Mord an türkisch-armenischem Journalisten:Zur Tat gezwungen?

Erstmals hat der minderjährige mutmaßliche Mörder des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink vor Gericht in Istanbul ausgesagt: Er sei zu der Tat gewzungen worden, sagte Ogün S.. Anwälte der Familie Dink werfen indes den Behörden vor, von den Mordplänen gewusst zu haben.

Der mutmaßliche Mörder des armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink ist nach eigener Darstellung zu dem Verbrechen gezwungen worden. Er bereue den Mord, sagte der 17-jährige Ogün S. nach Fernsehberichten vor dem Schwurgericht Istanbul.

Sein Freund, der Mitangeklagte Yasin Hayal, habe ihn zu dem Mord gezwungen. "Ich wusste nicht, dass er Familie hatte", sagte S. über Dink. "Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es nicht getan." Die Anwälte der Familie Dink kritisierten, die wahren Hintermänner der Tat seien bisher nicht ausfindig gemacht worden. Sie werfen den Behörden vor, von den Mordplänen gegen Dink gewusst zu haben.

Ogün S. war zwei Tage nach dem Mord an Dink im Januar gefasst worden und hat gestanden, die tödlichen Schüsse abgegeben zu haben. Als wichtigste Hintermänner der Tat stehen zwei Männer aus der Heimatstadt des Todesschützen zusammen mit S. vor Gericht, Yasin Hayal und Erhan Tuncel.

Erste Stellungnahme vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft wirft den insgesamt 19 Angeklagten die Bildung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor und verlangt Haftstrafen bis hin zu lebenslänglich.

Bei Prozessauftakt Anfang Juli hatte Ogün S. noch die Aussage verweigert und verlangt, vor ein Jugendgericht gestellt zu werden. Am Montag nahm er zum ersten Mal vor Gericht zu der Gewalttat Stellung.

Den Mord habe er unter dem Einfluss von Ecstasy und anderer Drogen verübt, sagte S., wie türkische Fernsehsender unter Berufung auf Mitteillungen von Anwälten aus der nicht-öffentlichen Sitzung meldeten. Als er nach den Schüssen wieder zu sich gekommen sei, habe er sich im Haus seines Onkels in Istanbul befunden.

Der von S. als Drahtzieher beschuldigte Yasin Hayal ist ein polizeibekannter Rechtsnationalist aus Trabzon. Bei einem früheren Gerichtstermin hatte Hayal den türkischen Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk bedroht; auch Pamuk ist bei türkischen Nationalisten wegen seiner Haltung in der Armenierfrage verhasst.

Eine Anwältin der Familie Dink, Fethiye Cetin, sagte der Zeitung Radikal, schon ein Jahr vor dem Mord sei die Polizei in Istanbul über die Attentatspläne informiert gewesen. Dennoch sei Dink nicht beschützt worden.

Grünen-Chefin Roth erschien zur Verhandlung

Zudem werde die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen behindert. So würden Beweismittel vernichtet, offenbar mit dem Ziel, Verbindungen zwischen den mutmaßlichen Dink-Mördern und den Sicherheitskräften zu vertuschen. Einer der Angeklagten, Erhan Tnucel, ist ein ehemaliger Informant der Trabzoner Polizei.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe die Behörden zwar über die Mordpläne informiert, die Polizei dabei aber bewusst auf eine falsche Fährte gelockt, damit der Anschlag nicht vereitelt werden konnte.

Grünen-Chefin Claudia Roth, die ebenfalls zur Verhandlung an das Istanbuler Gericht kam, gab dem "Türkentum"-Paragrafen 301 die Schuld an Dinks Tod. Dink war nach dem Strafrechtsparagrafen, der die "Beleidigung des Türkentums" verbietet, von einem Gericht verurteilt worden. Nicht zuletzt deshalb war er von den mutmaßlichen Mördern als Staatsfeind betrachtet worden.

Roth durfte den Gerichtssaal in Istanbul nicht betreten; das Verfahren wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, weil der Hauptangeklagte Ogün S. noch nicht volljährig ist.

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