Musik:Und jetzt alle

Die Band "Radiohead" wirft der Sängerin Lana Del Rey Plagiat vor. Doch können Richter klären, wer eine Melodie erfunden hat?

Von David Pfeifer

Solange kein DNA-Test für Ohrwürmer entwickelt wird, bleibt es schwierig zu klären, wie eine Melodie in einen Kopf hineingekommen ist, wenn sie diesen in Form eines Liedes wieder verlassen hat. In der vergangenen Woche wurde ein Streit zwischen der Band Radiohead und der Sängerin Lana Del Rey öffentlich, in dem es darum geht, dass Del Reys Lied "Get Free" sich an dem Radiohead-Hit "Creep" bedient habe. Beides sind molltönende Balladen, die ihre Hörer in Weltschmerz tauchen. Das kann daran liegen, dass die eine von den anderen abgeschrieben hat, oder daran, dass Melancholie beiden Künstlern als Mittel dient, um Emotionen hervorzukitzeln - mit beträchtlichem finanziellen Erfolg. Um Geld geht es bei diesem Streit natürlich auch.

Pop-Nerds wissen, dass "Creep" sich bereits recht ähnlich anhörte wie "The Air That I Breathe" von The Hollies von 1974. Jeder, der Musik macht, fängt mal als Musikhörer an. Lana Del Rey ist Jahrgang 1985, sie war acht Jahre alt, als "Creep" im Radio hoch und runter jammerte. Das ist ein Alter, in dem man auch "Mein Hut, der hat drei Ecken" vor sich hinsummt, ohne sich über Urheberrechte Gedanken zu machen. Das Lied über den Dreispitz, das deutsche Kinder bis heute singen, geht auf ein neapolitanisches Volkslied zurück, das Niccolò Paganini als "Carnevale di Venezia" in seinen Konzerten variierte. Tschaikowsky ließ in der "Ouvertüre 1812" die Marseillaise erklingen, Schostakowitsch zitierte in seiner 15. Symphonie Rossini und Wagner. In der klassischen Musik war das Adaptieren einer Melodie nicht nur erlaubt, sondern üblich. In der Zeit des Barock eigneten sich Komponisten gerne ein Stück eines anderen an, variierten, plagiierten, änderten die Instrumentierung oder den Text. Dieses sogenannte Parodieverfahren war eine beliebte Arbeitsweise, auch von Johann Sebastian Bach. Und doch gilt Bach als Genie.

Nun definierten einzelne Harmoniefolgen in der klassischen Musik nicht gleich das ganze Stück, wie das in einem Pop-Song sehr wohl der Fall sein kann. Und es gab im Barock keine Tantiemen.

Radiohead ist eine der Rockbands, die Erfolge feierten, als man noch mit Tonträgern reich werden konnte. Lana Del Reys Kulturprägung fand in einer Zeit statt, in der Musik als Verkaufsgegenstand weniger wert war. Die Sängerin inszeniert sich als Hollywood-Diva der 1940er-Jahre, ist aber Kind der Jetztzeit. So beschwerte sie sich am Donnerstag per Twitter vor ihren Fans, "obwohl ich weiß, dass mein Lied nicht von Creep inspiriert ist, denken Radiohead, es sei doch so, und wollen 100 Prozent der Tantiemen". Auf einem Konzert sagte sie, der Song "Get Free" müsste womöglich von ihrem Album entfernt werden. Del Rey gab an, sie habe zuvor 40 Prozent angeboten. Das Radiohead-Management widersprach dem. Man sei in Verhandlungen.

Sollte die Sache vor ein Gericht gehen, wäre die prozentuale Verteilung eine Aufgabe, die sogar Pop-Nerds unmöglich erscheinen muss. Immerhin hatten auch Radiohead schon vor Jahren Teile ihrer Rechte an "Creep" teilen müssen: mit Mike Hazlewood und Albert Hammond, die 1974 den Hit "The Air That I Breathe" geschrieben hatten.

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