Münchner Sicherheitskonferenz:"Die Afghanen ermutigen"

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Der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, warnt vor zu viel Spekulationen über Gespräche mit den Taliban und stellt Bedingungen für Verhandlungen.

Interview: S. Kornelius

Richard Holbrooke ist Sonderbeauftragter von US-Präsident Barack Obama für Afghanistan und Pakistan. Er ist Gründer der American Academy in Berlin.

"Wir können nicht akzeptieren, dass die Taliban Afghanistan wieder ihre Haltung zu Frauen aufzwingen." US-Sonderbeauftragter Richard Holbrooke (Foto: Foto: Reuters)

SZ: Plötzlich erscheint es dringlich, mit denTaliban zu reden. Wieso die Eile?

Richard Holbrooke: Gibt es tatsächlich Eile? Ich sehe vielmehr erhebliche Spekulationen in den Medien. Wir sollten klar unterscheiden zwischen Wiedereingliederung und Versöhnung. Die Wiedereingliederung war Thema der Afghanistan-Konferenz in London. Das ist ein Prozess, bei dem lokale Anführer und Menschen, die im Dienste der Taliban kämpfen, die sich aber nicht al-Qaida oder den abscheulichen sozialen Praktiken der Taliban verpflichtet fühlen, wieder in der Gesellschaft willkommen geheißen werden - vorausgesetzt, sie schwören der Gewalt ab und bekennen sich zur Verfassung. Das Programm ist dringend notwendig, weil wir nicht erfolgreich sein werden, indem wir versuchen, alle Personen zu töten, die auf der Seite der Taliban kämpfen. Hinter Versöhnung steht hingegen die Idee, einen politischen Handel mit den Taliban zu schließen. Davon kann jetzt noch nicht die Rede sein. Es gibt allenfalls private Kontakte zwischen manchen Menschen und den Taliban, solche informellen Begegnungen hat es seit Beginn des Krieges gegeben. Doch es gab niemals offizielle Gespräche, noch werden solche Gespräche vorbereitet. Es gibt auch keine direkten Kontakte der USA mit Taliban-Führern. Die Spekulationen sind der Wirklichkeit weit voraus.

SZ: Könnten die inoffiziellen Kontakte zu ernsthaften Gesprächen führen?

Holbrooke: Die Außenministerin und der Präsident der USA haben die roten Linien sehr klar gezeichnet: Die Taliban müssen bereit sein, al-Qaida abzuschwören und sich mit friedlichen Mitteln an einer politischen Entwicklung des Landes zu beteiligen. Dabei ist die Rolle der Frau ganz wesentlich. Wir können nicht akzeptieren, dass die Taliban dem Land wieder ihre Haltung zu Frauen aufzwingen.

SZ: Wie stark sind die Taliban? Berichte über ihre Verfassung und Kampfbereitschaft unterscheiden sich sehr.

Holbrooke: Die Ansichten gehen auseinander, weil es widersprüchliche Hinweise gibt, je nachdem wohin man blickt. Aus der Propaganda muss man schließen, dass die Taliban das Integrationsprogramm fürchten - seit Wochen protestieren sie dagegen, lange bevor es angekündigt wurde. Die Taliban stehen unter enormem Druck sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan. Doch es ist schwierig, ihre Stärke insgesamt zu beurteilen. Dieser Krieg wird sehr lokal geführt.

SZ: Wäre es denkbar, mit Mullah Omar und dem Kern der Taliban zu sprechen?

Holbrooke: Der harte Kern der Taliban, die oberste Schura, die sich in Pakistan versteckt hält, hat nie signalisiert, dass sie bereit ist zu reden oder auch nur das geringste Interesse gezeigt, al-Qaida abzuschwören.

SZ: Wären das Voraussetzungen?

Holbrooke: Wir können nicht mit solchen Leuten und unter den momentan gegebenen Voraussetzungen über die Zukunft Afghanistans reden. Solange sie nicht bereit sind, mit al-Qaida zu brechen, sehe ich keine Basis für Fortschritt. Gleichwohl möchte ich betonen, dass dieser Krieg sicher nicht auf dem Deck eines Schiffes wie im Zweiten Weltkrieg oder an einem Ort wie Dayton wie im Fall des Bosnienkrieges enden wird.

