Möglicher Sarkozy-Herausforderer Hollande:Operation Auferstehung

François Hollande galt als abgehalfterter Parteisoldat, dann nimmt er 15 Kilo ab, wechselt die Brille und lässt sich erklären, wie man entschlossener rüberkommt. Jetzt könnte der Sozialist der gefährlichster Herausforderer von Präsident Sarkozy bei der französischen Präsidentschaftswahl werden.

Stefan Ulrich, Paris

Ein eisiger Wintertag Anfang 2009: François Hollande sitzt in der Kirche von Saint-Ouen, einer Arbeitervorstadt von Paris. Er wohnt der Totenmesse für seine Mutter bei. Sie hatte ihm als Kind die Wärme gegeben, die der Vater, ein Arzt mit rechtsradikalen Ambitionen, vermissen ließ; und sie hatte geglaubt, dass François zu Großem berufen sei, womöglich zur Präsidentschaft. Nun ist die Mutter verstorben und ihr Sohn in diesem Moment an einem toten Punkt seines Lebens angelangt.

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Vom Parteisoldaten zum möglichen Sarkozy-Herausforderer: François Hollande

(Foto: AFP)

Privat durchlebt der sozialistische Politiker turbulente Jahre. Die Beziehung zu seiner Partei-Rivalin Ségolène Royal, mit der er vier Kinder hat, zerbricht nach Jahrzehnten. Beruflich hat er, nach elf Jahren, den Parteivorsitz der Sozialisten an Martine Aubry abgegeben. Fernsehen und Zeitungen interessieren sich nicht mehr für ihn. Von Freunden wird der nachlässig gekleidete, dickliche Mann ermahnt, mehr aus sich zu machen: "Du musst Selbstachtung haben."

Vielleicht geht in dieser dunklen Stunde der Ruck durch Hollande, der sein Leben verändert. Jedenfalls beginnt nun jene Metamorphose, die den abgehalfterten Apparatschik zum aussichtsreichsten Präsidentschaftsanwärter Frankreichs werden lässt. Der farblose Bonvivant mit dem gutmütigen Lächeln speckt ab, von 15 Kilo ist die Rede. Er wechselt Frisur und Brille, kleidet sich sorgsamer, lässt sich von Theaterschauspielerinnen in Gestik unterweisen und gewöhnt sich ein entschlosseneres Auftreten an.

Der Lohn der Mühe: Diesen Sonntag wählen die Sozialisten in einer für alle Linken offenen Urwahl ihren Präsidentschaftskandidaten - und Hollande ist der Favorit. Umfragen sehen ihn deutlich vor Aubry, Royal und weiteren Kandidaten. Die wohl fällige Stichwahl gegen Aubry eine Woche später dürfte er klar gewinnen. Zudem prophezeien ihm die Auguren, er werde kommendes Frühjahr bei der Präsidentschaftswahl auch Nicolas Sarkozy schlagen. Die Operation Auferstehung ist gelungen.

Natürlich hat der früher als "Monsieur Royal" und "kleiner Witzbold" bespöttelte Sozialist dies nicht nur seiner äußerlichen Rundumerneuerung zu verdanken. Hollande reist seit zwei Jahren emsig durchs Land, besucht Märkte, Fabriken und Kulturzentren, tätschelt Kühe, schüttelt Hände und fragt Abertausende Franzosen, wie es ihnen denn so gehe. Die Bürger nehmen ihm diese Leutseligkeit ab. Sie merken, dass er Menschen wirklich mag und gern mit ihnen redet, eine Eigenschaft, die er mit Ex-Präsident Jacques Chirac teilt.

Dennoch wäre der 1,71 Meter kleine Arztsohn aus Rouen kaum aus der Außenseiterrolle herausgekommen, wenn nicht der Parteimatador Dominique Strauss-Kahn im April eine verhängnisvolle Begegnung mit einem New Yorker Zimmermädchen gehabt hätte. Strauss-Kahn machte sich als Kandidat der Sozialisten unmöglich - und den Weg für Hollande frei. Die herrisch und muffig wirkende Parteichefin Aubry vermochte es nicht, seinen Vormarsch zu stoppen; und auch die ewig jugendliche Madame Royal, die sozialistische Kandidatin von 2007, fiel weit hinter ihren früheren Lebensgefährten zurück.

Entspanntes "Weichei"

Auch Sarkozy trägt seinen Teil zum Aufstieg Hollandes bei. Die Franzosen haben das Vertrauen in ihren Präsidenten verloren, der viel versprochen und wenig gehalten hat. Der machtfixiert und verbissen wirkende Sarkozy gibt ihnen in diesen Krisenzeiten weder das Gefühl von Geborgenheit noch Zuversicht. Ganz anders der volksnahe, mit viel Humor gesegnete Hollande.

Der Präsidentschaftswahlkampf wird von den Krisenängsten der Menschen bestimmt werden. Dies kommt einem Kandidaten zu gute, der beruhigt und aufmuntert. Bei seinen Auftritten benutzt Hollande gern die Worte "Gelassenheit", "Solidität" und "Glaubwürdigkeit". Er verspricht, ein "normaler Präsident" zu werden - im Gegensatz zu Sarkozy.

Der Präsident im Élysée wehrt sich mit Spott. Hollande sei wie ein Zuckerstück, er wirke solide, löse sich aber in Wasser auf, sagte er. Parteifreundin Aubry bezeichnete Hollande sogar als "Weichei". Und Royal polemisierte gegen ihren Ex-Gefährten: "Können die Franzosen eine Sache nennen, die er in 30 Jahren politischen Lebens geschafft hat?"

Tatsächlich ist Hollande, der seine Machtbasis im ländlichen Département Corrèze hat, in gewisser Weise ein Unbekannter. Er hatte - anders als Aubry und Royal - nie ein Ministeramt inne. Dies ist ungewöhnlich für einen Präsidentschaftsanwärter. Zudem gilt er als Mann, der sich alle Türen offen lässt. Anstatt sich in der Sache festzulegen, spricht er lieber davon, Frankreich Stolz und Würde zurückzugeben.

Einige Leitlinien aber hat er doch vorgegeben. Sie klingen beruhigend, jedenfalls für die deutschen Nachbarn. Hollande will sparen. Er möchte die Neuverschuldung Frankreichs bis Ende 2013 auf drei Prozent drücken und strebt bis 2017 einen ausgeglichenen Haushalt an. Den Franzosen verspricht er ein gerechtes Steuersystem, in dem er Schlupflöcher schließen will.

Zu seinem Schwerpunkt aber hat er die Jugend gemacht. Unternehmen, die junge Leute einstellen, will Hollande entlasten. Außerdem verheißt er, Zehntausende Lehrerstellen neu zu schaffen, die Sarkozy gestrichen hat. "Um Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, braucht man ein Thema, das die ganze Gesellschaft anspricht", erklärt er. In der Jugend hat er es gefunden.

Der alte Parteisoldat, der schon am Wahlsieg François Mitterrands 1981 mitwirkte, schafft es, sich als erfahrener Politiker und frischer Mann zugleich darzustellen. Als Junge prahlte er auf dem Schulhof, er werde einmal Präsident werden. Jetzt, mit 57 Jahren, stürmt er tatsächlich Richtung Élysée.

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