Moldawien:Ein Land, zwei Regierungen

Moldawien: Der starke Mann im Land: Der Oligarch Vladimir Plahotniuc denkt nicht daran, seine Herrschaft in der Republik Moldau aufzugeben.

Der starke Mann im Land: Der Oligarch Vladimir Plahotniuc denkt nicht daran, seine Herrschaft in der Republik Moldau aufzugeben.

(Foto: Roveliu Buga/AP)

An der Spitze des bitterarmen Landes eskaliert der Machtkampf. Der Milliardär Vladimir Plahotniuc weigert sich, abzutreten. Das Verfassungsgericht hält ihm die Treue.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eine unliebsame Überraschung für Vladimir Plahotniuc, Oligarch und Chef der regierenden Demokratischen Partei (DP) in der 3,5-Millionen-Einwohner Republik Moldau, als zwei andere Parteien beschlossen, eine neue Regierung zu bilden - und damit die Macht Plahotniucs aufzubrechen. Denn der Milliardär Plahotniuc kontrollierte seit Jahren nicht nur die Politik, sondern auch Wirtschaft und Medien, Geheimdienst und Justiz - zum wachsenden Unmut vor allem der EU.

Nach monatelangem Stillstand und wachsendem Druck aus Brüssel, Washington und Moskau stand am 8. Juni überraschend eine neue Kompromissregierung: aus den moskaunahen Postkommunisten (PSRM) und dem westlich orientierten Reformbündnis Acum. Am 8. Juni wurde Acum-Chefin Maia Sandu mit 61 von 101 Stimmen im Parlament zur neuen Regierungschefin gewählt, ihr Co-Anführer Andrei Nastase neuer Innenminister, eine PSRM-Funktionärin wurde neue Parlamentspräsidentin. Darüber sollte Moldaus ebenfalls von den Postkommunisten gestellter Präsident Igor Dodon amtieren.

Doch Oligarch Plahotniuc war nicht bereit, seine Herrschaft aufzugeben. Die Regierungsbildung erfolgte am vorletzten Tag einer seit dem 9. März laufenden Drei-Monats-Frist, innerhalb derer nach einer Wahl eine neue Regierung stehen muss - oder neu gewählt wird. Das Verfassungsgericht, das ebenso wie andere Gerichte als von Plahotniuc kontrolliert gilt, interpretierte die entsprechende Passage der Verfassung von "drei Monaten" auf "90 Tage" um - und erklärte am 7. Juni, die Frist zur Regierungsbildung laufe nicht erst am 9. Juni ab, sondern bereits am 7. Juni.

Das Parlament hat dem Verfassungsgericht das Misstrauen ausgesprochen

Richterspruch Nummer 2: Die am 8. Juni gebildete Regierung sei folglich illegitim und hiermit abgesetzt. Präsident Dodon müsse das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Als Dodon sich weigerte, erklärten die Verfassungsrichter auch gleich den Präsidenten für suspendiert. Neuer amtierender Präsident sei der geschäftsführende Premier Pawel Filip, Vertrauter von Oligarch Plahotniuc. Umgehend schrieb Filip Neuwahlen für den 6. September aus.

Doch die am Samstag angetretene Regierung wurde von der EU noch am Samstag als "demokratisch legitimierte Regierung" anerkannt. Ihrerseits erkennt sie "wegen offenen Machtmissbrauchs zu Gunsten einer Partei" keines der Urteile des Verfassungsgerichts an, so der Parlamentarier Dumitru Alaiba. Das Parlament und 86 Bürgergruppen sprachen dem Verfassungsgericht das Misstrauen aus und riefen seine sechs Richter zum Rücktritt auf.

Am Montagvormittag hielt Ministerpräsidentin Sandu eine Regierungssitzung ab - im Parlament. Denn alle anderen Regierungsgebäude werden von der alten Regierung und von Parteigenossen Plahotniucs kontrolliert. Der je nach Lesart ehemalige oder Noch-Regierungschef Filip hielt parallel eine weitere Regierungssitzung ab.

Moldaus Armee erklärte sich für unparteiisch: "Da es keine absolute Sicherheit über die politische Situation im Land gibt, ist die nationale Armee nur der verfassungsmäßigen Ordnung unterstellt." Über die Macht dürften nun die Polizei, westliche Regierungen und Moskau entscheiden. Präsident Dodon, der seine Suspendierung durch das Verfassungsgericht gleichfalls nicht anerkennt, empfing am Montag westliche Botschafter zum Krisengespräch und bekräftigte, er halte an der am Samstag vereidigten neuen Regierung fest. "Wir drängen EU und führende Regierungen jetzt, dass sie die alte Regierung zur friedlichen Übergabe der Macht bewegt", sagte Parlamentarier Alaiba.

Diese hat allerdings viel zu verlieren. Am Montag setzte das Parlament als erste Amtshandlung einen Untersuchungsausschuss ein: Der soll prüfen, wer 2015 bei einem der größten Bankenschwindel aller Zeiten beteiligt war. Damals verschwanden aus den Währungsreserven der Nationalbank rund eine Milliarde Dollar; auch andere Banken waren an Verschiebungen beteiligt, die Moldau an den Rand des Ruins brachten. Bei einem Verlust der Macht und tatsächlicher Aufklärung müssten etliche Angehörige der bisherigen Regierung und des Lagers um Plahotniuc damit rechnen, im Gefängnis zu landen.

Eine Prognose über den Fortgang wagt in der Hauptstadt Chisinau niemand. Das Verfassungsgericht ist wegen seiner Dominanz durch Oligarch Plahotniuc und "höchst zweifelhafte Entscheidungen" diskreditiert, sagt ein westlicher Diplomat. "Wir haben eine Verfassungskrise mit zwei Regierungen, die am besten wohl im Parlament gelöst wird, deren Mitglieder demokratische Legitimität haben."

Doch selbst wenn sich die am Samstag angetretene Regierung etablieren sollte, ist ihre Lebensdauer wahrscheinlich gering. Die Frage der weiteren Orientierung Moldaus bleibt offen. Wie echte Reformen mit den selbst massiv kompromittierten Postkommunisten als Teil einer Regierung gelingen sollten, ist offen - und Oligarch Plahotniuc bleibt auf Weiteres ein massiver Machtfaktor.

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