Mutmaßliches Enthauptungsvideo:Brutalstmögliche Provokation

Mit dem Journalisten Steven Sotloff töten offenbar die IS-Milizen innerhalb von 14 Tagen bereits die zweite amerikanische Geisel. Doch die blutige Symbolik könnte ihr offizielles Ziel verfehlen - inzwischen befürwortet eine Mehrheit der Amerikaner Luftschläge in Syrien.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

In den amerikanischen Nachrichtenkanälen ist Steven Sotloff in besseren Zeiten zu sehen: Kaum eine Sendung zeigt Standbilder der letzten Minuten Sotloffs, in denen er kurz vor seiner Ermordung im Wüstensand kniet. Stattdessen wird meist ein schlichtes Porträtbild des Journalisten eingeblendet, während die Nachricht von seinem Tod unerbittlich darunter durchrattert.

Vernunft ist das oberste Gebot. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" hat offenbar die zweite amerikanische Geisel innerhalb von zwei Wochen brutal ermordet. Dies eine Provokation zu nennen, wäre untertrieben: Bereits im Video, das die Ermordung seines Kollegen James Foley zeigt, hatten die Täter ihn als nächstes Opfer genannt. IS-Anhänger hatten das zynische Hashtag #StevensHeadInObamasHands erfunden.

Noch in der vergangenen Woche hatte Sotloffs Mutter sich in einem Video an die Entführer gewandt, vergeblich. Die Tat sei eine Vergeltung für US-Luftangriffe auf Amirli, Zumar und den Staudamm von Mosul, sagt Sotloffs vermummter Mörder im Video. Dies deutet darauf hin, dass die Aufnahmen erst in den vergangenen Tagen gemacht wurden. "Der 'Islamische Staat' ist nicht an Verhandlungen interessiert und war es niemals", titelt das Magazin Foreign Policy.

Kam das Material versehentlich in Umlauf?

Womöglich kam das Material durch ein Versehen schon jetzt an die Öffentlichkeit: Die Aufnahmen wurden nicht wie im Falle Foleys auf Videoplattformen platziert, vielmehr stieß ein Mitarbeiter einer Analysefirma für Online-Dschihadismus zufällig in einem Filesharing-Dienst darauf.

Der blutige Symbolismus verfehlt seine Wirkung nicht, allerdings möglicherweise anders, als von der Islamisten-Gruppe offiziell beabsichtigt: Schon nach der Ermordung Foleys stieg in den USA die Zustimmungsrate für Bombenangriffe in Syrien auf 60 Prozent. Am Dienstag forderten einige Kongressabgeordnete lautstark, dem "Islamischen Staat" Einhalt zu gebieten.

In beiden Kammern deuten sich erste Bemühungen an, ein Gesetz zur Legitimierung von Luftschlägen in Syrien auf den Weg zu bringen. Dies hatte US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jahr zur Bedingung für ein Eingreifen im Bürgerkriegsland gemacht. Allerdings sind viele Abgeordnete unwillig, sich im Wahlkampf für einen Militäreinsatz rechtfertigen zu müssen.

Obama selbst hastete zunächst ohne Kommentar zur Air Force One, um zu seiner Europareise aufzubrechen. Sein Pressesprecher Josh Earnest bestätigte, dass die USA "erhebliche Zeit und Ressourcen" darauf verwandt hätten, Sotloff zu befreien. Derzeit prüft die US-Regierung offiziell noch die Authentizität des Videos. Am späten Nachmittag wurde bekannt, dass die USA 350 weitere Militärmitarbeiter nach Bagdad entsenden, um die dortige Botschaft zu schützen.

Video zeigt britische Geisel

Seit der Ermordung James Foleys zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die USA den Vorstoß des IS mit Hilfe einer internationalen Allianz stoppen wollen. Beim anstehenden Nato-Gipfel in Wales dürfte Obama deshalb vor allem um Verbündete werben, ebenfalls in dieser Woche reist Außenminister John Kerry in den Nahen Osten. Mit welcher Strategie IS beizukommen sein könnte, ist Berichten zufolge allerdings auch innerhalb der US-Regierung noch umstritten.

Großbritannien, der traditionell engste Verbündete Washingtons, dürfte Obama den Beistand nicht verwehren. Das aufgetauchte Video wird die Debatten im Vereinigten Königreich noch einmal befeuern: Bei Sotloffs Mörder scheint es sich erneut um jenen Briten zu handeln, der auch Foley tötete. Zudem ist am Ende der Aufnahmen eine weitere Geisel zu sehen, bei der es sich ebenfalls um einen Briten handeln soll. Die Islamisten drohen damit, dass er das nächste mögliche Opfer sein könnte.

In sozialen Medien appellierten zahlreiche Menschen, das Video nicht zu verbreiten. Stattdessen teilten sie Links zu Sotloffs besten Reportagen.

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