Süddeutsche Zeitung

Muhammad Ali:"Ihr seid meine Gegner, wenn ich Freiheit will"

Auch abseits des Boxrings wurde Muhammad Ali zu einer Ikone und zog sein Publikum mit rhetorisch brillanten Reden in den Bann.

Von Christoph Behrens

In der Nacht im Februar 1964, als Cassius Marcellus Clay den amtierenden Schwergewichtschampion Sonny Liston in der siebten Runde besiegte, stand ein Mann weit vorne im Publikum in Miami Beach und beobachtete den technischen K.o. mit einem Lächeln: Malcolm X, einer der einflussreichsten Schwarzenführer der USA. Die Wetten standen deutlich gegen Clay. Doch Malcolm war nicht überrascht von dem Sieg. Er war überzeugt, es sei göttlicher Wille, dass Clay Liston besiegen würde. So wird es in der Biographie "Blood Brothers: The Fatal Friendship Between Muhammad Ali and Malcolm X" geschildert, sie zeichnet die Freundschaft zwischen dem Sportler und dem Aktivisten nach.

Nach dem überraschenden Sieg folgte der Schock für das Establishment: Bei der Pressekonferenz am Tag darauf gab Clay verdutzten Reportern bekannt, er nenne sich nun "Cassius X" - ein klarer Hinweis auf die Zugehörigkeit zur afroamerikanischen Organisation "Nation of Islam", einer Religionsgemeinschaft, die Schwarze mithilfe des Islam von der Unterdrückung durch die Weißen befreien wollte. Und der bekannteste Vertreter dieser Organisation war Malcolm X. Einen Monat später nannte sich Cassius Clay in Muhammad Ali um und gab an, zum Islam konvertiert zu sein.

In diesen Wochen wurde Ali zu der politischen und spirituellen Figur, die er Zeit seiner Karriere, Zeit seines Lebens geblieben ist. Die Namensänderung fällt genau in die Zeit der schwersten Rassenunruhen in den USA, die auch die Bürgerrechtsbewegung selbst zunehmend spaltete. Auf der einen Seite vertraten Bürgerrechtler wie Martin Luther King Methoden des friedlichen Widerstands, propagierten christliche Ideen von Feindesliebe und Gewaltlosigkeit. Auf der anderen Seite gewannen radikalere Kräfte wie die "Nation of Islam" an Zulauf, die eine kulturelle und moralische Überlegenheit der Schwarzen propagierte. Aktivisten waren aufgefordert, ihren "Sklavennamen" durch einen Kampfnamen X zu ersetzen. Gemäßigte Bürgerrechtler wie King kritisierten daher Clays Entscheidung vehement - sie sahen die Sache der Schwarzen, eine friedliche Integration mithilfe von Bürgerrechten zu erreichen, durch die Radikalisierung gefährdet.

"Ich habe geistigen Frieden gefunden"

Muhammad Ali gelang jedoch das, was er auch im Boxring gegen scheinbar übermächtige Gegner wie George Foreman schaffte: zeigen, dass er größer war, als seine Kritiker ihm zutrauten. Mit der Weigerung, für die USA in den Vietnamkrieg zu ziehen, bewies er 1967 endgültig, dass seine Überzeugungen nicht einem plumpen Hass entsprangen, ja, dass er größer war als die Grabenkämpfe innerhalb der Bürgerrechtsbewegung. Nein, er werde keine "hungrigen armen Menschen für das große mächtige Amerika töten", erklärte Ali diese feste pazifistische Überzeugung in einem Interview. Wozu auch? Diese Menschen, die er töten solle, hätten ihm nie irgend etwas angetan. "Sie haben mich nie Nigger genannt." Die Kriegsdienstverweigerung brachte ihn um den WM-Titel, drei Jahre wurde er als Boxer gesperrt. In zahlreichen Interviews, bei Fernsehauftritten und Reden musste Ali seine Entscheidung verteidigen. Gar nichts habe er damit verloren, konterte er seine Kritiker, sondern im Gegenteil viel gewonnen: "Ich habe geistigen Frieden gefunden. Ich habe Frieden im Herzen gefunden. Ich weiß jetzt, dass ich dem allmächtigen Gott selbst gerecht werde."

Oft ist Ali ein Großmaul genannt worden, vor allem für markige Sprüche gegenüber seinen Gegnern ("Steh auf, du Penner"). Doch in den politischen Reden jener Zeit zeigt sich, dass Ali auch die Zwischentöne beherrschte. Dieselbe Mischung aus Tänzeln und Härte, die ihn im Ring auszeichnete, machte ihn auch am Rednerpult unvergleichlich. Bei den schwierigsten Themen konnte er sein Publikum leichtfüßig umgarnen, es mit kleinen Witzen völlig in seinen Bann schlagen - bevor er ihm den finalen Schlag versetzte. Austeilen konnte er auch rhetorisch. Als ihm weiße Studenten einmal seine Kriegsdienstverweigerung um die Ohren hauen wollten, erwidert er ungerührt: "Ihr redet mit mir über irgendeine Einberufung, und dabei könnt all ihr weißen Jungs es doch gar nicht erwarten, in die Schweiz, nach Kanada oder London zu kommen." Vietkongs solle er bekämpfen, dabei stünden seine Gegner doch direkt vor ihm. "Ihr seid meine Gegner, wenn ich Freiheit will. Ihr seid meine Gegner, wenn ich Gerechtigkeit will. Ihr seid meine Gegner, wenn ich Gleichheit will."

Aufruf gegen radikalen Islamismus

Ein Kämpfer für seine Überzeugungen ist Ali auch nach dem Ende seiner Karriere als Boxer geblieben, jemand der sich einmischt, der sich traut, den Mund aufzumachen. Und sei es ein Stückchen zu weit - immer noch besser als den Kopf einzuziehen. Dafür wurden Ali in den vergangenen Jahrzehnten höchste Ehren zuteil: UN-Generalsekretär Kofi Annan ernannte ihn zum Friedensbotschafter der Vereinten Nationen, George W. Bush verlieh ihm als "Mann des Friedens" die Freiheitsmedaille, die höchste zivile Ehrung der USA.

In einem seiner letzten öffentlichen Statements, im Dezember 2015, wandte sich Ali gegen den radikalen, gewaltbereiten Islamismus: "Ich bin Muslim und es ist nichts Islamisches daran, unschuldige Menschen in Paris, San Bernardino oder irgendwo anders in der Welt zu töten. Wahre Muslime wissen, dass die erbarmungslose Gewalt sogenannter islamischer Dschihadisten gegen die wahren Grundsätze unserer Religion verstößt." Zugleich warnte Ali angesichts rassistischer Töne im US-Vorwahlkampf vor einer zunehmenden Diskriminierung von Muslimen.

Muhammad Ali ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Seine Stimme, ao unangenehm sie auch werden konnte, wird der amerikanischen und der westlichen Gesellschaft fehlen.

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