Murat Kurnaz' Buch:Der Mann aus dem Drahtkäfig

Murat Kurnaz hat ein Buch über seine Gefangenschaft in Guantanamo geschrieben. "Fünf Jahre meines Lebens" ist trotz seines schwerwiegenden Inhalts im sachlichen Ton verfasst - und ist ein Dokument, das die USA entlarvt.

Agnes Steinbauer

Folter durch Kälte, Hitze und Lärm, Isolationshaft, tagelanges Hängen an Eisenketten, sadistische "Wasserspiele" der Wärter, Schläge, Hunger und Krankheiten: Mit seinem "Bericht aus Guantanamo" gibt Murat Kurnaz dem Leser einen detaillierten, oft schwer erträglichen Einblick in die Hölle, durch die der junge Deutsch-Türke gegangen ist.

Murat Kurnaz

Murat Kurnaz' Buch über seine fünf Jahre in Guantanamo: "Ich höre Schreie. Es sind meine Schreie."

(Foto: Foto: AP)

Der heute 25-Jährige schildert mit Hilfe seines Ghostwriters Helmut Kuhn, was passiert, wenn man ins Netz von dumpfen Befehlsempfängern und Schlägern gerät, die im Namen eines Anti-Terror-Krieges zur Verteidigung von Demokratie und Freiheit die Menschenrechte mit Füßen treten.

"Weißt du, was die Deutschen mit den Juden gemacht haben? Genauso machen wir es jetzt mit euch." Mit diesem Satz, so Kurnaz, sei er im "Camp X-Ray", in Guantanamo Bay auf Kuba von einem Soldaten namens Gail Holford begrüßt worden. "X-Ray" (Röntgenstrahlen) das deutet auf die "Durchsichtigkeit" eines Lagers hin, in dem die Gefangenen noch heute - ohne Rückzugsmöglichkeit und den Launen der Wärter ausgesetzt - in ihren Drahtkäfigen leben. Murat Kurnaz kam im Februar 2002 dort an.

"Ich höre Schreie ... es sind meine Schreie"

Da war er 19 Jahre alt und hatte bereits zwei Monate völliger Rechtlosigkeit, Willkür und Folter in pakistanischen Gefängnissen und in einem US-Militärgefängnis bei Kandahar in Afghanistan hinter sich. Als er am 1. Dezember 2001 in der Nähe von Peschawar/Pakistan an einem Auto-Checkpoint festgenommen wurde, ahnte er nicht, dass er als mutmaßlicher Al-Qaida-Terrorist eine lange Odyssee vor sich hatte.

Nach Kurnaz' Schilderungen verliefen die Verhöre durch die Amerikaner, denen er in Guantanamo fast täglich ausgesetzt war, immer gleich ab. Er sollte seine Mitgliedschaft im weltweiten Terrornetzwerk zugeben und die Namen seiner "Komplizen" verraten. Weil er immer wieder seine Unschuld betonte und die sprachliche Verständigung schwierig war, endeten die Verhöre mit Schlägen und Folter; so wie an dem Tag, als ihm über Elektroden an seinen Füßen Strom durch den Körper gejagt wurde. ". . . Ich höre Schreie . . . es sind meine Schreie", erinnert sich Kurnaz in seinem Buch.

Verdächtig gemacht hatte sich der 19-jährige Schiffbauer aus Bremen, weil er in Begleitung von Mitgliedern der Gruppe Jamaat Tablighi nach Pakistan gereist war - zum Koranstudium, wie er sagte, um sich auf die Ehe mit seiner strenggläubigen türkischen Ehefrau vorzubereiten.

Die Motive für Kurnaz' Reise nach Pakistan, so kurz nach dem 11. September 2001, in das Nachbarland der Taliban-Hochburg Afghanistan sind bis heute nicht eindeutig geklärt. War es wirklich nur eine "Pilgerfahrt" oder hatte der 19-Jährige doch vor, sich in Pakistan dem Terrorkampf gegen die "Ungläubigen" anzuschließen? Bis jetzt ist das ein blinder Fleck im Leben von Murat Kurnaz. Schließlich gelten die Jamaat Tablighi bei Terrorismus-Experten als Verbindungsgruppe zu al Qaida.

