Moldau:Zu viele Sorgen auf einmal

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Demonstranten, die der Partei eines zwielichtigen Oligarchen zugerechnet werden, protestieren in der Hauptstadt Chișinău gegen die Regierung. (Foto: Rodion Proca/Imago/SNA)

Erpresst von Russland, mehr als 30 Prozent Inflation, gezielt gesteuerte Dauerproteste: Moldau, das ärmste Land Europas, braucht dringend internationale Hilfe.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Ana Revenco hat sich zwei Tage Zeit genommen, um für eine Tagung zu Migrationsfragen nach Wien zu kommen; es soll unter anderem um Hilfe für ukrainische Flüchtlinge gehen. Eigentlich verlässt sie ihr Land derzeit nur ungern, und die Flüchtlinge sind ohnehin nur eine von gefühlt hundert Sorgen, Problemen und Krisen, um die sich eine Innenministerin der Republik Moldau kümmern muss. Man hört es an ihrer Stimme, man sieht es in ihrem Blick: Diese Frau steht unter Strom und unter Stress.

Andererseits: Um die existenziellen Probleme zu bewältigen, denen sich die moldauische Regierung gegenübersieht, braucht das Land sehr viel Geld, das es nicht hat. Es braucht Energie, die nicht aus Russland kommt. Sicherheit, die von der Nato garantiert wird. Und Stabilität, die derzeit durch den Krieg in der Ukraine und durch aus dem Ausland gesteuerte Akteure und durch Dauerproteste im Inneren untergraben wird. Nichts davon ist zu haben ohne Hilfe von außen. Also ist eine hochkarätige Frauentruppe, Präsidentin Maia Sandu, Premierministerin Natalia Gavrilița und Innenministerin Revenco, viel in Europa und der Welt unterwegs. Während daheim die Luft brennt.

Das kleine Moldau hat nur 2,6 Millionen Einwohner, von Ost nach West braucht man an manchen Stellen gerade mal 90 Minuten. Es gilt als ärmstes Land Europas; auch der EU-Kandidatenstatus wird daran so schnell nichts ändern. Und es ist die vielleicht fragilste junge Demokratie in der Region; erst seit der Amtsübernahme vor drei Jahren steuert die proeuropäische Regierung einen klaren Westkurs, während prorussische Politiker, korrupte Oligarchen und eine dysfunktionale Justiz dagegen arbeiten.

Das Land ist völlig von russischem Gas abhängig - und Moskau droht mit einem Lieferstopp

Als reiche das nicht, befinden sich in der Separatistenregion Transnistrien ein paar Tausend russische Soldaten und ein Munitionslager mit geschätzt 20 000 Waffen. Die Sicherheitslage ist also, kriegsbedingt, mehr als prekär. Das Land hat eine der längsten Grenzen mit der Ukraine, 600 000 Flüchtlinge sind bisher gekommen, 80 000 geblieben. Und es ist komplett von russischem Gas abhängig, das auch genutzt wird, um den Strom für Moldau zu produzieren - das Kraftwerk steht allerdings in Transnistrien. Was die Sache doppelt kompliziert macht.

Das ist also die Lage. Weshalb die Ministerin in Wien sagt: "Wir haben zu viele Sorgen auf einmal." Weil sie perfekt Englisch spricht, wie die an amerikanischen Universitäten ausgebildete Präsidentin und die Premierministerin auch, sagt die 45-Jährige: "We have too much on our plate."

Da ist die Inflation, sie liegt bei mehr als 30 Prozent derzeit, und auch die Gaspreise sind um das Siebenfache gestiegen. Kaum ein Bürger kann das ohne massive Hilfe vom Staat bezahlen, aber der ist praktisch pleite. Erst hat Moskau die Gaszufuhr gesenkt, offiziell, weil Chișinău bei Gazprom hohe Schulden hat, aber auch, weil die Regierung sich eindeutig mit Kiew solidarisiert hat. Nun droht Gazprom mit einem kompletten Ende der Lieferungen. Ana Revenco sagt dazu: "Die Lage ist dramatisch. Russland hat uns immer erpresst." Nun habe leider auch die Ukraine, das noch Gas lieferte, den Export wegen der zerstörten Infrastruktur und eigener Nöte gestoppt. Verhandelt wird derzeit mit Rumänien und Aserbaidschan. Aber Gas auf dem Spotmarkt kaufen und nicht, wie bisher, zu einem erträglichen Preis von Moskau - wer soll das bezahlen?

In der Bevölkerung, ohnehin zum Teil prorussisch eingestellt, wachsen Wut und Angst. Die nutzt, zum Beispiel, Ilan Schor. Seine Geschichte ist irre - selbst für gewohnt undurchsichtige, moldauische Verhältnisse. Der Mann, geboren in Tel Aviv, aufgewachsen in dem kleinen moldauischen Ort Orhei, gilt als einer der Drahtzieher des Diebstahls von etwa einer Milliarde Euro, die 2014 von drei moldauischen Banken verschwanden - damals ein Sechstel der Wirtschaftsleistung des bitterarmen Staates. Er wurde unter Hausarrest gestellt, 2017 verurteilt, legte aber Berufung ein, das Verfahren läuft immer noch. Revenco sagt: "Teilweise wurde es sogar ausgesetzt, weil unsere Justiz so korrupt ist. Auch für den Kampf um Rechtsstaatlichkeit brauchen wir Europa."

In der Hauptstadt campierten wochenlang offenkundig dafür bezahlte Demonstranten

Schor flüchtete 2019 vor einer Haftstrafe, lebt seither in Israel, betreibt aber in Moldau weiter Firmen, unterhält sogar eine Partei, die seinen Namen trägt und derzeit in Umfragen bei bis zu 20 Prozent liegt, er hat russlandfreundliche Medien und Webseiten gekauft und jüngst Vertrauensleute nach Moskau geschickt - offiziell zu Verhandlungen über den Gaspreis. Die Innenministerin nennt keine Namen, wenn sie von "korrupten Persönlichkeiten" spricht, sie erwähnt aber mit Bitterkeit in der Stimme, dass wochenlang Demonstranten in der Stadtmitte von Chișinău gecampt hätten, um gegen die Regierung zu protestieren, diese seien ganz offensichtlich bezahlt worden. Am Montag löste die Polizei die Zeltstadt auf.

Hinter den Protesten steht unter anderem Schor, der die Gesellschaft, ebenso wie andere interessierte Kräfte, zu spalten und aufzuwiegeln sucht. Die Botschaft lautet: Die Regierung ist schuld an hohen Gaspreisen und der galoppierenden Inflation, unsere guten Beziehungen zu Moskau könnten helfen. Laut moldauischen Medien will Schor die Regierung stürzen, um seine strafrechtliche Verfolgung zu stoppen und aus Israel zurückkehren zu können. Revenco sagt, etwas erschöpft: "Wir müssen unsere Demokratie vor solchen Leuten schützen."

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