Mord von Dresden: Multikulturalismus:Kampf der fremden Kulturen

Der Mord von Dresden könnte die Multikulti-Debatte ins Wanken bringen - und die Gesellschaft vor die Frage stellen, wie sie mit Konflikten umgeht, auf die sie nicht vorbereitet ist.

A. Kreye

Eine Geste, ein Wort reichen manchmal schon, um einen schwelenden Gesellschaftskonflikt zum Ausbruch zu bringen. An diesem Mittwoch ist der Messermord an der "Kopftuchmärtyrerin" von Dresden zwei Wochen her.

Mord von Dresden: Multikulturalismus: Vor dem Dresdner Rathaus trafen  sich etwa 1500 Trauernde um der im Dresdner Landgericht erstochenen Ägypterin Marwa El Sherbiny zu gedenken.

Vor dem Dresdner Rathaus trafen sich etwa 1500 Trauernde um der im Dresdner Landgericht erstochenen Ägypterin Marwa El Sherbiny zu gedenken.

(Foto: Foto: dpa)

In Deutschland fand der Fall zunächst kaum Beachtung. In der islamischen Welt führt er seit dem Tag der Tat in sämtlichen Medien die Spitzenmeldungen an. Der Tod der 31-jährigen Ägypterin Marwa El Sherbiny gilt als Beweis für den antiislamischen Hass des Westens. Doch es ist weniger der große Bruch zwischen dem Westen und der islamischen Welt, der den Spielplatzstreit zum Mord eskalieren ließ. Es ist ein ganz anderer Kampf der Kulturen, der in Europa noch kaum beachtet wird, und der doch die Debatten um den Multikulturalismus in Frage stellen kann.

Es ist ein Kampf einander fremder Kulturen, der in den Nischen der Gesellschaft tobt und nur selten bemerkt wird. Vielleicht, weil sich dabei nicht die Frage nach dem Wir und den Anderen stellt, sondern die Frage, wie eine Gesellschaft mit neuen Konfliktherden umgeht, auf die sie nicht vorbereitet ist und auf die sie kaum Einfluss hat.

In den USA hat solch ein interkultureller Streit Anfang der neunziger Jahre zu gesellschaftlichen Spannungen geführt, die sich in den Los Angeles Riots entluden, den schlimmsten Rassenunruhen seit den sechziger Jahren. Diese Spannungen begannen im Frühjahr 1990 im Family Red Apple Store im New Yorker Stadtbezirk Queens. Eine haitianische Kundin fühlte sich persönlich angegriffen. Die koreanischen Inhaber des Ladens hätten sie wiederholt beleidigt und schlecht behandelt. Der Nachbarschaftsstreit wuchs zum lautstarken Boykott, der Wochen andauerte. Der Grund war eine kulturelle Unvereinbarkeit.

In der koreanischen Kultur gilt es als unhöflich, einen Unbekannten zu berühren, ihn anzulächeln oder ihm in die Augen zu sehen. In der karibischen Kultur der Haitianer gilt es dagegen als Mindestmaß an Höflichkeit, sich mit herzlichem Lächeln zu begegnen und auch den Handel mit einfachen Lebensmittel mit Handschlag zu besiegeln. Das Wechselgeld mit gesenktem Blick auf die Ladentheke zu legen, wirkt auf Haitianer nicht nur unhöflich, sondern feindselig. Dazu kommt der latente Sozialneid auf die gut vernetzten koreanischen Einwanderer, die in den letzten Jahrzehnten die meisten Gemischtwaren- und Lebensmittelläden in den Schwarzenvierteln führen.

Keine Dynamik des Rassismus

Dieser Sozialneid hat eine lange Geschichte, denn in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts waren es zunächst die jüdischen Einwanderer aus Osteuropa, die diese Läden hatten. Die amerikanischen Schwarzen fühlten sich von ihnen übervorteilt und entwickelten einen ganz eigenen Antisemitismus, den sie auf die jeweils neuen Einwandererwellen übertrugen, welche die Geschäfte in ihren Vierteln übernahmen.

Der schwarze Antisemitismus aber sitzt tief, und so entluden sich Spannungen in der Stadt im folgenden August in offener Gewalt. Im Crown-Heights-Viertel in Brooklyn überfuhr ein Wagen im Konvoi des prominenten hassidischen Rabbis Schneerson den siebenjährigen Gavin Cato, Sohn einer schwarzen Einwandererfamilie aus Guyana. Drei Tage lang dauerten die Unruhen in Crown Heights, bei denen es zu schweren Körperverletzungen, Brandstiftungen, Plünderungen und antisemitischen Ausschreitungen kam.

Im April 1992 kam es dann zu den Unruhen, die Los Angeles sechs Tage lang in ein Bürgerkriegsgebiet verwandelten. 53 Menschen starben, Tausende wurden verletzt. Der direkte Auslöser der Los Angeles Riots war der Freispruch der vier Polizisten, die den schwarzen Autofahrer Rodney King nach einer nächtlichen Verfolgungsjagd vor laufender Videokamera mit Schlägen und Elektroschocks misshandelt hatten.