Offene Fragen

Kritikern, die die Glaubwürdigkeit seines Berichtes deshalb in Frage stellen, muss jedoch entgegengehalten werden, dass über 300 mittlerweile freigelassene Guantanamo-Häftlinge über ähnliche Erfahrungen berichten, dass der Terrorverdacht gegen Kurnaz auch nach jahrelanger Folter nicht bewiesen werden konnte und dass im Januar 2005 eine amerikanische Bundesrichterin die Inhaftierungen auf Guantanamo als "verfassungswidrig" beurteilte und im Fall Murat Kurnaz feststellte, dass die Informationen über ihn nicht ausreichten, um ihn einzusperren.

Dennoch gibt es Passagen in dem Buch, die stutzig machen, etwa die, in dem der Verfasser von einem deutschen Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes erzählt, dem er aus dem Lager in Kandahar einen Brief an seine Familie mitgibt, der ihm bei einem späteren Verhör von den Amerikanern um die Ohren gehauen wird. Warum sollte der Repräsentant einer neutralen Hilfsorganisation mit den Peinigern eines offensichtlich schwer malträtierten Gefangenen kollaborieren? Diese Frage lässt das Buch offen.

Warum Kurnaz erst im Sommer 2006 freikam, obwohl die Amerikaner bereits 2002 signalisiert hatten, ihn zu entlassen, und welche möglicherweise unrühmliche Rolle die damalige Bundesregierung und der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier dabei hatten, soll im BND-Untersuchungsausschuss geklärt werden.

Klar ist jedoch bereits jetzt, dass die damalige Bundesregierung kein Interesse an Kurnaz' Rückkehr nach Deutschland hatte und durch ihr Zögern und den Wunsch, ihn in die Türkei abzuschieben, die Chance auf eine Freilassung vorübergehen ließ. Für den jungen Mann bedeutete das vier weitere Jahre in der Hölle von Guantanamo. Dort sei er sogar von deutschen Soldaten der Elite-Einheit KSK misshandelt worden, von denen er Hilfe erwartet hatte.

Mahnung an die westliche Welt

Nachdem sie ihn blutig geschlagen hätten, richteten sie, so Kurnaz, zur Unterhaltung ihrer amerikanischen Kollegen, ihre Maschinenpistolen auf die Gefangenen und taten so, als ob sie sie erschießen würden.

"Fünf Jahre meines Lebens" ist - seinem schwerwiegenden Inhalt zum Trotz - ein leises, zurückhaltend geschriebenes Buch. Es ist in jenem sachlichen Ton verfasst, mit dem Murat Kurnaz bereits vor dem BND-Untersuchungsausschuss manchen beeindruckte. Aber nicht nur als Schilderung eines tragischen Einzelschicksals ist es unbedingt lesenswert.

Es ist vor allem ein Dokument, das die USA - zumindest in ihrem Anti-Terror-Kampf - als ein Land entlarvt, das gegen die Genfer Konventionen verstößt und sich völkerrechtswidrig verhält. Es ist auch eine Mahnung an die westliche Welt, die viel zu viele Augen zudrückt; die Bundesregierung - deren Kanzlerin allerdings andererseits die Freilassung Kurnaz" bewirkt hat - eingeschlossen.

Schließlich ist das Buch eine Erinnerung daran, dass das, worüber Murat Kurnaz berichtet auch heute noch möglich ist. Denn leider ist "Guantanamo" auch im Jahr 2007 längst nicht Vergangenheit.

Murat Kurnaz/Helmut Kuhn: Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo. Rowohlt, Berlin 2007. 285 Seiten, 16,90 Euro.

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