Krieg in GazaWas über Israels Angriff auf den Militärchef der Hamas bekannt ist

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Der Angriff im Süden des Gazastreifens kostete Dutzende Menschen das Leben.
Der Angriff im Süden des Gazastreifens kostete Dutzende Menschen das Leben. (Foto: Mohammed Salem/REUTERS)

Das israelische Militär bestätigt eine Attacke in al-Mawasi, die den militärischen Kopf der Hamas ausschalten sollte. Über dessen Schicksal gebe es laut Ministerpräsident Netanjahu jedoch „keine absolute Gewissheit“. Was wir wissen – und was nicht.

Von Max Fluder

Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben den Anführer der Kassam-Brigaden, Mohammed Deif, angegriffen. Deif ist eines der ranghöchsten Mitglieder der islamistischen Hamas und soll eine zentrale Rolle beim Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober eingenommen haben. Bei der israelischen Attacke im Süden des Gazastreifens sollen Dutzende Menschen gestorben und etliche weitere verletzt worden sein. Die Lage ist unübersichtlich.

Was ist passiert?

Am Samstagmorgen hat Israels Militär Luftangriffe auf ein Gebiet nahe Chan Yunis im Süden des Gazastreifens geflogen. Laut Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sollen mindestens 71 Menschen gestorben und mehr als 280 verletzt worden sein. In einer späteren Mitteilung am Samstagabend war von mehr 90 Toten die Rede. Das israelische Militär machte zunächst keine Angaben zu Toten oder Verletzten.

Auf von Nachrichtenagenturen veröffentlichten Fotos sieht man einen metertiefen Krater. Dort sollen Bomben eingeschlagen sein.

Palästinenser am Rand des Kraters.
Palästinenser am Rand des Kraters. (Foto: BASHAR TALEB/AFP)

Zu sehen sind auch Menschen, die im Sand und Schutt graben, vermutlich um nach Überlebenden zu suchen. Andere Bilder zeigen, wie Menschen Verletzte in Sicherheit zu bringen versuchen. Andere trauern um Tote, darunter auch Kinder, die bei dem Angriff ums Leben gekommen sind. Auch Videos auf X, ehemals Twitter, die den Ort des Angriffs zeigen sollen, lassen auf große Zerstörung und viele Opfer schließen. Die Echtheit der Videos konnte zunächst nicht unabhängig verifiziert werden.

Wo fand der Angriff statt?

Der Angriffsort liegt nahe Chan Yunis in der von Israel deklarierten humanitären Zone al-Mawasi. Israel hatte in der Vergangenheit die Bevölkerung des Gazastreifens mehrmals aufgerufen, sich dorthin zu begeben, um möglichen Angriffen des israelischen Militärs zu entgehen.

Auf X veröffentlichte die israelische Armee ein Bild, das den Ort vor und nach der Attacke zeigen soll. Es sei ein von Bäumen, Baracken und Gebäuden gesäumtes, offenes Gebiet. Bei dem Schlag von Samstagmorgen handele es sich um einen „präzisen Angriff“. Auf dem Areal gab es demnach keine Zelte. 

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In einer Erklärung der Hamas, die der Sender Al Jazeera veröffentlichte, hieß es hingegen, Israel habe Zelte und andere Anlagen von Bewohnern des Gazastreifens getroffen und sich eines „Massakers“ schuldig gemacht.

Anhand des von der israelischen Armee veröffentlichten Bildmaterials lässt sich der Ort des Angriffs lokalisieren. Das Grundstück grenzt an eine zweispurige Straße, die von Chan Yunis zur Küste verläuft.

Ein Militärvertreter Israels bestätigte Journalisten in einem Online-Gespräch, dass das getroffene Objekt in der von Israel so deklarierten humanitären Zone westlich von Chan Yunis gelegen habe. „Es war aber eine abgezäunte, bewachte Hamas-Basis, besetzt mit Terroristen“, fügte er hinzu. Das Gebiet sei von der Hamas kontrolliert worden und nach Informationen des Militärs hätten sich dort auch nur Hamas-Terroristen und keine Zivilisten aufgehalten.

Wem galt der Angriff?

