Mueller-Report:Stunde der Abrechnung

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Noch weiß kaum jemand, was in dem Ermittlungsbericht steht. Die Verbündeten des Präsidenten sehen sich dennoch als Sieger und wollen dessen Gegner zur Rechenschaft ziehen.

Von Alan Cassidy

Hilfe aus Moskau: Das Plakat einer Demonstrantin in Washington zeigt Donald Trump als Baby des russischen Präsidenten Wladimir Putin. (Foto: Andrew Harnik/dpa)

Herrscht nun endlich Klarheit? Schön wär's. Das Wochenende hat William Barr, der US-Justizminister, in seinem Büro in Washington verbracht. Zwei Tage lang ging er dort den Bericht zur Russland-Affäre durch, den ihm Sonderermittler Robert Mueller am Freitagabend überbracht hatte. Er tat dies gemeinsam mit seinem Stellvertreter Rod Rosenstein, der Mueller im Mai 2017 den Auftrag zur Untersuchung gegeben hatte. Noch am Sonntag wollte Barr dem Kongress und der amerikanischen Öffentlichkeit eine Zusammenfassung der "wichtigsten Befunde" von Muellers Bericht überbringen. So hatte er es angekündigt, als er den Kongress über den Abschluss der Ermittlungen unterrichtete. Wie diese Zusammenfassung aussieht, wie transparent sie ausfällt - das blieb zunächst unklar.

Noch ist keine Zeile des Berichts publik geworden. Nicht einmal über den Umfang des Dokuments weiß man etwas. Bekannt ist nur, dass Mueller auf weitere Anklagen gegen Personen verzichtet. Daraus lässt sich ein wichtiger Schluss ziehen: Die von vielen Demokraten behauptete Zusammenarbeit zwischen Donald Trumps Wahlkampagne und russischen Kreisen gab es wahrscheinlich nicht, zumindest nicht in einem Ausmaß, das eine strafrechtliche Verfolgung rechtfertigen würde. Hätte es sie gegeben, hätten nun fast zwangsläufig neue Anklagen gegen Vertraute Trumps folgen müssen. Nach all den Erwartungen, die viele in den Medien über lange Zeit geschürt hatten, ist das eine entscheidende Entwicklung.

Trump spielt Golf und gibt erst einmal keinen Kommentar ab

Ein Befreiungsschlag für Trump also? Der US-Präsident selbst - und das war vielleicht die größte Überraschung des Wochenendes - schweigt bisher zum Ende von Muellers Untersuchung. Auch er hat den Bericht noch nicht bekommen. In seinem Luxusresort Mar-a-Lago in Florida spielte Trump Golf mit dem Musiker Kid Rock. Auch bei einer Spendengala von Anhängern, die in seinem Hotel über die Bühne ging, tauchte er am Freitagabend spontan auf. Über Muellers Bericht verlor er dabei aber kein Wort, wie Anwesende der Website Politico sagten. Das Weiße Haus verschickte zwar einige Routine-Mitteilungen über die Handelsgespräche mit China und über die Hilfe der Regierung für eine von Unwettern heimgesuchte Gegend, aber auf dem Twitter-Konto des US-Präsidenten stand ausnahmsweise, abgesehen von einem "Habt einen schönen Tag!" am Sonntag, nichts.

Umso lauter rufen seine Verbündeten bereits einen Triumph aus. Der Präsident sei total entlastet, heißt es bei ihnen. "657 Tage, Millionen ausgegeben, ein Team von Leuten, die es auf den Präsidenten abgesehen hatten, und KEINE VERSCHWÖRUNG GEFUNDEN", schrieb der republikanische Abgeordnete Matt Gaetz bei Facebook. Zwei Jahre lang hätten die Demokraten und die Medien die Amerikaner "belogen", sagte die Vorsitzende der Republikanischen Partei, Ronna McDaniel: "Sie hatten nie irgendwelche Beweise für eine Verschwörung." Und beim rechten TV-Sender Fox News überboten sich die Gäste mit Rufen nach Rache: All die Trump-Gegner, die für die "Hysterie" der vergangenen Jahre verantwortlich seien, müssten nun "zur Rechenschaft gezogen" werden, verlangte die konservative Kommentatorin Mollie Hemingway. Muellers Bericht gehöre "verbrannt", sagte der republikanische Abgeordnete Devin Nunes. Die erste Runde im Kampf um die Deutungshoheit schien am Wochenende an Trump zu gehen.

