Irak:Die Allianz gegen den IS in Mossul bröckelt schon vor dem ersten Schuss

Irak: Ein Soldat der irakischen Armee nahe des Dorfs Ramadi (10. Oktober 2016).

Ein Soldat der irakischen Armee nahe des Dorfs Ramadi (10. Oktober 2016).

(Foto: AP)
  • Der Sturm auf die Stadt Mossul, die die Terrormiliz Islamischer Staat hält, steht kurz bevor.
  • Doch die Anti-Terror-Allianz aus USA, kurdischen Peschmerga und irakischen Truppen ist tief zerstritten: Jede Gruppe hat eigene Interessen im Irak.
  • Der Fall von Mossul wäre längst nicht das Ende des Kalifats - dem kommt sein geschwächter Gegner sogar zupass.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Das US-Außenministerium sah sich in der Nacht zum Mittwoch zu einer ungewöhnlichen Klarstellung genötigt: Es gebe Spekulationen über die Rolle "internationaler Kräfte" bei der bevorstehenden Operation zur Befreiung von Mossul, der letzten großen Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf irakischem Territorium. Es sei essenziell, hieß es nun in Washington, dass sich all diese Kräfte "mit Zustimmung und in Koordination mit der irakischen Regierung" dort befänden und sich eng abstimmten, damit die Einheit der Front gegen den IS gewahrt bleibe.

Diese bröckelt nämlich schon, bevor der über Monate vorbereitete Sturm auf die überwiegend von Sunniten bewohnte Stadt überhaupt begonnen hat. Die Zentralregierung in Bagdad streitet mit der Türkei und den irakischen Kurden, diese argwöhnen zusammen mit einigen sunnitischen Stämmen über die Absichten schiitischer Milizen, die zum Teil direkt von den iranischen Revolutionsgarden gesteuert werden, selbst unter den Sunniten gibt es Rivalitäten. Jeder hat seine eigene Agenda für den Tag, an dem der IS wirklich vertrieben sein sollte - und die Amerikaner dachten bislang, sie könnten einen Ausgleich der Interessen vermitteln, wenn der entscheidende Sieg erst einmal eingefahren ist.

Jetzt müssen sie allerdings eher verhindern, dass die Offensive auseinanderfällt, bevor der erste Schuss abgegeben wurde. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wetterte im Fernsehen: "Wer ist der irakische Premier?" und ließ Haidar al-Abadi unter weiteren Beleidigungen wissen, dass er sich von ihm gar nichts sagen lasse. Die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad und das Parlament hatten gefordert, die Türkei müsse ihre 2000 Soldaten aus Irak abziehen. Ankara beruft sich dagegen auf das Einverständnis der kurdischen Regionalregierung in Erbil; auf deren Autonomiegebiet unterhält die Armee in Baschiqa nahe Mossul gar einen Stützpunkt mit Hunderten Soldaten und Panzern.

Der Plan: Peschmerga und irakische Armee arbeiten zusammen

Der grobe Plan war einmal so: Die kurdischen Peschmerga riegeln Mossul nach Osten und nach Norden ab, während von den USA ausgebildete Anti-Terror-Einheiten der irakische Armee von Süden über die Schnellstraße zwischen Bagdad und Mossul und am Tigris entlang in Etappen langsam vorstoßen - und in die Wüstengebiete westlich der zweitgrößten Stadt des Landes. So sollen dem IS Rückzugswege nach Syrien abgeschnitten und der Ring um die Stadt enger gezogen werden.

Kriegsparteien in Syrien und Irak

Die Voraussetzungen dafür waren geschaffen, als irakische Einheiten im Juli Qayyarah und den zu der Stadt gehörenden Militärflugplatz etwa 60 Kilometer südlich von Mossul einnahmen. Er ist seitdem mit Hilfe der Amerikaner soweit ausgebaut worden, dass der Nachschub für die Operation dort eingeflogen werden kann. Die irakische Armee ist überfordert damit, den Landweg von Bagdad bis hierher zu sichern. Sie hat aber inzwischen etwa 10 000 Soldaten Richtung Front verlegt, die Amerikaner haben inzwischen wieder mehr als 5000 Mann im Land, um den Vorstoß zu unterstützen, darunter Spezialeinheiten.

Schätzungsweise 1,5 Millionen Zivilisten leben in Mossul

Nach Schätzungen westlicher Geheimdienste halten sich in Mossul bis zu 1,5 Millionen Zivilisten auf - und noch etwa 3000 bis 4500 IS-Kämpfer. Sie haben in den vergangenen zwei Jahren Befestigungen um die Stadt errichtet. Dazu zählen mit Öl gefüllte Gräben, die in Brand gesteckt würden, um Angreifern die Sicht zu nehmen, Tausende Sprengfallen, die wie Minenfelder wirken, und Tunnelsysteme, die es den Kämpfern in der Stadt ermöglichen, sich geschützt vor Luftangriffen zu bewegen. Außerhalb könnten solche Tunnel dazu dienen, den irakischen Truppen in den Rücken zu fallen und sie mit den gefürchteten Selbstmord-Autobombern anzugreifen.

