Süddeutsche Zeitung

Moskau: Terroranschlag am Flughafen:"Es ist entsetzlich"

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Ein lauter Knall, Rauch, Stromausfall, Tote, Verletzte. Am größten internationalen Moskauer Flughafen herrscht Chaos nach dem Terroranschlag. Schnell stehen für den Kreml die Verdächtigen fest. Schon einmal versagten in Domodedowo alle Sicherheitsmaßnahmen.

Sonja Zekri, Moskau

Anfangs war es nur ein Knall, irgendwie unspezifisch. Längst nicht alle begriffen sofort, was geschehen war. Dann wurde der Rauch dichter, die Schreie lauter. Auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo hatte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Mindestens 35 Menschen starben, mehr als 130 wurden verletzt.

"Es gibt keinen Strom, überall liegen zerrissene Körper. Gerade haben Sanitäter ein Mädchen weggetragen", zitiert die Agentur Interfax einen der Reisenden. Über den Kurznachrichtendienst Twitter meldet ann_mint schockiert: "Die Menschen waten in Blut, überall ist Rauch. Alle rennen. Es ist entsetzlich." Flughafenangestellte rissen eine Zwischenwand nieder, um den Menschen den Weg ins Freie zu bahnen. Die Mobilfunknetze fielen aus. Einige Taxifahrer hingegen, so heißt es auf Twitter, verlangten für Fahrten in die Stadt den 20-fachen Preis. Stundenlang hing Qualm über dem Flughafen.

Der Attentäter jagte sich um kurz nach halb fünf Moskauer Zeit neben einem Café in der Ankunftshalle für internationale Flüge in die Luft. Der Flughafen wird seit Monaten umgebaut, so dass in der Ankunftshalle noch mehr Enge und Gedränge herrschte als sonst. Die Bombe hatte nach Schätzungen der Ermittler eine Sprengkraft von sieben Kilo TNT. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen eines "Terrorakts", auch Präsident Dmitrij Medwedjew sprach von einem Anschlag.

Schon einmal versagten alle Sicherheitsmaßnahmen

Nach Angaben der Luftverkehrsbehörde Rosawiazia waren seit 15 Uhr Maschinen aus Kairo, Tokio, Düsseldorf und London gelandet. Einige internationale Flüge nach Domodedowo wurden zunächst auf andere Moskauer Flughäfen umgeleitet, auf denen, wie in Wnukowo und Scheremetjewo, die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt wurden. Später starteten und landeten aber wieder Maschinen auch in Domodedowo.

Schon einmal hatten auf dem Flughafen im Süden der Hauptstadt alle Sicherheitsmaßnahmen versagt. Im August 2004 hatten sich zwei Selbstmordattentäterinnen in Verkehrsflugzeugen nach Sotschi und Wolgograd in die Luft gesprengt. Damals starben 90 Menschen. Die Staatsanwaltschaft hatte später erklärt, die beiden Frauen seien für ein Bestechungsgeld von 1000 Rubel, umgerechnet 25 Euro, an Bord gelangt.

Erst vor kurzem war Domodedowo zudem auf harmlosere Weise in die Kritik geraten. Nachdem Schnee und Eis einige Strommasten umgeknickt hatten, war auf dem Flughafen kurz vor Neujahr der Strom ausgefallen. Zehntausende Passagiere hatten tagelang im Dunkeln gesessen - ohne dass sich das Flughafenpersonal oder die Mitarbeiter der Airlines auch nur um das Nötigste gekümmert hätten. Damals hatte Premierminister Wladimir Putin die Airline- und Flughafenverantwortlichen getadelt, man müsse arbeiten, "nicht jammern". Nach dem Anschlag am Montag habe er sich während einer Sitzung über die Vorfälle unterrichten lassen, so meldete sein Pressesprecher.

"Kaukasische Spur"

Der Anschlag trifft Moskau nicht ganz ein Jahr, nachdem sich im März Selbstmordattentäterinnen aus dem Kaukasus in zwei Metro-Stationen in die Luft gesprengt hatten. Damals starben fast 40 Menschen. Zu dem Anschlag hatte sich der islamistische Terroristenführer Doku Umarow bekannt, der zuvor gedroht hatte, den Terror ins Herz Russlands zu tragen.

Auch nach dem jetzigen Anschlag haben die Sicherheitskräfte offenbar eine "kaukasische" Spur aufgenommen. Die Agentur Interfax zitierte eine Quelle in Sicherheitskreisen mit den Worten: "Nach bisherigen Angaben stammt der Selbstmordattentäter aus dem Nordkaukasus. Die Zugehörigkeit zum nordkaukasischen Untergrund wird geprüft." Derzeit werde nach drei Verdächtigen aus dem Kaukasus gesucht, die sich längere Zeit in der Region der Hauptstadt aufgehalten haben sollen.

Dabei ist es erst gut ein Jahr her, dass der russische Präsident Dmitrij Medwedjew mit der Einsetzung des Unternehmers Alexander Chloponin als Beauftragten für den Nordkaukasus eine neue Strategie zur Befriedung der umkämpften Region versuchte. Chloponin sollte verarmte Republiken wie Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien oder Kabardino-Balkarien wirtschaftlich und sozial entwickeln.

In der Tat hat er ambitionierte Pläne für Wintersportorte und neue Flughäfen vorgelegt. Nach zwei Tschetschenien-Kriegen und Jahren, in denen der Kreml vor allem auf eine militärische Lösung im Kaukasus gesetzt hatte, wurde dieser Ansatz von Experten gelobt. Dennoch warnten viele, dass Chloponin an der undurchsichtigen Machtverteilung zwischen Geheimdiensten, Armee, lokalen Milizen und Clans scheitern könnte. Sollte der Attentäter tatsächlich aus dem Kaukasus stammen, hätte sich diese Befürchtung bewahrheitet.

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SZ vom 25.01.2008
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