Süddeutsche Zeitung

US-Außenpolitik:Rückkehr in den Westen

US-Präsident Joe Biden nutzt das Forum des transatlantischen Klassentreffens, um persönlich die alte Verbundenheit zu beschwören. Und den Worten sind sogar schon ein paar Taten vorausgegangen.

Von Paul-Anton Krüger

Bevor der neue US-Außenminister Tony Blinken und seine Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland auf das Thema zu sprechen kamen, dessentwegen sie virtuell am Donnerstagabend zusammengekommen waren, hatten sie anderes zu sagen. Etwas Grundsätzliches. Ihrer gemeinsamen Erklärung stellten sie eine Art Präambel voran: Sie verkünden darin nichts weniger als die Rückkehr von Diplomatie und Multilateralismus. Insbesondere betonen sie darin die "zentrale Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft" gerade im Umgang mit "Herausforderungen, vor denen die Welt in den Bereichen Sicherheit, Klima, Wirtschaft, Gesundheit und anderem steht". Es ist, als lebe der alte Westen wieder auf nach vier Jahren "America first".

Vor einem Jahr noch hatte die Münchner Sicherheitskonferenz, das jährliche Hochamt der Transatlantiker, unter dem Motto "Westlessness" getagt - Untergang und Finsternis klangen da mit. Ein Westen, im Inneren gespalten und von illiberalen Kräften getrieben, dem der weltpolitische Gestaltungsanspruch immer stärker abhandenkommt. Das hatte sich schon im Sommer 2018 beim G-7-Gipfel im kanadischen La Malbaie manifestiert in dem berühmt gewordenen Bild, als US-Präsident Donald Trump mit verschränkten Armen dasaß, umringt von den anderen Staats- und Regierungschefs, die auf ihn einredeten.

Der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel, der Freihandel, derlei identitätsstiftende Projekte der westlichen Industrieländer hielt der mächtigste Mann der Welt vor allem für hinterlistige Versuche, sein Land zu übervorteilen. Er reiste vorzeitig ab, um Nordkoreas Diktator Kim Jong-un in Singapur zu treffen - auch das ein Statement über Prioritäten. Aus dem Flieger ließ er dann per Twitter die mühsam ausgehandelte gemeinsame Abschlusserklärung platzen.

Der Präsident will seine Partner zu mehr Konjunkturausgaben überreden

Die "Rückkehr des Westens", das wäre vielleicht das passende Motto für die diesjährige Sicherheitskonferenz geworden. Sie hätte am Freitag beginnen sollen, ist wegen der Corona-Pandemie jedoch erst einmal bis in den Sommer verschoben. Zumindest aber eine digitale Sonderausgabe sollte stattfinden - unter der Rubrik "Nach der Westlessness". Am Abend wollte US-Präsident Joe Biden sprechen. Gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatschef Emmanuel Macron, das ist bewusst gewählte Symbolik auch des Konferenzleiters Wolfgang Ischinger, einst Deutschlands Botschafter in den USA.

Biden werde sich mit einem Appell zum gemeinsamen Handeln an die Welt wenden, hieß es vorab aus Regierungskreisen in Washington. Kraft seiner Politik werde er wieder den internationalen Führungsanspruch der USA untermauern. Er werde das koordinierte Vorgehen der demokratischen Industriestaaten als unabdingbar im Kampf gegen die Corona-Pandemie und den Klimawandel hervorheben und die Bedeutung einer gemeinsamen Haltung in der Auseinandersetzung mit Russland und China betonen.

Und er werde dazu aufrufen, massiv die Wirtschaft anzukurbeln, wie es die USA mit einem Paket von 1,9 Billionen Dollar planen für Investitionen in die Infrastruktur und in Technologie. Bidens Botschaft lautet, dass das größere Risiko in übermäßiger Sparsamkeit liege - ein Signal, das nach den Austeritätsdebatten der vergangenen Jahre eher in Paris als in Berlin auf große Zustimmung treffen dürfte, wo zumindest die Union an der Schuldenbremse festhalten will. Biden werde neben der Pandemiebekämpfung auch seine Vorstellungen zum Umgang mit Russland, Afghanistan und dem iranischen Atomprogramm skizzieren.

Bei anderen Themen ist der Kurswechsel in Washington noch drastischer

Freundschaftsbekenntnisse alleine aber werden den Schaden in den Beziehungen zwischen den USA und ihren traditionellen Partnern nicht ungeschehen machen können, das ist auch in Washington klar. Das Weiße Haus und das State Department in Washington setzen deshalb viel daran, bereits in den kommenden Wochen an die Umsetzung ihrer Ankündigungen zu gehen.