Der eigentliche Grund für den blindwütigen Hass der Schwarzen in Los Angeles war jedoch ein ganz anderes Urteil gewesen, das den Hass der Schwarzen auf eine vermeintlich rassistische Justiz schon seit Monaten geschürt hatte. Im März 1991 hatte die koreanische Ladenbesitzerin Sun Ja Du die 15-jährige Schwarze Latasha Harlins erschossen. Harlins hatte eine Flasche Orangensaft in ihren Rucksack gesteckt. Du sah nicht das Geld in Harlins' Hand, packte sie am Pullover. Es kam zu einem Gerangel.

Als Harlins flüchten wollte, griff Du nach einer Pistole hinter der Ladentheke und schoss das Mädchen in den Hinterkopf. Harlins starb mit den zwei Dollarscheinen in ihrer Hand. Acht Monate später verurteilte eine Richterin die koreanische Ladenbesitzerin zu Bewährung, Sozialdienst und 500 Dollar Geldstrafe.

Dynamik des Rassismus

In allen drei Fällen war es nicht die offensichtliche Dynamik des Rassismus von einer Mehrheit der Unterdrücker und einer diskriminierten Minderheit, die zum Ausbruch der Unruhen führte. Es war die fatale Mischung aus einander vollkommen fremden Kulturen, die in einem wiederum fremden Drittland aufeinandertreffen, in dem institutionalisierte wirtschaftliche Diskriminierung eine zusätzliche Klassenspannung schafft.

Diplomatische Arbeit im Ghetto

Nun sind die historischen Kräfte, die in Deutschland wirken, ganz andere. Doch auch was am Vormittag des 1. Juli in einem Saal des Landgerichts in Dresden mit einem Mord endete, der nun in der islamischen Welt als Tiefpunkt der Beziehungen zwischen Abend- und Morgenland empfunden wird, begann mit Lappalien - mit ein paar Beleidigungen auf einem Spielplatz. Die Apothekerin Marwa El Sherbiny hatte den 28-jährigen arbeitslosen Spätaussiedler Axel W. gebeten, eine Schaukel für ihren Sohn Mustafa freizugeben. Darauf beschimpfte der Russlanddeutsche die junge Frau als Islamistin, Terroristin und Schlampe, weil sie nach islamischem Brauch ein Kopftuch trug.

Marwa El Sherbiny zeigte Axel W. an, der in erster Instanz zu 780 Euro Geldstrafe verurteilt wurde. Am 1. Juli ging der Fall in Berufung. Während der Verhandlung zog Axel W. ein Messer, stach 18 Mal auf die Frau ein. Als ihr Mann versuchte, dazwischenzugehen, wurde er mit drei Stichen lebensgefährlich verletzt.

Ventil für Frustrationen

Ohne Zweifel war der Antiislamismus die treibende Kraft. Doch es war eben kein gebürtiger Deutscher, der den Mord beging, sondern ein Russlanddeutscher, ein junger Mann, der seit sechs Jahren hier lebte und den Großteil seines Lebens in Perm nahe dem Ural in Russland verbrachte. Marwa El Sherbiny und ihr Mann Elwi waren auch keine Einwanderer, sondern Vertreter einer internationalen Wissenschaftlerszene. Elwi El Sherbiny ist Genforscher, seine Frau Marwa war Apothekerin. Das übliche Opfer-Täter-Schema von den armen Einwanderern und den mittellosen Rechtsradikalen greift hier also nicht.

Es waren zwei einander vollkommen fremde Kulturen, die hier auf einem Spielplatz aufeinandertrafen. Axel W., das ist der Arbeitslose, der in Russland sozialisiert wurde, wo der Fremdenhass gesellschaftlich längst noch nicht die Ächtung erfahren hat wie im westlichen Europa. Der Täter verdankt seine deutsche Staatsangehörigkeit einer historischen Besonderheit, die der Eingemeindung von Russlanddeutschen seit fünfzig Jahren bei der Immigration eine Ausnahmestellung gewährt, ihnen aber keineswegs einen Platz im deutschen Wohlstand garantiert. Im dumpfen Populismus der NPD fand er ein Ventil für seine Frustrationen. Dann sah er die exotisch gewandeten Ausländer, die doch offensichtlich so viel besser gestellt waren als der Aussiedler mit deutschem Pass.

Egal ob USA oder Deutschland, die gesellschaftliche Mitte kann in diesen Konflikten nur die Rolle des Verstärkers oder Vermittlers spielen. Ob gewollt oder nicht - die selektive Bevorzugung schürt das Konfliktpotential. In den USA hat man die Spannungen inzwischen im Griff. Die Unruhen in New York brachen aus, als der erste schwarze Bürgermeister David Dinkins sein Amt antrat, der dann vermitteln konnte. In Los Angeles leistete die Stadt nach den Riots diplomatische Arbeit auf dem Niveau der UN.

Obwohl Deutschland kein Einwanderungsland ist, sind viele Konflikte hier bereits angekommen. Einiges spielt sich in der Unterwelt ab. Russische Bruderschaften haben in Berlin türkische Gangs verdrängt. In den Fehden zwischen Rapstars spiegelt sich so mancher Konflikt aus den Bürgerkriegen im Nahen Osten und im Balkan. Toleranz und Offenheit mögen demokratische Tugenden sein. Für einen funktionierenden Multikulturalismus braucht es jedoch echtes Verständnis und großes diplomatisches Geschick.

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