Eine Woche vor der Bundestagswahl hat der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance die Abgrenzung der demokratischen Parteien zur in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) scharf kritisiert. In einer Demokratie „ist kein Platz für Brandmauern“, sagte Vance in einer höchst undiplomatischen Rede zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz, die die Grenze zur Einmischung in die deutsche Innenpolitik zuweilen überschritt. Parteien und ihre Wähler auszuschließen, so Vance, sei ein Zeichen, dass Politiker „Angst vor ihren Wählern“ hätten, und ein „sicherer Weg, um eine Demokratie zu zerstören“. Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete Vance’ Kritik als „nicht akzeptabel“. Bundeskanzler Scholz erklärte im Deutschlandfunk: „Was hier gesagt wurde, das irritiert und das darf auch nicht einfach wegkommentiert und kleingeredet werden.“
Vance sollte bei der Konferenz laut Programm zur Rolle der USA in der Welt sprechen. Die anwesenden Gäste – darunter zahlreiche Minister, Generäle und Spitzenvertreter internationaler Organisationen – hatten eigentlich erwartet, dass der Vizepräsident sich zu den Plänen der neuen US-Regierung äußert, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden soll. Auch mit einer deutlichen Warnung von Vance an die Europäer, endlich ihre Verteidigungsetats zu erhöhen oder andernfalls die Existenz der Nato aufs Spiel zu setzen, war gerechnet worden.
Doch Vance streifte beide Themen lediglich. In der Ukraine werde man zu einer „vernünftigen Lösung“ kommen, sagte er. Zudem sei inzwischen ja völlig klar, dass US-Präsident Donald Trump von den Europäern erwarte, einen größeren Anteil an ihrer Verteidigung selbst zu tragen.
Vance vergleicht die Lage in Europa mit der in der früheren Sowjetunion
Der Rest der Rede bestand in einem Generalangriff auf das, was die US-Regierung als „Zensur“ von Meinungen in Europa ansieht – vor allem von konservativen, die dem angeblich linken Konsens der Eliten widersprechen. Diese mit dem „Kampf gegen Desinformation“ begründete Unterdrückung unangenehmer Ansichten, so Vance, sei die wahre Gefahr, durch die die Demokratien des Westens bedroht würden, nicht durch „externe Akteure“ wie Russland oder China.
Als Beleg für seine Kritik zitierte Vance eine Reihe von Prozessen und Gerichtsurteilen aus verschiedenen europäischen Staaten gegen Personen, die unter anderem Gesetze gegen Hassrede in sozialen Medien gebrochen hatten – „Gedankenverbrechen“, wie Vance es nannte. Zudem führte er das Beispiel der Präsidentschaftswahl in Rumänien im vergangenen Jahr an, die vom Obersten Gericht des Landes annulliert worden war, nachdem ein weit rechts stehender, europafeindlicher Kandidat die erste Runde gewonnen hatte. Rumäniens Sicherheitsbehörden hatten dafür eine von Russland gesteuerten Kampagne in den sozialen Medien verantwortlich gemacht.
Vance verglich den heutigen Zustand in Europa mit der Lage im sowjetisch dominierten Teil Europas während des Kalten Krieges. Damals seien dort auch Dissidenten zensiert, Kirchen geschlossen, unliebsame Medien unterdrückt und unpassende Wahlergebnisse annulliert worden, so Vance. Die, die das damals getan hätten, „waren die bösen Jungs“. Es sei daher an der Zeit zu fragen, was mit denen passiert sei, die den Kalten Krieg gewonnen hätten, sagte Vance. In dieser Rolle sehe sich Präsident Trump. „Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt“, so Vance. Trump werde dafür kämpfen, dass jeder frei seine Meinung sagen könne.
Vance nimmt auch Bezug auf den Anschlag in München
An seine Kritik schloss Vance die Behauptung an, dass die Zensur der öffentlichen Meinung und die Ausgrenzung bestimmter Parteien von den europäischen Regierungen vor allem genutzt werde, um die Unzufriedenheit ihrer Wähler mit der „Masseneinwanderung“ der vergangenen Jahre zu unterdrücken. Diese durch Migration verursachte Krise sei momentan die drängendste, mit der Europa konfrontiert sei, so Vance. Man habe das erst am Vortag in München gesehen, als ein afghanischer Flüchtling einen Anschlag verübt habe. Das sei der Grund, warum in mehr und mehr europäischen Staaten die Menschen Parteien wählten, die den Zustrom von Migranten stoppen wollten. Diesen Willen der Bevölkerung zu ignorieren oder wegzuwischen, sei undemokratisch, so Vance.
Dass gerade in Deutschland die AfD nicht die Ansichten einer Mehrheit der Bürger vertritt, sondern allenfalls von 20 Prozent der Wählerschaft, störte Vance in seinen Betrachtungen nicht. Ebenso wenig die Tatsache, dass die von ihm beklagte Brandmauer die AfD nicht davon abhält, bei Wahlen anzutreten und in Parlamente einzuziehen – sondern ihr nur die Aufnahme in bestimmte Koalitionen verwehrt, sofern andere Parteien andere Mehrheiten finden. Und dabei, das machte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in seiner Grußbotschaft vor der Rede von Vance klar, werde es auch bleiben. „Mit wem wir koalieren, das entscheiden wir schon selbst“, sagte er.