugs. Bemerkenswert ist eher, dass es Apple, das damals noch das inzwischen verstorbene Marketing-Genie Steve Jobs führte, mit dem iPod Shuffle absurderweise gelang, so zu tun, als könne man den Zufall als Vergnügungsprinzip neu erfinden. Der Slogan der Werbekampagne lautete: "Life is random" - das Leben ist Zufall.

Passender wäre die Zeile gewesen: "Sie entscheiden selbst, wann der Zufall ihr Leben beherrscht." Denn darum ging es eigentlich. Nicht um die Hingabe an die anstrengende und mitunter grausame Zufälligkeit des Lebens, sondern die Illusion der Möglichkeit ihrer finalen Zähmung. Motto: Bitte mehr vom Bekannten, nur in einer neuen Reihenfolge. Mit dem Gerät, dass die Ordnung der gespeicherten Songs durcheinanderwürfeln konnte, ließ sich der Zufall alltagstauglich machen. Die Sache selbst war schon mit den CD-Playern der Neunzigerjahre möglich gewesen, bei denen eine Taste mit zwei gekreuzten Pfeilen den Shuffle-Modus in Gang setzte. Die Frage ist bloß: Gibt es den kontrollierten Zufall? Die beiden gekreuzten Pfeile werden natürlich trotzdem nicht verschwinden, die Musikstreaming-Dienste, die heute den Takt bei der Massenmusiknutzung angeben, haben sie auch im Angebot. Aber obwohl dort theoretisch inzwischen wirklich so etwas wie eine rein zufällige Musikauswahl möglich wäre, wird es sie nur in sehr begrenztem Ausmaß geben. Dafür sorgen die personalisierten Geschmacksalgorithmen. Denn einen Nutzer, dem jeder zweite Song nicht gefällt, der in seiner Playlist auftaucht, wird ein Dienst bald verlieren.

Schade eigentlich. In Wahrheit ist in der Werkseinstellung des Lebens ja die Zufallstaste erst mal immer schon gedrückt. Und spätestens seit der Finanzkrise könnte doch die Zeit gekommen sein, den echten Zufall wirklich zu umarmen. Der Crash beruhte schließlich im Wesentlichen auf einem Phänomen, das Forscher wie der amerikanische Verhaltensökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann "Kompetenzillusion" nennen. Als Kahnemann die Arbeit und das Selbstverständnis von Wertpapierhändlern unter die Lupe nahm, stellte er fest, dass sich die Händler selbst als kompetente Fachleute sahen, "die einer seriösen Arbeit nachgingen, und ihre Vorgesetzten sahen das genauso". Tatsächlich ergab die statistische Auswertung ihrer Erfolge, dass sie ein reines Zufallsspiel spielten. Warum dieses Spiel nicht selbst sofort spielen, mit offenen Karten?

Wenn es gut läuft, könnte es einem wie dem Börsenhändler und Mathematiker Nassim Taleb gehen. Taleb ist der Ansicht, dass man sich damit abfinden muss, dass das Leben nicht die Folge aktiver Planungen ist, sondern der Effekt einer "Handvoll ungeplanter signifikanter Erschütterungen". Taleb wettete deshalb mit Unsummen auf ein Ereignis, das alle Welt für ausgeschlossen hielt: den Crash von 2008.

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