Den USA gilt es im Irak einen Bürgerkrieg zu verhindern

Die USA greifen mit Drohnen und Kampfjets immer wieder die Kommando-Strukturen des IS in Mossul an. Etliche Kader sollen sich bereits in Dörfer in der Umgebung abgesetzt haben. In Mossul aber steht den Irakern womöglich ein monatelanger Häuserkampf bevor: Vermutlich werden sich die IS-Kämpfer westlich des Tigris in den engen Gassen der Altstadt verschanzen. Hier können die Iraker keine Panzer einsetzen, ohne das noch weitgehend intakte Viertel und seine Monumente islamischer Kultur zu zerstören. Auch Luftangriffe werden in dem von 400 000 Menschen bewohnten Gebiet nur eingeschränkt möglich sein, will man zivile Opfer vermeiden und die sunnitische Bevölkerung nicht von vornherein vergrätzen.

Damit beginnen die weiteren Probleme: Schiitische Milizen, die als Volksmobilisierungseinheiten bekannt sind, werden sich an der Offensive beteiligen. Bei den Sunniten sind sie verhasst; sie werfen ihnen Rachemorde vor und systematische ethnische Vertreibungen. Premier Abadi will den Milizen nur Sicherungsaufgaben übertragen und sie aus der Stadt fernhalten. Doch zum einen ist nicht klar, ob sich die Kämpfer daran halten. Zum anderen könnten sie trotzdem flüchtende Zivilisten schikanieren - mit dem nicht ganz von der Hand zu weisenden Argument, dass IS-Kämpfer sich ihre Bärte rasieren und versuchen könnten, im Strom der Flüchtlinge aus der Stadt zu entkommen.

Erdoğan protegiert die Turkmenen im Irak und misstraut den Kurden

Die Türkei begründet ihre Präsenz im Irak damit, verhindern zu wollen, dass es zu ethnisch motivierten Vertreibungen kommt. In Mossul hätten Sunniten und Turkmenen über Jahrhunderte friedlich zusammengelebt. Wer versuche, das zu ändern, werde die Region in "Blut und Feuer" stürzen, warnte Erdoğan. Abadi entgegnete, die Türkei könne einen regionalen Krieg vom Zaun brechen, schiitische Milizenführer drohen, Mossul zum "Friedhof" für türkische Soldaten zu machen.

Verschärft wird die Rivalität dadurch, dass sich Türken und Kurden auf der einen und die irakische Regierung auf der anderen Seite jeweils untereinander verfeindete sunnitische Milizen als Partner gesucht haben. Ankara und Erbil unterstützen den ehemaligen Gouverneur von Mossul, Aithil Nujaifi, der 5000 Mann unter Waffen haben soll, ausgebildet von türkischen Soldaten. Er würde gerne in sein Amt zurückkehren. Bagdad dagegen setzt auf Milizen des Jabouri-Stammes und kündigte am Mittwoch an, 15 000 Mann zu mobilisieren. Sie sollen zusammen mit schiitischen Milizen kämpfen. Nujaifi und die Jabouri-Leute aber ringen bis aufs Messer um Macht - in Bagdad haben die Jabouri ihren Gegner erfolgreich marginalisiert.

Kritiker meinen, Obama wolle in Mossul einen Symbolsieg erringen

Die Amerikaner mussten zuvor schon Streit zwischen der Zentralregierung und Erbil über Öleinnahmen schlichten - die Kurden hätten sich der Offensive sonst verweigert. Ihre Peschmerga sollen zwar ohnehin nicht nach Mossul vordringen, die Kurden haben aber beim Kampf gegen den IS Gebiete eingenommen und militärisch befestigt, die nicht zu ihren Autonomiegebieten gehören, darunter die Stadt Kirkuk. Sie befürchten, dass schiitische Milizen und letztlich die Armee versuchen könnten, ihnen diese Gebiet streitig zu machen.

Kritiker sehen im Drängen der Amerikaner zu der Offensive nicht zuletzt einen Versuch von Präsident Barack Obama, noch vor Ende seiner Amtszeit einen symbolisch wichtigen Sieg gegen den IS verkünden zu können - ohne einen Plan in der Hand zu haben, wie es danach weitergehen soll. Die New York Times fühlt sich schon an George W. Bush erinnert, der auf einem Flugzeugträger "Mission erfüllt" verkündete, während der Irak in den Bürgerkrieg taumelte. Das, sagen westliche Geheimdienstler, sei eine "ernst zu nehmende Gefahr", zumal der Fall von Mossul noch nicht das Ende des Kalifats wäre. Und der IS war schon immer gut darin, die Schwächen seiner Gegner zu nutzen.

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