Süddeutsche Zeitung

Mordfall Erik Jan Hanussen:Der Hellseher und die Nazis

1933 töteten SA-Männer den populären Hochstapler Hanussen, der die Nazis gefördert und mit ihnen Orgien gefeiert hatte. Über einen Mordfall mit politischen Komponenten.

Von Josef Schnelle

Auf dem Höhepunkt seines Ruhms füllte er zweimal am Tag das Varieté Scala in Berlin mit Tausenden Besuchern seiner spiritistischen Séancen. Erik Jan Hanussen besaß eine Luxusyacht, einen Bugatti und einen Cadillac und sogar eine eigene Zeitung, die es in der Auflage mit den Boulevardblättern der damaligen Hauptstadtpresse aufnehmen konnte.

Mit seinen Zukunftsprognosen war der angebliche Hellseher stets Stadtgespräch, selbst die Polizei bat ihn bei schwierigen Fällen um seine Hilfe und die halbe SA Berlin-Brandenburgs stand bei ihm mit Spielschulden hoch in der Kreide. Er unterstützte die NSDAP bei ihrem Aufstieg bis zu ihrer Machtergreifung im Januar 1933, über die er in der Hanussen-Zeitung laut jubelte.

Ein paar Wochen später eröffnete Hanussen an der Lietzenburger Straße in Berlin seinen Palast des Okkultismus. Das Prunkstück war die astrologische Bar mit einem kreisrundem Tisch aus Glas und Hanussen als eine Art mystischer Barkeeper in der Mitte.

Doch bei der Eröffnungsfeier ging er zu weit. Die Schauspielerin Maria Paudler ließ er in Trance "Feuer, Flammen, Verbrecher am Werk!" verkünden. Schon am nächsten Tag bewies der Reichstagsbrand, was gemeint gewesen war, das Fanal, mit dessen propagandistischer Ausschlachtung die Nazis ihre Macht schließlich festigten. Seither gilt die Vorankündigung dieses historischen Ereignisses als eines der Motive für den bald folgenden Mord an dem umstrittenen Varieté-Künstler.

Noch im März 1933 wurde er von einem SA-Kommando verhaftet, in die Polizeikaserne in Tempelhof verfrachtet und angeblich gleich wieder freigelassen. In der folgenden Nacht - so wird allgemein angenommen - wurde er mit seinem eigenen Auto aus Berlin hinausgefahren und zwischen Zossen und Baruth erschossen.

Erst Tage später fand man seinen schon von Tieren angefressenen Leichnam. Identifiziert wurde er allerdings nur durch das Monogramm seines Schneiders, das in die Kleidung des Toten gestickt war.

So mysteriös wie der Leichenfund sind die möglichen Motive für den Mord. Erst Anfang 1933 war bekannt geworden, dass Erik Jan Hanussen in Wahrheit jüdischer Herkunft war, dass er sich seinen dänisch klingenden Namen als "Künstlernamen" zugelegt hatte.

Bei seiner Geburt 1889 in Wien hieß er noch Hermann (oder Herschel) Chaim Steinschneider. Trotz all seiner Unterstützung für die Nazis und ihre "Bewegung" konnten sich die führenden SA-Größen nun kaum mehr mit ihm brüsten. Das dritte mögliche Motiv der Mörder dürften die Spielschulden sein.

Allein Hanussens bester Freund Wolf-Heinrich Graf von Helldorff, der später Polizeipräsident von Berlin wurde, soll ihm 150 000 Reichsmark geschuldet haben - auch für manche Gefälligkeit bei den teilweise sadomasochistischen Orgien auf der Yacht.

Die Ermittlungen der Berliner Polizei wurden allzu schnell ohne Ergebnis noch im Juni 1933 eingestellt, schließlich waren die ominösen Schuldscheine, die Hanussen besaß, nach einem Diebstahl verschwunden und vermutlich in den Besitz des ebenfalls bei Hanussen verschuldeten Berliner SA-Führers Karl Ernst übergegangen.

Die Akten des ursprünglichen Gerichtsverfahrens blieben jedenfalls unauffindbar und wurden auch nicht in den Sechzigerjahren bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Berlin gefunden. Man verließ sich bei der neuen Untersuchung, die ergebnislos verlief, weitgehend auf die Aussagen noch überlebender Zeugen.

Doch wer war dieser geheimnisvolle Hanussen, dessen Amulette, Ratgeberbücher und Voraussagen noch heute verbreitet werden, eigentlich wirklich? Seine "Gabe" als Gedankenleser jedenfalls bestand nur aus einem einfachen Trick. Er ließ sich vom Publikum Daten auf Zetteln notieren, um dann mit großen Beschwörungsgesten im Scheinwerferkegel scheinbar nach jedem Detail im Hirn des Fragenden zu suchen.

Manchmal war das zwar "große Oper", aber in Wahrheit reine Trickserei. So ähnlich hatte er schon in seiner Militärzeit den Soldaten an der Front, die Zustände daheim prognostiziert. Dabei merkte sich nur ein Freund bei der Feldpost die Inhalte der Briefe und hielt sie bis nach den improvisierten Séancen Hanussens zurück.

Freigesprochen vom Vorwurf des Betrugs

"Was ist Magie? Die Menschen in dem geliebten Glauben an das Wunderbare nicht zu stören, sondern zu bestärken", schrieb er wenige Jahre vor seinem Tod in seinen Memoiren "Meine Lebenslinie".

In dieser Maxime hatte ihn schon 1930 ein Gericht in der Tschechoslowakei bestätigt, wo er wegen hundertfachen Betrugs angeklagt worden war. Sein Auftritt bei dem Prozess imponierte dem Richter so, dass er ihn freisprach.

Wenn er nicht schwachsinnig sei, hieß es im aufsehenerregenden Urteil, müsse ein Mensch damit rechnen, dass ein Hellseher auch einmal mit einer Voraussage danebenliegen könne. Damit begann der märchenhafte Aufstieg des Magiers zur Stilikone der Berliner Gesellschaft, als die ihn Oscar-Preisträger István Szabó 1988 in seinem Film mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle darstellt.

O. W. Fischer hielt sich 1955 als Hauptdarsteller und Regisseur in seinem Film über den Trickkünstler an die historisch nicht korrekte Idee von Hanussen als tragischer Figur, die sich im Größenwahn mit der Macht einlässt und daran verbrennt.

Am Ende lässt er Lilo Pulver als Hanussens Freundin, die der Magier schnell noch in den Zug nach Paris gesetzt hat, das Erfolgsgeheimnis des Showmasters und angeblichen Hellsehers verkünden: "Mit dem Verstand allein kann niemand dieses Leben aushalten."

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SZ vom 02.06.2018/odg
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