Das israelische Militär bestätigte am Samstagmittag, der Angriff habe dem Anführer der Kassam-Brigaden, Mohammed Deif, und einem weiteren ranghohen Hamas-Mitglied, Rafa Salama, gegolten. Ob beide bei dem Angriff auch getötet oder verletzt wurden, teilte das Militär zunächst nicht mit. Auch in einer Pressekonferenz am Abend gab es dazu noch keine neuen Informationen. „Es besteht noch keine absolute Gewissheit“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Tel Aviv.

Nach Hamas-Angaben ist Deif nicht getötet worden. Ein ranghoher Hamas-Vertreter sagt dem Sender Al-Dschasira, Deif höre Netanjahus Stellungnahme dazu und spotte darüber.

Die israelische Zeitung Haaretz hatte zuvor berichtet, dass die Armee davon ausgehe, dass sich Deif unter den Opfern befinde. Der saudi-arabische Sender al-Hadath berichtete, Deif sei schwer verletzt.

Mohammed Deif steht seit mehr als 20 Jahren auf der „Wanted“-Liste der Israelis ganz weit oben. Deif soll maßgeblich für den Angriff der Hamas am 7. Oktober des vergangenen Jahres verantwortlich sein. Den Angriff, innerhalb der Hamas auch als „Al-Aksa-Flut“ bezeichnet und nach der Moschee in Jerusalem benannt, hatte er in einer Audiobotschaft gepriesen. Deif soll zudem für das berüchtigte Tunnelsystem der Hamas verantwortlich sein.

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Ein Ziel Israels im Gaza-Krieg ist es, Deif sowie den Hamas-Führer Jihia al-Sinwar, gefangenzunehmen oder zu töten. Sie gelten als die beiden wichtigsten Anführer der Organisation innerhalb des Gazastreifens. Im März hatte die Armee die Tötung des dritthöchsten Hamas-Führers im Gazastreifen, Marwan Issa, gemeldet.

In ihrer Erklärung bestritt die Hamas, Israel habe einen ihrer Anführer bei Chan Yunis getroffen. Stattdessen würde Israel die Anwesenheit ihrer Führung immer wieder als Ausrede hernehmen.

Wie ist die Lage nach dem Angriff?

Mitarbeiter im nahe gelegenen Nasser-Krankenhauses berichteten laut dpa, dass es nicht mehr ausreichend Betten gebe, um die große Zahl der Verletzten nach den Angriffen aufzunehmen. Der Palästinensische Rote Halbmond schreibt auf Twitter, seine Mitarbeiter hätten mehr als 100 Verletzte behandelt und 21 Leichen geborgen. Etliche der Verletzten und alle Toten seien in nahegelegene Krankenhäuser gebracht worden. Die New York Times zitiert den Direktor des al-Amal-Krankenhauses in Chan Yunis mit den Worten: „Alle Krankenhäuser in der Gegend sind voll mit Verwundeten.“ Viele Patienten, auch solche in kritischem Zustand, müssten auf den Gängen behandelt werden.

Waren israelische Geiseln in al-Mawasi?

Israelische Medien hatten unter Berufung auf die Armee berichtet, es sei unklar, ob sich in der Gegend des Militäreinsatzes auch Geiseln befunden hätten. Das Militär gehe aber davon aus, dass Hamas-Führer wie Deif einige der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Ein Sprecher der israelischen Armee sagte laut dpa hingegen, man sei sich sehr sicher, dass sich zum Zeitpunkt des Angriffs keine israelischen Geiseln in dem Objekt befunden hätten.

Wie reagieren andere Länder auf den Angriff?

Ägypten und Jordanien übte Kritik an dem Angriff Israels auf den Hamas-Militärchef. Das jordanische Außenministerium wirft Israel vor, „Zelte von Vertriebenen gezielt anzugreifen“.

Das ägyptische Außenministerium äußert sich ähnlich: Es „verurteilt den israelischen Angriff im al-Mawasi-Gebiet, der den Tod und die Verletzung Dutzender Palästinenser zur Folge hatte, aufs Schärfste“. Ägypten verlangt von Israel, seine Angriffe auf Zivilisten einzustellen.

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters.

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