Familien:Mehr als ein Drittel der Mütter hat kein Vertrauen in die Bundesregierung

Familien: Wer leistet die Sorgearbeit? Symbolfoto

Wer leistet die Sorgearbeit? Symbolfoto

(Foto: NomadSoul /IMAGO)

Der Unterricht fällt aus, die Kita ist geschlossen, und Fiebersaft gibt es auch nicht. Ausbaden müssen es meist Mütter. Ihr Vertrauen in die Bundesregierung schwindet. Warum das so ist - und was die Politik dagegen tun will.

Von Tim Frehler

Das Vertrauen von Müttern in die Bundesregierung hat während der Corona-Pandemie Schaden genommen: Nicht einmal jede zehnte Mutter sagte im November 2022, "sehr hohes" oder "hohes" Vertrauen in die Bundesregierung zu haben. Das zeigen Daten, die das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) Anfang der Woche veröffentlicht hat. Ein Drittel der befragten Mütter gab sogar an, "überhaupt kein Vertrauen" in die Bundesregierung zu haben. So einen hohen Wert haben die Forscher bislang noch nie gemessen.

Die Daten stammen aus der Erwerbspersonen-Befragung des WSI. Seit Beginn der Pandemie haben die Forscher immer wieder Erwerbstätige und Arbeitsuchende nach ihrer Lebenssituation gefragt. An der jüngsten Erhebung im November haben mehr als 5000 Personen teilgenommen. Die Frage, wie viel Vertrauen Mütter der Bundesregierung entgegenbringen, stellten die Wissenschaftler erstmals im Oktober 2021. Die Anzahl der Mütter, die sagt, sie habe "überhaupt kein Vertrauen" in die Bundesregierung, hat sich seitdem mehr als verdoppelt: von 16 Prozent im Oktober 2021 auf 34 Prozent im November 2022.

Zwar zeigen die Daten des WSI einen generellen Verlust des Vertrauens in die Bundesregierung. Auch bei den Männern hat das Vertrauen in die Arbeit von Olaf Scholz und seinem Kabinett abgenommen, bei der Teilgruppe der Väter sind die Werte im Vergleich zur letzten Erhebung im April annähernd gleich geblieben. Doch bei keiner Gruppe ist der Wert so weit im Keller wie bei Müttern.

Es geht um die Organisation der Kinderbetreuung - und generell der Sorgearbeit

Wie konnte es so weit kommen? Und warum unterscheiden sich Männer und Frauen so deutlich in ihrem Vertrauen in die Bundesregierung?

Einen Teil der Antwort liefert die Aufteilung der Kinderbetreuung. Noch immer übernehmen Frauen den überwiegenden Teil der sogenannten Sorgearbeit. Sie erlebten daher stärker, wie sich die Betreuungssituation in Kitas und Schulen verschlechtere, Kinder darunter litten und Frauen in ihrer Karriereplanung eingeschränkt seien, sagt Sonja Bastin, Soziologin an der Universität Bremen. "Sie erkennen, dass das, was vor der Pandemie schon nicht vereinbar war, jetzt erst recht nicht vereinbar ist", sagt Bastin. "Das führt zu der Erwartung an die Politik, dass etwas getan werden muss." Weil Maßnahmen aber ausblieben, sinke das Vertrauen weiter und weiter.

Bastin fordert ein generelles Umdenken beim Thema Sorgearbeit: "Beim Elterngeld, in der Pflege oder bei Kitas wird immer die Frage gestellt, wer das bezahlen soll. Aber wir können ja alle nicht leben, wenn diese Sorgearbeit nicht geleistet wird. Kein Geschäft könnte öffnen", sagt Bastin. "Das, was im Moment getan wird, reicht nicht."

Ähnlich sieht das die frauenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Heidi Reichinnek: "Es ist ganz klar, dass sich die Gesellschaft wandeln muss", sagt sie der SZ. Politik müsse die Rahmenbedingungen dafür schaffen: Etwa durch 28 Tage Elternschutz für den zweiten Elternteil, eine paritätische Elternzeit von 12 Monaten für jeden Elternteil oder kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich.

Dabei können die Vertreter der Regierungsparteien im Bundestag leicht aufzählen, was sie alles auf den Weg gebracht haben: Leni Breymaier, familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, verweist auf das Bürgergeld und den gestiegenen Mindestlohn. Beim Bafög und beim Wohngeld habe die Ampelkoalition die Gelder erhöht und den Kreis der Berechtigten erweitert. Außerdem steige das Kindergeld zum 1. Januar. "So viel Erhöhung war nie", sagt Breymaier der SZ. Die geplante Kindergrundsicherung werde "ein Meilenstein".

Nina Stahr, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, hebt das Kita-Qualitätsgesetz hervor. Außerdem gebe es seit Kurzem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, an die sich Eltern wenden können, wenn sie im Job diskriminiert werden. Die FDP reklamiert für sich, in der Ampelkoalition frühzeitig flächendeckende Schul- und Kita-Schließungen verhindert zu haben. Außerdem seien die Steuerfreibeträge für Alleinerziehende angehoben worden, sagt Nicole Bauer, Sprecherin für Frauenpolitik und Diversity der FDP.

Die Reform der Kindergrundsicherung zieht sich

Das Problem bei vielen dieser Projekte: Eine direkte Wirkung spüren Mütter noch nicht. Mehr Kindergeld gibt es erst im neuen Jahr, beim Wohngeld rechnen Behörden mit langen Wartezeiten. Andere sind gerade erst in Planung: An der Reform der Kindergrundsicherung arbeiten sechs Ministerien. Im Januar will die grüne Familienministerin Lisa Paus erste Eckpunkte vorlegen, Ende 2023 einen Gesetzentwurf. 2025 könnte erstmals Geld fließen.

CSU-Politikerin Dorothee Bär kritisiert das: Ministerin Paus rede seit ihrem Amtsantritt über die Kindergrundsicherung, "ohne dass hier inzwischen auch nur ein konkreter Punkt zu lesen wäre", sagt Bär der SZ. Sie sieht nicht nur Mängel bei der Umsetzung von Projekten, sondern auch Fehler in der Kommunikation. "Was besonders enttäuschend ist, ist die Schweigsamkeit des Bundeskanzlers zu diesem Thema."

Das Bundespresseamt verweist auf Anfrage an das Familienministerium. Von dort war keine Stellungnahme zu erhalten.

Die hohe Belastung bei Müttern, die finanziellen Sorgen, die Einschränkungen im Berufsleben, "das wird langfristige Folgen haben", sagt die Soziologin Sonja Bastin. "Familien produzieren nicht nur neue Menschen. Sie prägen sie fürs Leben." Wer als Kind vermittelt bekomme, dass der Staat nicht für ihn da ist, dass er nicht beachtet wird, der schüttele das nicht so schnell ab. Und so schwindet das Vertrauen der Familien in die Politik.

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