Franz Müntefering:Der redegewandte Reformer

Franz Müntefering prägte die SPD jahrzehntelang, schuf dutzende Politik-Weisheiten und kämpfte gegen "Heuschrecken". Ein Rückblick auf sein Leben zum 80. Geburtstag.

Von Robin Hetzel

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Kaum eine Persönlichkeit hat die SPD in den vergangenen Jahrzehnten so geprägt wie Franz Müntefering. Und kaum ein Politiker hatte dabei so viele verschiedene Posten inne wie er. Nicht alle dieser Stationen verliefen reibungslos. Denn bei Müntefering stößt man oft auf geteilte Lager: Befürworter seines Politikstils, die ihn als cleveren Architekten der Hartz IV- und Rentenreformen feiern und Kritiker, die ihm vorwerfen, dabei sozialdemokratische Prinzipien verraten zu haben. Über eine Tatsache herrscht aberEinigkeit: Die Karriere des redegewandten SPDlers war alles andere als langweilig. Ein Rückblick in Bildern zu seinem 80. Geburtstag:

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Franz Müntefering (hier mit Parteifreundin Ingrid Stahmer) wird am 16. Januar 1940 in Arnsberg im Sauerland geboren. Da sein Vater erst im Krieg und dann in Kriegsgefangenschaft ist, wird der Junge nur von seiner Mutter aufgezogen. Später einmal wird er sagen, dass er das Selbstbewusstsein, das er als Politiker ausstrahlt, von seiner Mutter in die Wiege gelegt bekommen habe. In seiner Jugend ist der Katholik für einige Jahre Ministrant. Nach der Schule entscheidet sich Müntefering, eine Lehre als Industriekaufmann zu absolvieren. Motiviert durch die Niederlage Willy Brandts findet der Gewerkschaftler 1966 dann zur SPD. Müntefering ist erst im Sauerland Gemeinderat, schafft es dann 1975 mit 35 Jahren in den Bundestag.

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Konsequent und zielstrebig arbeitet Müntefering (hier 1998 neben seinem Vorgänger Verkehrsminister Matthias Wissmann) an seiner politischen Karriere. Er wird Bezirksvorsitzender, später Mitglied des Bundesparteivorstands und 1992 schließlich Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen. Schon früh zeigt sich Münteferings Wille zu Reformen, so zum Beispiel seine eigenmächtige Umstrukturierung einiger SPD-Bezirke. Ab 1995 ist er für drei Jahre Bundesgeschäftsführer der SPD, bevor 1998 zwei neue Posten antritt: Er übernimmt den Landesvorsitz der nordrhein-westfälischen SPD und wird kurze Zeit später Bundesverkehrsminister im Kabinett von Kanzler Gerhard Schröder.

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Schröder und Müntefering pflegen in den darauffolgenden Jahren ein enges freundschaftliches Verhältnis. Mit den 2002 gemeinsam vorangetriebenen Hartz-IV-Gesetzen krempeln sie den Arbeitsmarkt um. Sie lösen eine Debatte aus, die bis heute anhält. Unter Parteichef Schröder steigt "Münte", wie er in der Partei genannt wird, zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion auf. Sein Wort hat in der SPD große Bedeutung. Unter anderem auch, als es um die schwierige Frage nach einem Bundeswehreinsatz im Afghanistankrieg geht.

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Müntefering wird schnell für seine markigen, nüchternen und teils polemischen Sprüche bekannt. Auf dem Sonderparteitag 2004 in Berlin beerbt Müntefering nicht nur mit 95,1 Prozent der Stimmen seinen Parteifreund Schröder an der SPD-Spitze. Von dem Parteitag bleibt vor allem sein berühmter Aphorismus "Opposition ist Mist" nachhaltig im Gedächtnis des Berliner Politikbetriebs. Seine Worte werden in der SPD in den folgenden Jahren viel zitiert.

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Zwei weitere Bonmots aus dem Repertoire Münteferings folgen Anfang 2005: Im Februar äußert sich der damals 68-Jährige euphorisch über seinen Jobs als Parteivorsitzender: "Das ist das schönste Amt neben dem Papst." Kurze Zeit später löst der SPD-Politiker mit seinem Vergleich, anonyme Investoren seien wie Heuschrecken, eine mehrere Monate andauernde Debatte über die "international wachsende Macht des Kapitals" aus, die man konsequent bekämpfen müsse, wie er erklärt.

