Moldau:Streit um russisches Faustpfand

Moldovan President-elect Sandu attends a news conference in Chisinau

Maia Sandu, gewählte Präsidentin der Republik Moldau, will ihr Land stärker an die Europäische Union binden.

(Foto: VLADISLAV CULIOMZA/REUTERS)

Die gewählte Präsidentin der Republik Moldau fordert, dass Moskau seine Truppen aus dem abtrünnigen Transnistrien abzieht - doch daran denkt Waldimir Putin überhaupt nicht.

Von Frank Nienhuysen, München

Joe Biden hat bis heute noch nichts aus Moskau gehört, dafür gratulierte Russland nach dem Sieg von Maia Sandu überraschend schnell und wohlwollend. Sandu hatte in der Republik Moldau gerade gegen den russlandfreundlichen Igor Dodon gewonnen und will als Präsidentin ihr Land nun stärker an die EU binden, trotzdem wünschte Wladimir Putin ihr viel Erfolg. Er sagte, er rechne mit einer "konstruktiven Entwicklung in den Beziehungen beider Länder". Das ist zwei Wochen her. Aber schon jetzt gibt es den ersten diplomatischen Tumult.

Sandus Aufruf ist nicht neu, aber neu ist, dass sie ihn als gewähltes Staatsoberhaupt formuliert: Sie fordert von Russland den Abzug seiner Soldaten, die nicht Teil der offiziellen Friedenstruppen und auf dem Gebiet des abtrünnigen Transnistrien stationiert sind, um dort ein Waffendepot zu bewachen. Mehr als 20 000 Tonnen Munition aus alten Sowjetbeständen sollen dort noch lagern. Sandu sagte: "Wir sind ein unabhängiges Land, das keine fremden Truppen auf seinem Gebiet haben will. Das ist keine Erklärung, das ist eine Notwendigkeit."

Auf die Gratulation zum Sieg folgte schnell die Warnung Moskaus

Sandu schlug außerdem vor, dass die russische Friedenstruppe durch eine zivile Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ersetzt wird. Sie wolle mit Russland darüber reden. Aber Russland denkt nicht daran, seine Soldaten abzuziehen, und so schnell wie die Gratulation kam auch die Moskauer Warnung. Kremlsprecher Dmitrij Peskow prophezeite, dass jegliche Veränderung "die Region ernsthaft destabilisieren könnte".

Die Republik Moldau liegt eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine, hat keinen direkten Meereszugang und auch keinen rechten Zugriff auf einen Teil seines Landes. Völkerrechtlich gehört Transnistrien zu Moldau, doch das Gebiet hat sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion abgespalten und für unabhängig erklärt. Unabhängig kann man das Gebiet nicht gerade nennen, auch wenn es einen Präsidenten wählt, eine eigene Währung und Armee hat und Pässe herausgibt, die international allerdings ziemlich nutzlos sind. Wirtschaftlich gepäppelt durch niedrige Gaspreise und sicherheitspolitisch geschützt wird der Gebietsstreifen von Moskau.

Russland hat seit dem Ende des Abspaltungskrieges und einem Waffenstillstand 1992 Soldaten in Transnistrien stationiert. Kämpfe wie in Bergkarabach gibt es nicht, Sandu sagt, "es gibt schon seit Langem keine Gefahr mehr von Zusammenstößen mit Waffen".

Sandu will vor allem die Korruption im Land bekämpfen

Moskau hält die russischen Truppen in Transnistrien für absolut notwendig und rechtlich gedeckt, Sandu sagt, es sei nie ein Abkommen geschlossen worden für Soldaten, die nicht Teil der Friedenstruppen seien. Im Juni 2018 hatte die UN-Vollversammlung in einer Resolution Russland dazu aufgerufen, "unverzüglich" die sogenannte "Operational Group of Russian Forces" abzuziehen. Aber wer wäre schon da, um das auch durchzusetzen?

Moskau gibt ungern politischen Einfluss auf, das gilt auch für die Republik Moldau, die zwischen West und Ost zerrissen ist. Mit der EU hat das Land einen Assoziierungsvertrag unterzeichnet, andererseits fühlt sich ein Teil der Bevölkerung Russland näher, etwa im russisch-sprachigen Gebiet Gagausien. Vor allem die russische Präsenz in Transnistrien ist für Moskau ein politisches Faustpfand. Leonid Kalaschnikow, Chef eines außenpolitischen Komitees in der russischen Duma, sagte über Sandu herablassend, sie solle wegen Transnistrien nicht herumkrächzen: "Das Gas ist nicht deins, die Menschen sind nicht deine, aber die Friedenstruppen willst du hinausführen."

So klar sind die Verhältnisse allerdings nicht in Transnistrien, wie Kalaschnikow vorgibt. Wirtschaftlich haben sich die Gewichte in den vergangenen Jahren doch etwas zugunsten des moldauischen Staates verschoben. Nachdem Russland mit Moldau vor Jahren einen Handelskrieg begonnen hatte und einige moldauische Produkte boykottierte, zeigte sich die EU gern zur Hilfe bereit und öffnete ihren Markt. Sogar Transnistrien, das noch immer wie ein zurückgebliebener Teil der alten Sowjetunion wirkt, exportiert nur noch knapp 15 Prozent seiner Waren nach Russland - die meisten gehen ins moldauische Kerngebiet und in die EU, vor allem nach Rumänien.

Viele Menschen in Transnistrien arbeiten in den Städten Moldaus, und in den transnistrischen Grenzgebieten gibt es Schulkinder, die mit Bussen zum Unterricht nach Moldau fahren. Dort wird auf Rumänisch unterrichtet, viele sehen darin mehr Chancen auf Jobs. Auch der bisherige russlandfreundliche Präsident Dodon hat an diesem Trend nichts geändert.

Seine Nachfolgerin Sandu hat viele Jahre als Beraterin bei der Weltbank gearbeitet, sie will nun vor allem die Korruption beenden, die sie als Grundübel für die Armut ausgemacht hat. Sie meint damit das gesamte Land, auch Transnistrien, das immer wieder als Schmugglerzone von sich reden machte. Dazu braucht sie dort mehr Einfluss, und um den kämpft sie jetzt. Das Oberhaupt Transnistriens, Wadim Krasnoselski, zeigte sich offen für Gespräche mit Sandu. Aber nur, wenn sie ihn als gleichwertigen Partner anerkenne.

Damit Sandu all ihre Pläne besser durchsetzen kann, strebt die gewählte Präsidentin eine baldige Neuwahl des Parlaments an. Dort haben noch die Sozialisten die Mehrheit - und machten am Donnerstag davon Gebrauch. Das Parlament entzog der Präsidentin die Kontrolle über die Sicherheitsdienste. Diesmal kam aus ihrem Lager die Antwort prompt. Tausende Menschen zogen zum Protest auf die Straße.

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