Moskau als Choreograf der Krise:Putins Druck auf die Ukraine ist übermächtig

Moskau als Choreograf der Krise: Russlands Präsident Putin in seiner Residenz Nowo-Ogarjowo außerhalb Moskaus

Russlands Präsident Putin in seiner Residenz Nowo-Ogarjowo außerhalb Moskaus

(Foto: AFP)

Es gibt nur einen Weg, eine Katastrophe in der Ukraine abzuwenden: Russlands Präsident Putin muss die Übergriffe seiner Spezialeinheiten und Agenten stoppen und den militärischen Druck von der Grenze nehmen. Die Indizien für den subversiven Einfluss Moskaus sind erdrückend. Die Ukraine soll keine Chance haben.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

In einer idealen Welt könnte die Ukraine sowohl an der Seite Russlands als auch an der Seite der Europäischen Union existieren. In einer idealen Welt würde eine Ukraine selbst darüber bestimmen, mit welcher Ordnung sie der Vielfalt ihrer Bevölkerung gerecht werden will. In dieser idealen Welt gibt es bereits viele Staaten, die beispielhaft Spannungen innerhalb ihrer Grenzen abgebaut und Interessen ausgeglichen haben, ohne dass es dabei zu einem Bürgerkrieg oder einem Krieg mit den Nachbarn gekommen ist.

Am Donnerstag hätten die Regierungen der Ukraine, Russlands, der USA und die Vertreter der EU Gelegenheit, über die Bedingungen einer idealen Welt für die Ukraine zu verhandeln. Aber offenbar müssen sie den Anschein von Diplomatie und Vernunft gar nicht aufrechterhalten.

Die separatistischen Umtriebe im Osten, unterstützt und vorangetrieben mit russischer Hilfe, und die Offensive der Regierung in Kiew gegen diese Gruppierungen rücken die Ukraine an den Rand des Bürgerkriegs. West gegen Ost - was sich vor Monaten nur auf dem Maidan abspielte, könnte das gesamte Land erfassen.

Nur wenn Russland will, kann die Krise politisch gelöst werden

Es gibt nur einen Weg, die aufziehende Katastrophe abzuwenden: Russlands Präsident Wladimir Putin muss die Übergriffe seiner Agenten und Spezialeinheiten im Nachbarland stoppen, er muss den militärischen Druck von der Grenze nehmen und in einer Erklärung den festen Willen zu einer politischen Lösung der Krise erklären. Nur wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine öffentlich und glaubwürdig zum Ziel seiner Politik macht, ist der Zerfall aufzuhalten. Die Regierung in Kiew muss überhaupt erst einmal die Chance erhalten, das Land zu befrieden. Wenn sich die Halbwertzeit jeder politischen Initiative - Straffreiheit für Besetzer, runder Tisch in Charkow, Volksabstimmung über eine föderale Struktur - in Stunden misst, dann gibt es nur eine Erklärung dafür: Der Druck von außen auf die Ukraine ist übermächtig. Das Land soll keine Chance haben.

Auch wenn Moskau dies bestreitet: Die Indizien für den subversiven Einfluss Russlands jenseits seiner Grenzen sind erdrückend. Ja, auch der CIA-Direktor war in der Ukraine - eine Blödheit besonderer Güte und willkommenes Futter für alle, die eine große Verschwörung vermuten. Aber John Brennans Anbandelungen in Kiew lassen den US-Dienst geradezu stümperhaft wirken angesichts der grün Uniformierten im Osten, angesichts der perfekten Koordination der Besetzungen aus dem Nichts, der beeindruckenden Bewaffnung, der Anwerbung von Unruhestiftern über das Internet, der Selbstdarstellung russischer Offiziere per Video.

In der Ostukraine wiederholt sich das Muster von der Krim

Im Osten der Ukraine wiederholt sich dasselbe Muster wie auf der Krim. Diesmal streitet Außenminister Sergej Lawrow rundweg jede Einflussnahme ab. Man weiß nicht, ob man sich stärker über den Hohn oder die Chuzpe empören soll.

Das eine tun und das Gegenteil behaupten - seit Wochen treibt Russland dieses Spiel. 40 000 Mann stehen hochgerüstet und entgegen aller Stationierungsverträge an der ukrainischen Grenze. Putins Zusage für einen Abzug - nicht eingehalten. Es ist diese stille Bedrohung, die vor allem Russlands Nachbarn lähmt.

Im vergangenen Herbst haben russische Truppen in einer Großübung gezeigt, was sie leisten können. Ihrer Eskalationsfähigkeit hat die Nato nichts entgegenzuhalten. Ein provozierter Zwischenfall in Kaliningrad, vermeintlich antirussische Übergriffe im Baltikum, eine Erhebung rings ums Schwarze Meer bis an die rumänische Grenze - in Litauen, in Polen, und bei den anderen Anrainern baut sich bleierne Furcht auf. Gesellschaften unter Druck aber werden unkalkulierbar und radikalisieren sich. Nato und EU müssen das allergrößte Interesse haben, das schleichende Gift der Destabilisierung an ihren Grenzen aufzuhalten.

Bitte um Blauhelme

Schwer vorstellbar, wie eine politische Konferenz über eine föderale Struktur der Ukraine in diesem Klima funktionieren soll. Auch vor der Annektierung der Krim eilten die Außenminister hin und her - vielleicht in der echten Hoffnung auf eine diplomatische Lösung, vielleicht auch nur zur Beruhigung der gespaltenen Bevölkerung zu Hause.

Jetzt, in Phase zwei des ukrainischen Staatszerfalls, zwingt die Vernunft geradezu zur Hilfe von außen. Anders als Janukowitsch in der Spätphase ist die neue ukrainische Regierung sogar bereit zu allen erdenklichen Kompromissen, um die Einheit des Landes zu retten. In ihrer Verzweiflung (oder ist es gespielte Naivität) bittet sie gar um Blauhelme. Aber so sehr Kiew fleht, so heftig Washington poltert, so zaghaft Europa Sanktionen erwägt - der Choreograf der Krise sitzt in Moskau. Wenn Putin nur wollte, wäre die ideale Welt für die Ukraine nicht weit.

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