Süddeutsche Zeitung

Schweiz:Moutier sagt Ja zum Kantonswechsel

Der frankophone Schweizer Ort will nach mehr als 200 Jahren teils gewaltvoller Geschichte nicht mehr zum mehrheitlich deutschsprachigen Kanton Bern gehören. 55 Prozent der Bewohner stimmten für einen Wechsel zum Jura.

Von Isabel Pfaff, Bern

Sie lag am Sonntag eindeutig in der Luft, die gewaltvolle Geschichte des Jurakonflikts. Eine dicht gedrängte Menschenmenge, überall rot-weiße Flaggen, dazu Sprechchöre, Böller, pinker Rauch: Im Westschweizer Städtchen Moutier brodelte es an diesem Abend. Mit fast 55 Prozent der Stimmen hat sich der 7400-Einwohner-Ort für einen Wechsel vom Kanton Bern in den Nachbarkanton Jura entschieden. Damit, das bestätigten an diesem historischen Abend alle relevanten Beteiligten, ist der Jurakonflikt nach Jahrzehnten des Streits beigelegt.

Separatismus in der kleinen Schweiz, zwischen zwei noch kleineren Kantonen? Es erscheint zunächst absurd, was sich in Moutier abgespielt hat. Doch der Streit um die Stadt geht weit zurück.

Die Jura-Region im Westen der Schweiz, mehrheitlich katholisch und frankophon, war 1815 während des Wiener Kongresses dem größtenteils deutschsprachigen, reformierten Kanton Bern zugeschlagen worden. Dieses Konstrukt missfiel vielen Jurassiern von Beginn an. Mitte des 20. Jahrhunderts formierte sich eine separatistische Bewegung, die auch Gewalt anwendete, um ihr Ziel zu erreichen - einen eigenen Kanton. 1979 war es schließlich so weit: Die drei nördlichen Bezirke bildeten den neuen Kanton Jura, die drei südlichen blieben, gemäß Votum der Bevölkerung, bei Bern. Doch dieser sogenannte Berner Jura kam nicht zur Ruhe. Immer wieder setzten Separatisten Volksabstimmungen durch, um die Gebiete doch noch mit dem Jura zu vereinen, überall erfolglos - außer in Moutier.

Dieses Mal durfte nichts schief gehen

Hier sollte 2017 eine finale Abstimmung das Problem endlich aus der Welt schaffen. Mit 137 Stimmen Vorsprung gewannen die Pro-Jurassier damals den Urnengang. Doch berntreue Kreise stellten die Rechtmäßigkeit der Abstimmung in Frage und reichten mehrere Beschwerden ein - mit Erfolg: Die Wahl wurde annulliert.

Nun stimmten die Einwohner von Moutier erneut ab, zu welchem Kanton sie gehören wollen. Diesmal, so sagten sich die Gemeinde, der Kanton Bern und auch die Schweizer Regierung, durfte nichts schief gehen. Zu lange lähmt der Streit schon die zerrissene Gemeinde, zu sehr verunsichert er die Region. Und so betrieb die Bundesverwaltung einen einzigartigen Aufwand, um den Urnengang zu sichern: aufwendige Überprüfung des Stimmregisters, Wahlunterlagen mit Wasserzeichen, Versand durch das Bundesamt für Justiz höchstselbst, Briefwahl nur an eine Adresse des Bundes, mehr als ein Dutzend Wahlbeobachter.

Die engmaschige Kontrolle scheint sich gelohnt zu haben. Es seien keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden, teilt das Bundesamt für Justiz noch am Abend mit. Und als Schlag 18 Uhr das Ergebnis veröffentlicht wird, ist klar, dass die Separatisten ihren Vorsprung auf knapp 400 Stimmen ausgebaut haben.

Dieses Ergebnis bei derart hohen Sicherheitsvorkehrungen sorgt für klare Aussagen auf allen Seiten: Das Komitee der Pro-Berner, "Moutier plus", reagiert enttäuscht auf das Resultat, beglückwünscht aber die Sieger. Die Regierung des Kantons Bern drückt ebenfalls ihr Bedauern aus, akzeptiert aber das Ergebnis. "Die Demokratie hat gesprochen", sagt Regierungspräsident Pierre-Alain Schnegg am frühen Abend. Und auch von Seiten des Bundes kommt ein positives Signal: "Der heutige freie Entscheid der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ist der letzte Schritt, um die Jurafrage mit friedlichen Mitteln beizulegen", teilt Justizministerin Karin Keller-Sutter mit.

2026 soll der Übertritt erfolgen

Damit ist es unwahrscheinlich, dass das Votum erneut erfolgreich angefochten wird. Zwar berichteten Schweizer Medien jüngst von einer Beschwerde der Berner Kantonsregierung wegen Unregelmäßigkeiten im Stimmregister. Doch angesichts des deutlichen Vorsprungs des Jura-Lagers dürften die Aussichten einer Beschwerde diesmal gering sein.

Entsprechend groß war der Jubel der rund 2000 Pro-Jurassier, die sich am Bahnhof von Moutier versammelt hatten. Wie die Regierung des Jura mitteilte, soll der Übertritt von Moutier in den Nachbarkanton im Januar 2026 erfolgen.

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