Montenegro:Strandverbot

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Touristen sind am Strand von Budva an der montenegrinischen Adriaküste willkommen - nur keine serbischen. (Foto: Savo Prelevic/AFP)

Montenegro verwehrt Serben die Einreise. Dabei geht es wohl weniger um Seuchenschutz als um einen Streit über die orthodoxe Kirche.

Von Tobias Zick, München

Im Südosten Europas hat das Coronavirus bislang weniger gewütet als anderswo, auch weil mehrere Regierungen auf dem Balkan früh entschlossene Lockdown-Maßnahmen verhängt und Grenzen geschlossen haben. Doch jetzt führen ausgerechnet die Lockerungsmaßnahmen zu Konflikten. So hat die Regierung von Montenegro beschlossen, zum 1. Juni die Grenzen wieder zu öffnen. Für Angehörige vieler europäischer Staaten, darunter Kroatien, Albanien, Griechenland und Slowenien. Ausdrücklich ausgenommen dagegen sind Serbien und Bosnien-Herzegowina, das teils serbisch besiedelt ist.

Der serbische Außenminister Ivica Dačić bezeichnete die Entscheidung als "lächerlich und sinnlos", Regierungschefin Ana Brnabić erklärte in einem Fernsehinterview, man werde zwar davon absehen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und Montenegriner von der Einreise nach Serbien auszuschließen. Andererseits gelte: Wenn die Bürger ihres Landes schon "irgendwo hinfahren müssen, dann lieber nicht dorthin, wo sie nicht willkommen sind".

Steckt hinter der selektiven Einreisesperre wirklich in erster Linie die Seuchenbekämpfung? Serbien und Bosnien-Herzegowina sind nicht wesentlich härter von der Covid-Pandemie betroffen als andere Staaten Südosteuropas. Die Regierenden beider Länder wittern denn auch eher politische Gründe dahinter. Gerade flammt ein Konflikt zwischen Montenegro und Serbien wieder auf, der während der Corona-Krise nur vorübergehend unterdrückt war. Seit Ende Dezember hatten in Montenegro wochenlang regelmäßig Zehntausende gegen ein vom Parlament verabschiedetes neues Religionsgesetz protestiert, das dazu führen könnte, dass die serbisch-orthodoxe Kirche einen wesentlichen Teil ihrer Kirchen und Klöster in dem Land verlieren könnte. Dem Gesetz zufolge sollen nämlich Religionsgemeinschaften nur jene Besitztümer behalten dürfen, die ihnen bereits vor 1918 gehörten, dem Zeitpunkt, als Montenegro in das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen eingegliedert wurde. Alles, was später erworben wurde, soll dagegen in den Besitz des Staates übergehen. Während der Abstimmung im Parlament am 27. Dezember kam es zu Tumulten, die Polizei verhaftete 18 Abgeordnete einer proserbischen Oppositionspartei. Die folgenden Proteste auf den Straßen schlugen mehrmals in Gewalt um, auch in Serbiens Hauptstadt kam es zu Ausschreitungen, etwa als Tausende Anhänger des Fußballclubs Roter Stern Belgrad auf die montenegrinische Botschaft zumarschierten, die Flagge auf dem Dach mit Feuerwerkskörpern beschossen und skandierten, sie würden "Milo, dem Dieb" - gemeint war der montenegrinische Präsident Milo Đukanović - "keine heiligen Stätten überlassen".

Von Anfang an war klar, dass es bei dem Konflikt nicht allein um Religion und um Immobilien geht. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić versprach der im Nachbarland bedrängten Kirche seinen Beistand und sprach immer wieder von der "Einheit" des serbischen Volkes - wovon sich Đukanović wiederum in seiner Einschätzung bestärkt fühlen durfte, die Kirche geriere sich als politische Organisation und führe eine großserbische Agenda im Schilde. Nachdem die Regierung in Montenegro wegen der Corona-Pandemie ein Versammlungsverbot verhängt hatte, setzte die serbisch-orthodoxe Kirche ihre Protestmärsche zunächst aus. Doch Mitte Mai ließ die Staatsanwaltschaft einen Bischof und mehrere Priester festnehmen, weil diese mit einer Prozession in der Stadt Nikšić gegen das Versammlungsverbot verstoßen hätten. Das löste Proteste in verschiedenen Städten aus, bei denen mehrere Polizisten und Demonstranten verletzt wurden.

Vučić verschärfte seinen Ton und kündigte an, er werde einerseits weiterhin "den montenegrinischen Staat und seine Unabhängigkeit respektieren", andererseits aber werde er auf der "Einheit unseres Volkes" bestehen. Das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Irinej, sekundierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vučić, die Regierung Montenegros wolle offenbar das Gleiche tun, wie einst das faschistische Ustascha-Regime in Kroatien: das serbische Volk "davonjagen" und die serbisch-orthodoxe Kirche "zerstören".

Solche Rhetorik weckt in der Region düstere Erinnerungen an die Propaganda, welche die Kriege der Neunzigerjahre befeuerte. Manche Analysten gehen davon aus, dass beide Seiten ein Interesse daran haben, den Konflikt am Kochen zu halten, weil sie ihre Bevölkerung so von den wirtschaftlichen Problemen ablenken können, mit denen beide Länder zu kämpfen haben - und die sich nun durch die Corona-Krise noch verschärfen.

Für Montenegro, den kleinen Staat an der südöstlichen Adria, ist der Tourismus eine der wichtigsten Einnahmequellen. Die Entscheidung, jetzt die Grenzen wieder zu öffnen, ist auch von der Hoffnung getrieben, den Sektor wiederzubeleben. Doch der Effekt dürfte zumindest gedämpft ausfallen: Ein nicht unwesentlicher Anteil der ausländischen Gäste in Montenegro kommt üblicherweise aus den Binnenländern Bosnien-Herzegowina und Serbien.

© SZ vom 04.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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