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Münteferings Euphorie über seinen SPD-Parteivorsitz ist nur von kurzer Dauer. Die SPD beschließt im Oktober 2005, einen neuen Generalsekretär zu wählen. Die Wahl des SPD-Parteivorstands fällt auf Andrea Nahles, nicht auf den von Müntefering favorisierten Kandidaten. Als Reaktion auf die von ihm als Misstrauensvotum gewertete Wahl des Parteivorstands zieht Müntefering eine direkte Konsequenz: Noch vor Abschluss der laufenden Koalitionsverhandlungen tritt er von seinem Parteivorsitz zurück. Enttäuscht wird er danach vermutlich nicht lange gewesen sein. Denn Müntefering überredet seine Partei nicht nur zu Verhandlungen über eine große Koalition (eine "Lebensabschnittspartnerschaft", wie er es nennt), sondern wird nach erfolgreichen Groko-Verhandlungen auch Vizekanzler und Arbeitsminister im Kabinett von Angela Merkel.

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Als Arbeitsminister kurbelt Müntefering eine Reform an, die noch heute kontrovers diskutiert wird: Quasi im Alleingang erhöht der Verfechter von Schröders Arbeitsmarktpolitik das Rentenalter auf 67 und überrascht damit selbst die eigene Partei. "Da muss man kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Wir müssen irgendetwas machen", begründet der gebürtige Sauerländer die Notwendigkeit der Rentenreform. Weitere Reformprojekte bleiben aus einem persönlichen Grund aus. Um seine an Krebs erkrankte Ehefrau zu pflegen, tritt Müntefering, der als Markenzeichen oft einen roten Schal trägt, nach nur zwei Jahren Amtszeit zurück.

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Keine drei Monate dauert es nach dem Tod seiner Ehefrau im Juli 2008 bis Müntefering wieder die politische Bühne betritt - in seiner zweiten Amtszeit als Parteivorsitzender. Die Verantwortung, die mit diesem Amt verbunden ist, bekommt der Politiker nur ein Jahr später zu spüren. Die SPD verliert bei der Bundestagswahl im September 2009 über zehn Prozent der Stimmen und Müntefering wird öffentlich als Teilschuldiger des Absturzes ausgemacht. Die von ihm unterstützte Agendapolitik Schröders, das Müntefering-Rentensystem und der erneute Afghanistaneinsatz der Bundeswehr werden ihm zum Verhängnis. Nicht mal ein Jahr nach Amtsantritt gibt Müntefering den Parteichef-Posten zum zweiten Mal auf.

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Im Dezember 2009 heiratet er zum dritten Mal. Die Hochzeit findet auf einer Zeche in Essen statt. Kennengelernt hat Müntefering Michelle Schumann in seinem Bundestagsbüro, wo die damals 29-Jährige arbeitete. Aber auch hier sieht sich Müntefering Kritik ausgesetzt: Der große Altersunterschied und die schnelle Wiederheirat nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau lösen Diskussionen aus.

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(Foto: Florian Peljak)

Vor der Bundstagwahl 2013 verkündet Müntefering das Ende seiner Politikerkarriere. Er werde nicht mehr für die Wahl antreten. Insgesamt 32 Jahre saß der 73-Jährige im Bundestag - mit einer Unterbrechung von sechs Jahren, in denen er sich der nordrhein-westfälischen Landespolitik widmete. Müntefering wird ehrenamtlicher Präsident des Arbeiter-Samariter-Bunds und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft. 2015 kommt auch noch der Vorsitz der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen dazu. Heute, mit 80 Jahren, übt Müntefering noch immer alle drei Ehrenämter aus.

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(Foto: lok)

Nach der verheerenden Niederlage der SPD bei der Bundestagswahl 2017 kritisiert Müntefering falsche Personalentscheidungen. In einem SZ-Interview verteidigt er schlagfertig seine Rentenpolitik, warnt abermals vor sittenwidrig hohen Gehältern für "Heuschrecken"-Manager und bezeichnet AfD-Politiker als "Parteienfrikassierer", die Parteien kaputt machen würden.

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(Foto: Florian Peljak)

Eigentlich hat Müntefering 2005 bei seinem ersten Rückzug als Parteichef versprochen, er werde nie eine Autobiografie schreiben, da er nichts von "diesen psychopathologischen Bemühungen" halte. Im März 2019 ist es dann doch so weit: Unter dem Titel "Unterwegs: Älterwerden in dieser Zeit" veröffentlicht er seine Lebensgeschichte in Buchform, die er Gerüchten zufolge auf seiner alten Schreibmaschine geschrieben haben soll. Neben einem ausführlichen Rückblick auf seine Zeit als aktiver Politiker finden sich dort, wie sollte es auch anders sein, unter anderem persönliche Ideen zur Rettung seiner SPD.

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