Als Gu Kailai noch Rechtsanwältin war, da pries sie Chinas Rechtssystem. "Wir halten uns an die Fakten", schrieb sie einmal, "wenn wir feststellen, dass du jemanden umgebracht hast, dann wirst du verhaftet, verurteilt und hingerichtet." Jetzt, da Gu Kailai eine verurteilte Mörderin ist, wird sie dem System dankbar sein, dass Fakten und Recht nur zwei Variablen sind in einer Gleichung, in der Politik und Macht eine ungleich größere Rolle spielen.
Gu Kailai hat gemordet, und doch wird sie nicht hingerichtet. Das darf man als Gegner der Todesstrafe begrüßen, für eine humanitäre Eingebung des Gerichtes muss man es nicht halten.
Das Urteil unterliegt kaltem Kalkül. Es wurde nicht von den Richtern gefällt, die es verkündeten. Diese Urteil, davon darf man ausgehen, wurde in Peking verhandelt und diktiert, ganz oben.
Gu Kailai ist die Ehefrau von Bo Xilai, bis vor kurzem noch Politbüromitglied und Parteichef von Chongqing und einer der mächtigsten Parteibonzen, der kein Geheimnis aus seinem unbändigen Ehrgeiz machte. Sie hat den britischen Geschäftsmann und Freund der Familie, Neil Heywood, umgebracht, ihm Gift in den Mund geträufelt.
In der Presse wurde die unglaubliche Geschichte oft mit einem Hollywood-Thriller verglichen. Aber das ist zu billig. In Wirklichkeit erhaschte man durch den sich kurz lüftenden Vorhang den Blick auf ein Drama wie von Shakespeare: Macht, Gier und Verstellung am Hofe, eine mörderische Intrige unter Prinzen.
Dass Gu Kailai überhaupt vor Gericht musste, das hat nur einen Grund: die spektakuläre Flucht des Chongqinger Polizeichefs Wang Lijun, einst Vollstreckungsgehilfe ihres Mannes, in ein Konsulat der USA. Für die KP war das der Horror: All die Details, die genüsslich im Internet auch in China selbst weitergereicht wurden, über die illegal ins Ausland verschafften Millionen der Familie, über das Luxusleben des Sohnes in England und in den USA. "Wie sich herausstellt, waren sie selbst die schlimmste Verbrecherbande", schreibt die Zeitschrift Caixin.
Für die KP war das ein einmaliger Verlust der Kontrolle zu einem heiklen Zeitpunkt: Im Herbst steht ein wichtiger Parteitag an, es wird um die Macht gerungen. Die Kontrolle wiederzugewinnen - genau darum ging es bei dem inszenierten Prozess. Das Urteil versucht, es vielen recht zu machen - den Angehörigen des Ermordeten in Großbritannien, den Empörten im eigenen Land, aber auch den zahlreichen Anhängern des Bo Xilai, die man nicht mehr als nötig vor den Kopf stoßen will.
Sein Name fiel nicht einmal im Prozess gegen seine Frau. Gut möglich, dass sich seine Rivalen zufriedengeben mit Bos Ausscheiden aus dem Machtkampf. Sie haben ihr Ziel erreicht.
Im Moment läuft lediglich ein Parteiverfahren gegen ihn wegen "Verletzung der Parteidisziplin". Auf seine Strafe darf man gespannt sein, viele weitere Enthüllungen braucht man nicht erwarten - die Parteioberen fürchten, all die Verfehlungen ihres Genossen könnten im Volk auch als die ihren gelten.