Monarchen und Autokraten:Die Sehnsucht nach Stärke

Monarchien wie Thailand oder Japan befriedigen mit ihren teils archaischen Ritualen ein Bedürfnis der Menschen nach Stabilität und Klarheit, autoritäre Herrscher - von Wladimir Putin bis hin zu Viktor Orban - kopieren sie.

Von Stefan Kornelius

Mystische Zeremonien und heilige Rituale haben in den vergangenen Tagen die Inthronisierung von gleich zwei asiatischen Herrschen begleitet: hundert heilige Wasser, geschöpft aus hundert Quellen zu der Glück verheißenden Zeit zwischen 11.52 Uhr und 12.38 Uhr; ein Schwert, dessen Ankunft am Hof von sieben Blitzschlägen begleitet wurde; ein Spiegel mit göttlichem Ursprung, ein krummes Juwel als Insigne der Macht, stets verborgen vor den Menschen.

In Japan wird die Übergabe der kaiserlichen Autorität erst abgeschlossen sein, wenn der neue Tenno in einer geheimen Zeremonie seinen Bund mit der Sonnengöttin Amaterasu geschlossen hat. Ort und Zeitpunkt werden nur von Kaiser zu Kaiser weitergegeben. Und auch in Thailand folgt das Ritual den Gesetzen der Religion, die den König in den Stand der Göttlichkeit hebt - zum verehrungs- und anbetungswürdigen Symbol der Verschmelzung von Staat und Religion.

Die urgeschichtliche Verwurzelung und die religiös aufgeladene Tradition entfalten in beiden Inthronisierungszeremonien eine Wirkung weit über den Kulturkreis hinaus. Sie erinnern daran, welche Macht diese Herrscherhäuser aus Ritus und Mystifizierung ihrer Rolle schöpften. Und sie mahnen jeden aufgeklärten Republikaner, welch stilles Bedürfnis nach Glanz und Göttlichkeit in vielen Menschen steckt - ein Bedürfnis, das Klerus und Feudalherren stets meisterlich zu ihren Gunsten genutzt haben.

Japans Demokratie und Thailands Militärherrscher haben dem imperialen Zauber längst die Macht genommen. Und dennoch entfalten die Thronriten eine Bindekraft für die Gesellschaft, so wie es das britische Königshaus bis heute und gerade in der Zerfallskrise des Landes tut. Man sollte nicht unterschätzen, dass auch liberale Gesellschaften Bedarf nach stiller Autorität haben. Zwei Bücher über den Bundespräsidenten zeigen gerade, mit welch minimaler Symbolkraft Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier in der Krise zur letzten Regierungsbildung Entscheidungen beeinflusst und Stabilität gewahrt hat.

Monarchien befriedigen ein Bedürfnis nach Stabilität, autoritäre Typen kopieren sie

Die weniger demokratische Variante dieser Führungssehnsucht nennt sich freilich Autoritarismus - sie ist die größte Gefahr für die liberale Gesellschaft. Die Rituale in Japan und Thailand könnte man als zeremonielles Brimborium abtun, spiegelten sie nicht auch die Sehnsucht nach Klarheit und Stärke von oben. Dieses Bedürfnis befriedigen längst mehr Machthaber, als der demokratischen Welt zuträglich wären.

Der Trend hin zu Illiberalität, zur autoritären Regierung ist die moderne Variante feudaler Macht. Nicht ganz zufällig bedient sich dieser Herrschertypus auch der Insignien der alten Zeit. Wladimir Putin lässt die Zarengarde aufmarschieren und den Kreml mit Blattgold überziehen, Viktor Orbáns Ungarn stellt die Stephanskrone und die Reichsinsignien im Zentrum des Parlaments aus.

Archaische Rituale wie in Japan oder Thailand zeugen davon, dass der uralte Kampf der Menschheit zwischen Liberalität und Stärke nie zu Ende gehen wird. Die Sehnsucht nach individueller Freiheit und der Kampf um Gerechtigkeit für alle kollidiert mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, die durch Unterordnung in Familie, Clan, Religion, Nation oder eben dem starken Führertypen befriedigt wird. Die Welt erlebt gerade eine Renaissance der Unfreiheit. Monarchisches Gepränge wirkt dagegen wie eine Spielerei.

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