Bei dessen Gegnern war dagegen Enttäuschung zu vernehmen. Im Studio von MSNBC, in vielerlei Hinsicht ein linkes Pendant zu Fox News, suchten Moderatoren und Gäste nach Erklärungen. Zwei Jahre lang beschäftigte sich der Sender mit wenig anderem als der Russland-Affäre, und oft erhielten Zuschauer den Eindruck, dass Mueller Trump demnächst in Handschellen aus dem Weißen Haus abführen würde. "Warum wurde Trump nie direkt von Mueller vernommen?", fragte der sichtlich aufgeregte Moderator Chris Matthews, nachdem die Nachricht vom Ende der Untersuchung da war - und auch seine Gäste rangen um Fassung.

Spätestens in den Sonntags-Talkshows im Fernsehen, in denen die Politiker der Demokraten auftraten, kam bei manchen so etwas wie Trotz hinzu. "Wir wissen, dass es einen gewissen Grad an Verschwörung gab", sagte bei CNN der demokratische Abgeordnete Jerry Nadler, der den Justizausschuss im Repräsentantenhaus leitet. Er verwies dabei auf das schon vor längerer Zeit bekannt gewordene Treffen von Trumps ältestem Sohn Donald junior mit einer Russin, die der Wahlkampagne "Schmutz" über Trumps Rivalin Hillary Clinton versprochen hatte. Warum dies nicht zu Anklagen geführt habe, lasse sich erst sagen, wenn der ganze Bericht Muellers einsehbar sei. Dasselbe gelte für die Frage, ob der Präsident die Justiz bei der Aufklärung möglicher Absprachen mit Russland behindert habe, sagte Nadler.

Dahinter steckt ein plausibles Argument: Von einer Anklage gegen Trump selbst ging schon vor dem Abschluss der Untersuchung niemand aus; die Richtlinien des Justizministeriums sehen einen solchen Schritt gegen einen amtierenden Präsidenten nicht vor. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass Mueller keinerlei Fehlverhalten Trumps entdeckt hat. "Das amerikanische Volk verdient die ganze Wahrheit und volle Transparenz", erklärte Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses.

Die Demokraten verlangen die Dokumente, auf denen der Bericht beruht

Mit der Veröffentlichung des Berichts sind auch die Republikaner einverstanden. Schon vor bald zwei Wochen verabschiedete das Repräsentantenhaus in seltener Einstimmigkeit eine Resolution, die genau dies verlangt. Doch den Demokraten geht es um mehr: Sie wollen nicht nur den Bericht sehen, sondern auch das Material, das Mueller als Grundlage diente, etwa Protokolle von Zeugenbefragungen oder E-Mails. "Der Kongress hat ein fundamentales Interesse daran, dieses Material zu erhalten", sagte der Abgeordnete Adam Schiff, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus.

Ob Barr dazu bereit ist, ist allerdings fraglich. Er versprach zwar bei seiner Anhörung im Senat Anfang des Jahres, der Öffentlichkeit so viel von Muellers Bericht zugänglich zu machen, wie es die Regeln und Gesetze erlaubten. Informationen, die als geheim eingestuft sind, kann er aber zurückhalten. Eine Grundregel des US-Justizwesens besagt zudem, dass keine belastenden Einzelheiten über Personen veröffentlicht werden dürfen, gegen die keine Anklage erhoben wurde. Diese Regel wurde auch schon gebrochen, zum Beispiel während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016, als der damalige FBI-Direktor James Comey vor die Medien trat, um zu erklären, dass man gegen Hillary Clinton keine Anklage wegen ihres Umgangs mit E-Mails als Außenministerin erhebe - und diese dann doch für diesen Umgang kritisierte.

Was immer der ganze Bericht Muellers zeigen wird, wann immer er öffentlich wird: Viele bei den Demokraten und in den Medien sind bereits dazu übergegangen, auf die nächsten rechtlichen Probleme hinzuweisen, die Trump noch drohen. Nach einer Zählung des Magazins Wired laufen derzeit 17 weitere strafrechtliche Untersuchungen, die Trump direkt oder indirekt betreffen. Die Frage ist, welche politische Sprengkraft damit noch verbunden ist, nachdem Muellers Untersuchung in der wichtigsten aller Fragen - einer möglichen Zusammenarbeit Trumps mit Russland - zu keiner Anklage kam. Von einem Impeachment Trumps, einem Amtsenthebungsverfahren, redet bei den Demokraten zumindest fürs Erste niemand mehr.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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