Gaddafi und seine Nachbarn:Verachtung für den "König der Könige"

Muammar Gaddafi auf der Konferenz für afrikanische Könige 2010

Bestätigung für seinen Größenwahn: Muammar al-Gaddafi als "König der Könige" Afrikas im September 2010

(Foto: REUTERS)

Jahrzehntelang nervte Muammar Gaddafi die islamischen Länder und spielte sich als der Pate Afrikas auf. Nun, angesichts seines Untergangs, schweigen die Nachbarn - und ein Potentat dürfte eine besondere Genugtuung empfinden.

Oliver Das Gupta

Vor einigen Tagen druckte Le Figaro eine Phantasie. In einer fiktionalen Serie über ausgewählte Länder im Jahre 2031 beschrieb die französische Zeitung Südafrika in 20 Jahren: "Zurückgezogen in eine Kopie des Schlosses von Liechtenstein auf den Hügeln von Hout Bay verlebt Oberst Gaddafi beschauliche Tage in dem Kapstädter Vorort (...) Die Gerüchte aus dem Sommer 2011 hatten sich konkretisiert."

Geraunt wird schon seit längerem über angebliche Exil-Pläne des libyschen Dauer-Despoten: Kurz bevor die Rebellen Tripolis stürmten, schrieb etwa die arabische Zeitung Al-Sharq Al-Awsat, Gaddafi habe den südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma gebeten, ihn und seine Familie aufzunehmen - die Regierung in Pretoria winkte ab.

Nun, da die Rebellen große Teile der Hauptstadt kontrollieren und auch den Regierungskomplex eingenommen haben, scheint Gaddafi als Märtyrer sterben zu wollen - zumindest faselt er davon, bis zur letzten Patrone zu kämpfen. Flüchten kann er aus der Haupstadt nur noch auf dem Landweg, möglicherweise in einem Tunnel. Dass die arabischen Nachbarn ihn mit offenen Armen empfangen würden, gilt als unvorstellbar, südlich der Sahara ist er ebenso nicht mehr willkommen.

Einerseits dürften die Potentaten von Rabat bis Riad den Untergang Gaddafis mit Sorge betrachten: Nach dem Tunesier Ben Ali und dem Ägypter Mubarak ist er der dritte Langzeit-Regent, den die Wucht des "Arabischen Frühlings" innerhalb von acht Monaten davonfegt. Jetzt fürchten sie, dass diese Entwicklung möglicherweise auch den Oppositionsbewegungen in ihren Staaten neuen Schwung verleiht.

In Jordanien und Marokko brodelt es, auch wenn die Herrscher das aufgekratzte Volk mit zaghaften Reformversprechen vorerst in Schach halten können, an den regionalen hot spots wie Syrien und dem Jemen ist Frieden vorerst kaum vorstellbar.

Mit der Angst vor dem Umsturz dürfte bei den meisten muslimischen Staatenlenkern allerdings noch ein weiteres Gefühl einhergehen: Genugtuung.

Seit Jahrzehnten nervte der bizarr auftretende Gaddafi die arabische Welt. Gaddafis zahlreiche Wendungen, seine Auftritte in Phantasieuniformen, sein Hang zu weiblichen Bodyguards mit drallen Blusen, seine politisch-philosophischen Ergüsse, in denen er Sozialismus, Kapitalismus und Islam vermixte, wie er sich zum quasireligiösen Führer der Gläubigen erklärte und sogar noch das Grün des Islam als Staatsflagge okkupierte: Es gab viele Gründe im arabischen Lager, Gaddafi abzulehnen oder mindestens für einen unberechenbaren Sonderling zu halten.

Er gelte dort als "krank handelnder und lästiger Exzentriker", schreibt der Guardian, der jeden arabischen Führer schon mal beleidigt habe. Exemplarisch für seinen Ruf als gefährlicher Irrer steht seine Feindschaft mit dem saudischen Königshaus.

Im Jahre 2003 gerieten Gaddafi und Kronprinz Abdullah während eines arabischen Gipfeltreffens in Streit. "Deine Lügen gehen dir voraus und dein Grab liegt vor dir", soll der Saudi damals dem Libyer gedroht haben. Daraufhin soll Gaddafi ein Attentat auf den Thronfolger "genehmigt" haben - ganz in Manier seiner Terrorverwicklungen der achtziger Jahre.

Gaddafi mit Silvio Berlusconi während seines Rom-Besuchs im August 2010.

Warnung vor einem afrikanischen Flüchtlingsstrom: Gaddafi mit Silvio Berlusconi während seines Rom-Besuchs im August 2010.

(Foto: dpa)

Die Causa flog auf, der Anschlag kam nicht zur Ausführung. In Riad werden sie nun Gaddafis Ende dementsprechend goutieren - Abdullah herrscht inzwischen als König über den mächtigen Öl-Staat.

Thron, Koran und Straußeneier: Wie Afrikas Führer Gaddafi huldigten

In den afrikanischen Staaten ist die Haltung zu Gaddafi ambivalent. Im April, nach Ausbruch des Krieges, versuchte die Afrikanische Union (AU) zwischen den libyschen Rebellen und Gaddafi unter Führung von Südafrikas Präsident Zuma zu vermitteln - und scheiterte.

