Süddeutsche Zeitung

Mordfall Markow:War es der Mann mit dem Regenschirm?

Bulgariens Justiz will die Ermittlungen im 30 Jahre alten Mordfall des Regimekritikers Markow einstellen. Scotland Yard aber macht weiter.

Klaus Brill

Die bulgarische Justiz gerät nach heftiger Kritik aus der EU-Kommission wegen mangelhafter Korruptionsermittlungen jetzt auch durch den Umgang mit einem historischen Attentat, dem sogenannten Regenschirmmord vor 30 Jahren, unter Druck. Die Sofioter Zeitung Dnevnik druckt in dieser Woche eine Serie ab, die bisher unbekannte Dokumente über den an einer Bushaltestelle in London verübten Mord an dem bulgarischen Regimekritiker Georgi Markow enthüllt.

Demnach wurde der Mörder, ein Däne italienischer Herkunft, später vom bulgarischen Geheimdienst mit Medaillen ausgezeichnet und erhielt umgerechnet insgesamt 30.000 Euro sowie Ferienaufenthalte als Belohnung. Hingegen erklärte der zuständige Ermittler in Sofia, für einen Mord mit dem Regenschirm gebe es überhaupt keine Beweise.

Tödlicher Schuss ins Bein

Der Vorgang ist politisch hochbrisant, weil die bulgarische Justiz offenbar am Donnerstag dieser Woche das Ermittlungsverfahren in Sachen Markow einstellen will. An diesem Tag läuft die reguläre 30-jährige Verjährungsfrist ab, ohne dass bisher ein Verantwortlicher für den gewaltsamen Tod des Journalisten und Theaterautors festgenommen wurde.

Schon am Wochenende hatte deshalb der konservative britische Unterhaus-Abgeordnete Julian Lewis die bulgarischen Behörden aufgefordert, die Verjährungsfrist auszusetzen. Lewis sagte, es wäre "ein empörender Akt", wenn die Regierung in Sofia die Einstellung der Ermittlungen zuließe und die betreffenden Unterlagen zerstören oder an die Geheimdienste zurückgeben würde. In Großbritannien hingegen setzt Scotland Yard seine Untersuchungen ohne zeitliche Befristung fort; unlängst war ein Team von Ermittlern auch in Sofia, um zahlreiche Zeugen zu vernehmen und Dokumente zu sichten.

Der Fall hatte schon vor 30 Jahren beträchtliches Aufsehen erregt und gilt als einer der mysteriösesten Anschläge des Kalten Krieges in Europa. Der 49-jährige Georgi Markow, der 1969 aus Bulgarien emigriert war und seit 1972 im bulgarischen Programm der BBC arbeitete, hatte am 7. September 1978 an der Waterloo-Bridge in London auf den Bus gewartet, als ein Unbekannter mit einem Regenschirm ihn anrempelte und davoneilte. Markow bekam danach Fieber und andere gesundheitliche Probleme, am 11. September starb er. Nach bisherigen Erkenntnissen war er vergiftet worden, und zwar mit dem Stoff Rizin, der ihm in einer Kapsel mit dem Regenschirm ins Bein gestochen worden war.

Für diese Annahme gebe es keinen Beweis, erklärte jetzt der Chef der Abteilung Schwerkriminalität der bulgarischen Polizei, Luchezar Penew. Die in Markows Bein gefundene Kapsel sei um ein Vielfaches zu klein gewesen, um die nötige Menge Rizin aufzunehmen. Schon vorher hatte der zuständige Chefermittler Andrej Tswetanow die Ansicht vertreten, Markows Tod vor 30 Jahren gehe auf einen Fehler der behandelnden Ärzte zurück. Außerdem sagte er, Markows Mörder bleibe unbekannt.

Vom Geheimdienst angeworben und trainiert

Hingegen berichtet jetzt der Enthüllungsjournalist Hristo Hristov in der Zeitung Dnevnik, bei dem Tatverdächtigen mit dem Decknamen "Piccadilly" handele es sich um einen in Italien geborenen Dänen namens Francesco Gullino. Der Name war zuvor schon in britischen Presseberichten genannt worden.

Den neuen Dokumenten zufolge hatte der bulgarische Geheimdienst "Piccadilly" angeworben und trainiert. Weiter heißt es, der bulgarische Geheimdienst Darschawna Sigurnost habe in dieser Sache mit dem sowjetischen KGB zusammengearbeitet und von diesem das Gift Rizin erhalten.

Gleiches hatte jüngst auch der frühere KGB-Generalmajor Oleg Kalugin im Sofioter Sender Radio Darik gesagt. Der Anschlag gehe auf eine Anordnung des damaligen kommunistischen Partei- und Staatschefs Todor Schiwkow zurück. Dieser habe sich sehr geärgert, weil ihn Dissident Markow in den bulgarischen Programmen der BBC und im Sender Radio Free Europe persönlich angegriffen und sich über ihn lustig gemacht habe.

Vor dem Hintergrund dieser neuesten Erklärungen richtet sich alle Aufmerksamkeit auf die Entscheidung der Justizbehörden an diesem Donnerstag. Sollte Ermittler Twetsanow die Untersuchungen einstellen und behaupten, Markows Tod gehe auf einen ärztlichen Fehler zurück, "dann wird das einen Skandal verursachen in einer Zeit, in der Bulgariens Justiz von der EU-Kommission wegen ihrer Ineffizienz kritisiert wird", schreibt die englischsprachige Zeitung Sofia News. Twetsanow habe auch alle Erkenntnisse ignoriert, die frühere Ermittler gesammelt hätten.

Neuen Stoff liefert auch die Enthüllungsserie in Dnevnik, die erst nach dreijährigem juristischen Streit zustande kam. Der Journalist Hristov hatte gegen die Weigerung des Geheimdienstes, ihm die Akten herauszugeben, erfolgreich geklagt.

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SZ vom 10.09.2008/dmo
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