Mordfall Moshammer:Wunderwaffe mit Nebenwirkungen

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Weil der Mörder von Rudolph Moshammer in Rekordzeit festgenommen wurde, preisen Politiker den genetischen Fingerabdruck. Die Bedenken der Datenschützer schmlezen dahin. Das ist falsch. Ein Kommentar von Heidrun Graupner

Nichts ist überzeugender als der Erfolg: Nicht einmal 48 Stunden dauerte es, bis der Mörder des Münchner Modehändlers Rudolph Moshammer gefasst war, zur DNS-Spur vom Tatort gab es eine passende DNS-Analyse in der Gen-Datenbank des Bundeskriminalamtes - jeder Zweifel war damit ausgeschlossen.

Nichts ist verführerischer als der Erfolg: Der genetische Fingerabdruck, das modernste Instrument zur Verbrechensbekämpfung, müsse zur Routine des Erkennungsdienstes werden, sagt nicht nur das BKA, es sagen auch Landesregierungen, Politiker von SPD und Union - eine Forderung, die vor allem von der Polizei immer wieder und bisher vergeblich erhoben wurde.

Aber die Bedenken schmelzen seit diesem Wochenende dahin, Datenschützer, die warnend den Finger heben, wirken wie ewig Gestrige. Die vorschnelle Reaktion auf die rasche Lösung eines aufsehenerregenden Mordfalls ist wohlfeil, und sie bringt die wichtigste Fahndungsmethode der Polizei in Misskredit.

Der gläserne Bürger ist keine Fiktion - er ist Realität

Wenn allein der Erfolg der Maßstab für eine Ausweitung der DNS-Datei beim BKA sein soll - Erfolge hat die Datei ausreichend geliefert: 320 Tötungsdelikte, darunter Kindermorde, wurden mit Hilfe des genetischen Fingerabdrucks aufgeklärt.

Der 321. Fall, der des Rudolph Moshammer, kann aber nicht der Grund sein, alle Bedenken wegzuwischen und die Datei von derzeit 300.000 DNS-Analysen auf das Zehnfache aufzustocken. Die scharfe Waffe der Polizei darf die Persönlichkeitsrechte nicht aushebeln, nicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dem das Bundesverfassungsgericht einen sehr hohen Wert zugesprochen hat.

Doch werden mit der DNS-Datei des BKA Persönlichkeitsrechte wirklich berührt? Die Ermittler sagen beruhigend: Nein, analysiert und gespeichert werden nur die nicht codierenden Teile der DNS, die keine Rückschlüsse auf die Erbanlagen und auf Krankheiten zulassen.

Eine Speichelprobe reicht schon

Jede Speichelprobe erlaubt aber eine genetische Analyse, und wenn künftig neuartige Methoden mit Gen-Chips eingesetzt werden, dann lassen sich in kürzester Zeit aus einer Genprobe Tausende von Krankheiten und Anlagen identifizieren.

Der gläserne Bürger ist kein fernes Zukunftsprojekt, er ist schon jetzt möglich. An Gentests und DNS-Analysen haben sich die Bürger allerdings gewöhnt. Die Diskussion über den heimlichen Vaterschaftstest ist ein Hinweis.

Selbst Politiker halten es für rechtens, heimlich beschaffte Haare oder Schnuller testen zu lassen, um mühevolle Anfechtungsklagen vor Gericht zu umgehen. Kein Gedanke an die Persönlichkeitsrechte, kein Gedanke daran, was mit dem geraubten Genmaterial eines Dritten geschieht.

Erst der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung die Rechtsgrundsätze wieder ins Blickfeld gerückt. Gentests von Krankheiten sind Mode, in Massen werden sie über das Internet angeboten, selbst die persönliche DNS-Identitätskarte, um die mit der Frage geworben wird: "Warum sollen nur Straftäter ihr persönliches DNS-Profil erhalten?"

"Freiwillig", was heißt das schon?

Krankenkassen bieten bereits Gentests an, das Präventionsgesetz der Gesundheitsministerin wird diese Zahl explosionsartig erhöhen.

Werden diese Daten dann auf der Gesundheitskarte gespeichert sein, die Ulla Schmidt plant, freiwillig natürlich? Doch was heißt freiwillig, wenn sich der Druck der Gesellschaft auf mehr Vorbeugung und mehr Tests erhöht.

Das Gendiagnostik-Gesetz, das zur Zeit erarbeitet wird, kommt um Jahre zu spät angesichts der Fülle der Gendaten, also der persönlichsten Daten des Menschen, die bereits in der Welt sind - was aber kaum noch irritiert.

"Gewöhnung an die biotechnische Verfügung des Lebens wird Gesetze beeinflussen", warnt der Philosoph Jürgen Habermas. Diesen Satz sollten sich Polizei und Politiker immer vor Augen halten, wenn sie über den genetischen Fingerabdruck reden und über die Ausweitung der BKA-Datei.

Die alten Gesetze sind zu vage, neue werden nötig sein, die Polizei und der Bürger brauchen sie. Noch existiert nur die Forderung nach einer Hyper-Datei. Noch sind viele Fragen unbeantwortet:

Wie lange bleibt ein unschuldig Verdächtigter in der Datei?

Wann werden Daten von Verdächtigen wieder entfernt? Wäre der Fall Moshammer 2006 geschehen, dann wäre der - freiwillige - genetische Fingerabdruck des Täters gelöscht, denn der Vorwurf der Körperverletzung und versuchten Vergewaltigung konnte nicht bewiesen werden.

Der große Erfolg war eine günstige Fügung. Doch sollte deshalb der DNS-Code für immer gespeichert werden? Und wer muss künftig seinen genetischen Fingerabdruck abgeben, auch der Ladendieb, weil er vielleicht einmal schwer kriminell wird? Also den DNS-Test für Tausende Jugendliche, die im Supermarkt etwas mitgehen lassen?

Die Ausweitung der DNS-Datei des BKA kann nur gelingen, wenn alle Argumente bedacht werden. Fingerabdruck ist nicht Fingerabdruck, Gene sind anders, auch der Strichcode. Nicht allein die Polizei, der Richter muss auch künftig mitentscheiden, obwohl dies bei der Fahndung Zeit kostet.

Die Datei für begrenzte Zeit vorsichtig aufzustocken und die Entwicklung der Gentechnik zu beobachten, könnte eine Lösung sein - für die Zukunft der schärfsten Waffe der Polizei und für die Rechte des Bürgers.

© SZ vom 18.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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