Nun will die AU bei einem Sondergipfel am Freitag über die Lage in Libyen beraten. Bereits am Montagabend diskutierte in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba der Friedens- und Sicherheitsrat der AU ausführlich über Libyen. Dass das Treffen ohne Abschlusserklärung zu Ende ging, ist kein Wunder: Anders als der Westen haben die afrikanischen Länder kaum die Mittel, sich beim Wiederaufbau und der Nachkriegsgestaltung Libyens einzubringen.

Allerdings waren gerade afrikanische Länder eng mit Gaddafi verbandelt - vor allem finanziell. Milliarden pumpte er seit Jahren in den Süden des Kontinents. Banken in Kenia, Hotels in Mali, Tankstellen im Senegal und Diamantminen in der Demokratischen Republik Kongo: Überall investierte der starke Mann aus Tripolis.

In der ugandischen Hauptstadt Kampala ließ er eine Moschee aus dem Boden stampfen, in der 25.000 Menschen Platz finden. Gaddafi verteilte seine Petrodollar über den ganzen Kontinent. Mal zahlte er bankrotten Staaten wie Eritrea den AU-Mitgliedsbeitrag, mal half er dem geächteten Regime in Simbabwe.

Gaddafi schwang sich zum Paten Afrikas auf. Und obwohl er mit seiner Afrikanischen Legion seit den siebziger Jahren auf dem Kontinent in Bürgerkriegen mitmischte und 1986 versuchte, sich Gebiete des Tschad (auch unter Einsatz von Napalm) einzuverleiben, war ihm die Huld der afrikanischen Führer gewiss: 2008 pilgerten 200 Stammeschefs aus dem ganzen Kontinent zu dem Libyer nach Bengasi, schenkten ihm Thron, Koran und Straußeneier. Er ließ sich als "König der Könige" Afrikas preisen. Damit maß Gaddafi sich wohlwissend an, sich in die Tradition des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassi zu stellen, der ebenfalls den Titel "König der Könige" trug.

Vor nicht einmal elf Monaten, im September 2010, kam es zu einer Folgekonferenz der afrikanischen Führer, diesmal in Tripolis. Wieder hielt Gaddafi Hof, auf seinem Haupt trug er einen goldenen Kronenreif. Die Beweihräucherung des spendablen Diktators war mit ein Grund, weshalb die Aufständischen den Vermittlungsplan der Afrikanischen Union von vornherein ablehnten.

Die überbordende Anerkennung der Afrikaner förderte den Größenwahn Gaddafis: Er träumte von einem vereinigten Kontinent mit gemeinsamer Regierung, Armee und Währung, die "Vereinigten Staaten von Afrika" - natürlich unter seiner Führung.

Als selbsternannter Oberafrikaner salbaderte er noch zuletzt im Bunker davon, dass US-Präsident Barack Obama immer sein Sohn bleiben würde. In seinen Hasstiraden gegen die Nato und die Aufständischen sprach er immer wieder von Kolonisten und Imperialisten, die die freien Libyer zu Sklaven machen wollen - auch dieser Sprech resultiert aus der Eigensicht, der anerkannte Führer eines von fremden Mächten beherrschten Kontinents zu sein.

Gaddafis erkaufte Lobpreisungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass er die Afrikaner ein ums andere Mal vor den Kopf stieß. Neben seinen Kriegsspielen in der Vergangenheit blieb ihnen das zur Schau gestellte Herrenmenschentum Gaddafis nicht verborgen.

Sie konnten verfolgen, wie er bei den Europäern fünf Milliarden Euro pro Jahr kassierte, weil es andernfalls "schwarz" vor Flüchtlingen würde. Vergangenen Sommer, als er seinen damaligen italienischen Busenfreund, Italiens Premier Silvio Berlusconi, in Rom besuchte, entwarf Gaddafi ein Szenario, das Angst machen sollte: Es liege ganz im Interesse Europas, auf seine Forderungen einzugehen, "sonst kann es schon morgen zu einem zweiten Afrika werden". Schamlos instrumentalisierte Gaddafi seine "afrikanischen Brüder" als Drohpotential.

Kurz vor Ausbruch des Krieges in Libyen verprellte Gaddafi die nigerianische Regierung mit einem Vorstoß. In dem ölreichen Staat brechen immer wieder Unruhen zwischen Muslimen und Christen aus. Die könne man lösen, so Gaddafi, indem man das Land teile.

Die Regierung in Abuja kanzelte Gaddafi damals ab, man sei verärgert über sein "großspuriges Gehabe", das kein Ende nehme. Ein Irrtum: In diesen Tagen enden Gaddafis Kommentare allem Anschein nach für immer. Die Afrikanische Union wird in gewisser Weise immer mit ihm verbunden bleiben: Die Organisation wurde 1999 in Sirte ins Leben gerufen - dem Geburtsort Gaddafis.

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