Süddeutsche Zeitung

Müntefering will mehr Überläufer:SPD wirbt um Linke

Lesezeit: 2 min

Nach dem Übertritt einer Europa-Politikerin Kaufmann sieht Franz Müntefering die Linkspartei im Niedergang. Indirekt wirbt der SPD-Vorsitzende um weitere Überläufer.

Nach dem Wechsel der Linken-Europapolitikerin Sylvia-Yvonne Kaufmann zur SPD hat Parteichef Franz Müntefering indirekt um weitere Überläufer aus der Linkspartei geworben. Dabei unterschied er in der Berliner Zeitung zwischen Parteimitgliedern aus West- und Ostdeutschland und kritisierte Linken-Chef Oskar Lafontaine. "Ich nehme doch nicht freiwillig diese WASG-Leute. Das sind Parteienfrikassierer", sagte Müntefering. "Die Vernünftigen kommen zu uns." Mit "Parteienfrikassierer" sind Sektierer gemeint, die eine Partei in einzelne Fraktionen zerlegen. Die westdeutsche Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) war mit der ostdeutschen PDS zur Partei Die Linke fusioniert.

Lafontaines Linkspartei, die in Umfragen derzeit bei um die zehn Prozent liegt, habe "den Höhepunkt überschritten", sagte der SPD-Chef an die Adresse seines früheren Parteikollegen. Der Linken-Europapolitiker André Brie sieht nach dem Parteiaustritt seiner Kollegin Kaufmann Versäumnisse der Parteispitze. Er nehme mit Empörung zur Kenntnis, dass die gesamte Parteiführung seit langem einen Kulturverfall laufen lasse, sagte Brie am Freitag dem MDR.

"Wir haben beträchtliche Kreise, die ohne Kultur, ohne Inhalte mit ideologischen Glaubenssätzen um sich werfen, die sich darin gefallen, sich von der Gesellschaft, von Europa-Politik zu isolieren und auch innerhalb der Partei mit Machtkämpfen und Diffamierungen arbeiten", kritisierte er. Das charakterisiere aber nicht die gesamte Partei.

Kritik an der Europapolitik

Zugleich betonte Brie aber, dass er selbst über einen Parteiaustritt nicht nachdenke. "Ich bin Linker durch und durch", sagte der Europapolitiker. Brie vertritt wie Kaufmann einen EU-freundlicheren Kurs. Beide waren beim Europa-Parteitag der Linken Anfang März in Essen mit einer Kandidatur für einen Platz auf der Europa-Liste gescheitert.

Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warb nach dem Wechsel von Kaufmann um weitere wechselwillige Linke. "Immer mehr in der früheren PDS begreifen, dass Lafontaine mit Hilfe westdeutscher Sektierer die Pragmatiker an die Wand drückt", sagte Heil der Leipziger Volkszeitung. "Wer sich zu den Grundwerten der Sozialdemokratie bekennt, dem stehen unsere Türen offen." Kaufmann hatte am Donnerstag ihren Wechsel zur SPD mitgeteilt und dies damit begründet, dass sie mit ihrer Position zum EU-Reformvertrag bei der Linkspartei "gescheitert" sei. Kaufmann war zu DDR-Zeiten Mitglied der Staatspartei SED und gehörte später zu den Gründungsmitgliedern der SED-Nachfolgerin PDS.

Innerparteiliche Debatten

Linke-Chef Lothar Bisky wies den Vorwurf zurück, dass sich die Partei unter dem Einfluss Lafontaines radikalisiere. "Es gibt aktuelle innerparteiliche Debatten über die Richtung, die die Partei einschlagen soll", sagte Bisky dem Tagesspiegel.

"Es gibt aber keine Anti-Oskar-Stimmung. Das wäre auch politisch fatal, weil es das linke Projekt gefährden würde." Der Linkspartei-Europaabgeordnete André Brie schloss als Reaktion auf den Parteiwechsel einen eigenen Austritt vorerst aus. Brie zeigte in der in Halle erscheinenden Mitteldeutschen Zeitung erneut Verständnis für Kaufmanns Schritt. Mit seiner Partei ging er hart ins Gericht. "Wir haben einen Verfall der politischen Kultur in unserer Partei und eine Verstärkung sektiererischer und anti- europäischer Tendenzen", kritisierte der früher oft als Linke-Vordenker bezeichnete Brie.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.464897
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
dpa/AFP/vw
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.