SZ: Präsident Karsai will im Frühjahr eine Dschirga abhalten, eine Ratsversammlung. Was kann die bewirken?

Holbrooke: Karsai will damit die Menschen hinter seiner Politik versammeln. Dschirgas sind eine afghanische Tradition, um einen nationalen Konsens über die ethnischen Grenzen hinweg zu erreichen. Ich habe großen Respekt für das System der Dschirgas, weil es einer organischen Tradition des afghanischen Volkes entspringt.

Lesen Sie auf Seite zwei, welchen Rolle Pakistan und Indien laut Richard Holbrooke spielen könnten.

SZ: Pakistans Regierung nimmt nicht an der Dschirga teil, sie ist aber bedeutend für den Friedensprozess. Was ist deren Rolle bei der Versöhnung?

Holbrooke: Die Taliban-Führer haben in den letzten acht Jahren Zuflucht in Pakistan gefunden. Was dort passiert, ist deshalb von immenser Bedeutung für Afghanistan und umgekehrt. Daher führen wir intensive Gespräche mit Pakistan.

SZ: Verlangen Sie von Pakistan ein härteres Vorgehen gegen die Taliban?

Holbrooke: Wir sind dankbar, dass die pakistanische Armee vergangenes Jahr im Swat Tal und in Süd-Wasiristan eingeschritten ist. Wir unterstützen alle Aktionen, mit denen zusätzlicher Druck auf die Taliban entsteht.

SZ: Ist der pakistanische Geheimdienst ISI diesem Ziel tatsächlich verpflichtet?

Holbrooke: ISI ist der Geheimdienst, über den jetzt weltweit am meisten spekuliert wird. Ich selbst habe gute Beziehungen zum Generaldirektor, General Pasha. Er hat mir versichert, dass seine Regierung das Mögliche tut. Wir ermutigen sie, aber ich werde über die Absichten des ISI nicht öffentlich spekulieren.

SZ: Eine der ewigen Ängste der pakistanischen Regierung ist die Bedrohung durch Indien. Wäre es nicht an der Zeit, Indien in die Gespräche einzubinden?

Holbrooke: Die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan sind entscheidend für Frieden und Stabilität in der gesamten Region. Wir ermutigen beide Seiten, alles zu tun, um ihre Beziehungen zu verbessern, aber wir werden nicht als Vermittler auftreten. Ihr Problem müssen die zwei Staaten selbst lösen. Mit Kaschmir beschäftige ich mich nicht. Es gibt die Theorie, dass Kaschmir der Schlüssel für eine Lösung der afghanischen Krise ist. Damit stimme ich nicht überein. Der Streit um Kaschmir besteht seit der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans im Jahr 1947. Ihn jetzt mit anderen Konflikten zu verbinden, verkompliziert nur die Lage.

SZ: Mit dem Rückzugsdatum lässt Präsident Obama eine Lösung des Konflikts noch dringlicher erscheinen. Erzeugt er vielleicht zu viel Druck?

Holbrooke: Erinnern wir uns, was der Präsident gesagt hat: Er will mit der Übergabe der Verantwortung für Sicherheit an die afghanischen Sicherheitskräfte im Juli 2011 beginnen. Dann würde er auch mit dem Rückzug einiger US-Truppen beginnen. Er hat außer dem Starttermin kein weiteres Datum genannt.

SZ: Das Datum des Abzugs ist demnach nicht entscheidend? Holbrooke: Im Gegenteil. Es handelt sich um einen festen Termin für den Beginn des Rückzugs. Das aber darf nicht verwechselt werden mit dem Zeitrahmen für den vollständigen Rückzug, was manche gemacht haben. Wir halten es für das Beste, die Afghanen zu ermutigen, ihre Verantwortung Schritt für Schritt zu übernehmen.

© SZ vom 05.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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