Außenminister Blinken beriet am Donnerstag schon zum zweiten Mal ausführlich mit seinen E3-Kollegen. Die Spannungen in der Golfregion und der Krieg in Jemen standen dabei genauso auf der Agenda wie die Situation im Irak und der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat, der Umgang mit China, der Militärputsch in Myanmar oder die Reform der Nato.

War der Umgang mit Iran eines der nicht zu überbrückenden Streitthemen zwischen Trump und den Europäern, haben sie mit Bidens Regierung schon eine gemeinsame Sprache gefunden. Sie betonen die Bedeutung "der Rolle des Hohen Vertreters der Europäischen Union als Koordinator" des Atomabkommens. Wenig später offerierte Enrique Mora, Politischer Direktor im Dienste des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, via Twitter ein "informelles Treffen" hochrangiger Vertreter aller Vertragsstaaten einzuberufen und dazu auch die USA einzuladen. Wenige Stunden später erklären Spitzendiplomaten in Washington die Bereitschaft zu einem solchen Treffen, bei dem man mit Iran über die Schritte zur Rückkehr zum Atomabkommen und deren Reihenfolge sprechen könne.

Das Außenministerium in Teheran lehnte am Freitag umgehend ab. Stattdessen bekräftigte es die iranische Haltung, die USA müssten zunächst alle Sanktionen aufheben. Ein Treffen in multilateralem Rahmen ist für die Regierung von Präsident Hassan Rohani aber eher machbar, als es bilaterale Gespräche mit den USA sind, die der Oberste Führer Ayatollah Ali Chamenei untersagt hat.

In der Nacht kassierten die Amerikaner beim UN-Sicherheitsrat dann noch ein Schreiben der Trump-Regierung, mit dem diese verlangt hatte, alle UN-Sanktionen gegen Iran wieder in Kraft zu setzen. Blinkens Vorgänger, Außenminister Mike Pompeo, hatte so versucht, das Auslaufen des Embargos für konventionelle Waffen zu verhindern. Gefolgt war den USA damals nur die Dominikanische Republik. Aufgehoben wurden auch die von Trump verhängten Beschränkungen der Bewegungsfreiheit für Diplomaten der UN-Mission Teherans in New York.

Bei anderen Themen ist der Kurswechsel in Washington noch drastischer: Ebenfalls in der Nacht kündigte das Weiße Haus an, anfänglich zwei Milliarden Dollar für die Beschaffung von Corona-Impfstoffen für Entwicklungsländer bereitzustellen und sich bis 2022 mit zwei weiteren Milliarden an der Covax-Impfstoff-Allianz zu beteiligen. Koordiniert von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), soll sie den Zugang ärmerer Staaten zu den Vakzinen gewährleisten. Biden hatte zuvor bereits den von Trump dekretierten Austritt aus der WHO revidiert.

Ein völlig neuer Ton herrscht auch in der Nato

Auch hat er die USA ins Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz zurückgeführt. Ein von Biden für den Sommer geplanter Gipfel der Staats- und Regierungschefs soll ambitionierte Ziele zur Einsparung von Klimagasen formulieren. Die Vereinigten Staaten, nach China der größte Emittent, sollen bis 2050 Klimaneutralität erreichen.

Ein völlig neuer Ton herrscht zudem in der Nato, dem Rückgrat der transatlantischen Partnerschaft, die Trump im Ärger über "säumige Zahler" wie Deutschland nur zu gerne aufgekündigt hätte. Ohne Rücksicht auf die europäischen Alliierten hatte er zudem den Rückzug aus Afghanistan vorangetrieben. Bidens Verteidigungsminister Lloyd Austin nutzte seine erste virtuelle Konferenz mit den Kollegen aus den Mitgliedstaaten der Allianz, um ihnen zu versichern, dass nun wieder jeder Schritt abgestimmt werde. Auch der von Trump als Strafaktion angeordnete Truppenabzug aus Deutschland ist gestoppt.

Sollte das Klassentreffen der Sicherheitspolitiker in München im Sommer nachgeholt werden, könnte es für eine erste Bilanz der Renovierungsarbeiten dienen. Feststellen werden die Europäer bei aller Erleichterung dann aber auch, worauf Angela Merkel schon bei Bidens Amtseinführung hingewiesen hatte: Dass auch er Europa nicht aus der Verantwortung lassen wird, mehr für die eigene Sicherheit zu tun.

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