Mohammed bin Salman:Der Prinz will Saudi-Arabien radikal verändern

Mohammed bin Salman: Ungewöhnlich klar hat sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman zur Zukunft des Landes geäußert: Er möchte zurück "zu einem moderaten Islam".

Ungewöhnlich klar hat sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman zur Zukunft des Landes geäußert: Er möchte zurück "zu einem moderaten Islam".

(Foto: AFP)
  • Der saudische Prinz Mohammed bin Salman peilt eine radikale Veränderung der verkrusteten Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen an.
  • Dem Kronprinzen geht es dabei um eine Öffnung der immer noch extrem konservativen Gesellschaft des Landes.
  • Unterhaltung soll ein Wirtschaftszweig werden, Frauen stärker ins Wirtschaftsleben integriert werden.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die "Visionäre der Welt" will Saudi-Arabiens mächtiger Kronprinz Mohammed bin Salman in "Neom" versammeln, einer Sonderwirtschaftszone und Megastadt, die an den Gestaden des Roten Meeres entstehen soll - für 500 Milliarden Dollar. "Das wird kein Platz für konventionelle Leute oder herkömmliche Unternehmen", sagte der 32-Jährige am Dienstag auf einer Wirtschaftskonferenz in Riad. Zweifellos betrachtet er sich selbst auch als Visionär - wenngleich seine ambitionierte Reformagenda aus der Not geboren ist: Machte er so weiter wie seine Vorfahren, wäre Saudi-Arabien in wenigen Jahren bankrott.

Das hat sehr viel mit den gesunkenen Ölpreisen zu tun, aber auch mit der Demografie. 70 Prozent der etwa 20 Millionen Saudis sind unter 30. Fünf Millionen, viele gut ausgebildet, drängen in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmarkt. Die Rentierwirtschaft, die große Bevölkerungsteile bei Laune hielt, bezahlt aus Öl-Dollars mit unproduktiven Jobs im öffentlichen Dienst, kann diese Herausforderung nicht bewältigen. Damit steht der ungeschriebene Gesellschaftsvertrag infrage - mithin die Zukunft der absoluten Monarchie.

Saudi-Arabien hat immer noch Geld in einem ungeheuren Maß

Es mag nach Großmannssucht klingen, binnen acht Jahren eine Planstadt für Millionen in die Wüste zu bauen, die in neun Zukunftsbranchen Weltspitze sein soll. Allerdings ist der Veränderungsdruck in Saudi-Arabien gewaltig, solange das Barrel Öl zwischen 50 und 60 Dollar kostet. Und es gibt Projekte wie die König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie, eine Graduierten-Einrichtung 80 Kilometer von Jeddah, die den Vergleich mit US-Elite-Universitäten nicht scheuen muss.

Saudi-Arabien hat noch immer Geld in einem Maße, das gängige Kategorien sprengt. Zusammen mit der auf den Kronprinzen zugeschnittenen Entscheidungsstruktur erlaubt dies MbS, wie er genannt wird, auf eine für saudische Verhältnisse radikale Veränderung der verkrusteten Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen hinzuarbeiten - zumal er Jahrzehnte herrschen dürfte, wenn er seinen Vater beerbt.

Anleihen bei den Vereinigten Arabischen Emiraten sind in der in der "Vision 2030" ausformulierten Entwicklungsplanung unverkennbar. Ihr Ziel ist es, die Wirtschaft abzukoppeln von der Abhängigkeit vom Öl. Finanziert werden soll das durch einen Teilbörsengang des staatlichen Ölkonzerns Saudi-Aramco. Fünf Prozent des Unternehmens sollen 2018 auf den Markt gebracht werden und 100 Milliarden Dollar einbringen. Zugleich soll "Neom" zusammen mit internationalen Firmen errichtet werden. In Riad waren Investoren vertreten, die Vermögen von 22 Billionen Dollar repräsentieren - die deutsche Wirtschaftsleistung betrug 2016: 3,43 Billionen.

Dem Kronprinzen geht es aber um mehr; er will den Gesellschaftsvertrag mit der jungen Generation erneuern und die immer noch extrem konservative Gesellschaft des Landes öffnen. Er weiß dabei die Mehrheit der jungen Saudis hinter sich. Viele von ihnen haben im Ausland studiert, die anderen sind per Smartphone mit der Welt verbunden. Jedes Wochenende bilden sich kilometerlange Autoschlangen an der Brücke nach Bahrain. Junge Menschen fahren 500 Kilometer von Riad, um in Manama ins Kino gehen zu können. Vergangene Woche wurden nun Filme im König-Fahd-Kulturzentrum in Riad gezeigt, im Publikum Frauen wie Männer.

Die verhasste Religionspolizei ist entmachtet worden

Unterhaltung soll ein Wirtschaftszweig werden, Frauen stärker ins Wirtschaftsleben integriert werden. 2016 stellten sie nur ein Fünftel der arbeitenden Bevölkerung, einer der niedrigsten Werte weltweit, obwohl mehr als die Hälfte der Universitätsabsolventen Frauen sind. Die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte steigt rapide, um 130 Prozent in den vergangenen vier Jahren.

Der Prinz überzeugte seinen Vater, König Salman, die verhasste Religionspolizei zu entmachten und die Vormundschaft der Männer über die Frauen zu lockern - ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung. Überdies setzte er durch, dass Frauen von 2018 an Autofahren dürfen.

Er legte sich mit ultrakonservativen Klerikern im Königreich an, obwohl sie zu den zentralen Stützen der Monarchie zählen. Mehr als alle Ankündigungen wurde in Saudi-Arabien wahrgenommen, dass MbS sagte, er werde sein Land "zu einem moderaten Islam zurückführen" und in einem nachfolgenden Interview mit dem Guardian die vergangenen 30 Jahre für "nicht normal" erklärte - in den Siebzigerjahren gab es noch Kinos im Königreich. Er sagt damit, dass in Saudi-Arabien Fundamentalisten das Sagen hatten, gar Extremisten. An sie hatte das Königshaus die Familien- und Gesellschaftspolitik ausgelagert. Im Gegenzug verliehen die Kleriker dem Königshaus religiöse Legitimität.

Sie gewannen an Einfluss nach der Besetzung der Großen Moschee von Mekka im November 1979 mit mehr als 500 Toten und der Islamischen Revolution in Iran, die mit der Rückkehr von Ayatollah Ruholla Chomeini nach Teheran im Februar desselben Jahres ihren Ausgang nahm. Beide Ereignisse empfand das Königshaus als existenzielle Bedrohung, Irans revolutionäre Ideologie bis heute. Mohammed bin Salman bricht allerdings nicht unterschiedslos mit den saudischen Salafisten, im Westen als Wahhabiten bezeichnet. Er geht vor allem gegen Kleriker vor, die sich seiner Agenda widersetzen oder islamistischen motivierten politischen Aktivismus predigen, wie er kennzeichnend für die Muslimbruderschaft ist. Schon das ist unerhört.

Reibungslos geht all das nicht vonstatten: Einschnitte für Staatsbeamte nahm der König jüngst zurück, und damit zentrale Bestandteile der Reformen des Sohnes. Am Börsengang von Saudi-Aramco mehren sich die Zweifel. Es wächst der Widerstand des konservativen Establishments, dessen Einfluss bis weit in die unübersichtliche Königsfamilie reicht. MbS zeigt sich unbeeindruckt. Aber all seine Pläne hängen davon ab, ob es ihm gelingt, seine Macht zu konsolidieren. In Riad schwirren die Gerüchte, sein Vater könnte abtreten - und so dem Sohn noch zu Lebzeiten den Thron sichern.

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