Mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl:Wer mit wem?

CDU-Wahlplakate

Die Politologen Decker und Jesse behandeln in einem Sammelband vergangene, gegenwärtige und zukünftige Koalitionsmodelle.

(Foto: dpa)

Schwarz-Rot? Schwarz-Grün? Oder ganz etwas anderes? Über mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl haben die Politologen Frank Decker und Eckhard Jesse einen Sammelband herausgegeben - und sind sich einig über das wahrscheinliche Szenario nach der Wahl.

Von Heribert Prantl

Der 22. September ist ein spannender Tag, weil ein Wahltag immer ein spannender Tag ist. Seine Spannung bezieht der Wahlsonntag daraus, dass es ja doch noch ganz anders kommen könnte als allgemein vorhergesagt. Wenn es dann doch in etwa so kommt wie vorhergesagt, aber weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb eine regierungsfähige Mehrheit erhalten - dann, ja dann wird es nach dem Wahltag spannend, wochenlang.

Dann nämlich muss das verhandelt werden, worüber jetzt keiner reden will: eine Koalition abseits des jetzt von den Parteien Gewünschten. Dann müssen Parteien, die im Moment noch sagen, das nicht tun zu wollen, über ihren Schatten springen.

Von den Voraussetzungen und den Bedingungen dieses Schattenspringens handelt der von den Politologen Frank Decker (Universität Bonn) und Eckhard Jesse (Universität Chemnitz) herausgegebene Sammelband. Er behandelt vergangene, gegenwärtige und zukünftige Koalitionsmodelle und zieht europäische Vergleiche. Hier wird man nachschlagen können, wenn man nach der Wahl über die dann wirklich oder vermeintlich möglichen und unmöglichen Koalitionen sachkundig reden will.

Große Koalition als wahrscheinliches Szenario

Die Herausgeber sind sich nicht einig über das wahrscheinliche Szenario nach der Bundestagswahl. Decker prophezeit eine neue große Koalition aus CDU/CSU und SPD, weil die SPD - wie zuletzt von 2005 bis 2009 - als Juniorpartner die Politik mitgestalten wolle und weil die Union die SPD, verglichen mit den Grünen, als bequemeren Partner empfinde.

Jesse dagegen prognostiziert Schwarz-Grün, weil die Christdemokraten auch wegen der anhaltenden Schwäche der FDP einen neuen Koalitionspartner gewönnen und weil die Grünen 15 Jahre nach ihrer letzten Regierungsbeteiligung wieder an die Macht wollten. Beides stimmt irgendwie - so wie es auch stimmt, dass scharfer Senf scharf und süßer Senf süß ist. Ob der eine oder der andere Senf passt, hängt von der Wurst ab. Das Buch gibt daher Anlass auch zu einigen Erwägungen, die darin nicht explizit vorkommen.

Schwarz-Grün: Das wäre gleichsam der große politische Knaller; das wäre, nach einem Wahlkampf ohne Wechselstimmung, ein fürwahr bemerkenswerter Regierungswechsel. Schwarz-Grün: Das wäre der Traum vieler Publizisten, die so viel zu schreiben und in Talkshows zu salbadern hätten wie schon lange nicht mehr: über Inhaltliches und Habituelles, über alte und neue Bürgerlichkeit. Schwarz-Grün: Das hat es bisher auch auf Länderebene nur einmal gegeben, in Hamburg 2008. Diese Koalition hielt nur zwei Jahre, nicht länger als die 2009 gebildete schwarz-grün-gelbe Koalition im Saarland.

Schwarz-Grün auf Bundesebene: Das wäre ein Bündnis, fast so spektakulär wie die erste sozialliberale Koalition von 1969, gezimmert von Willy Brandt und dem FDP-Vorsitzenden Walter Scheel. Die sozialliberale Koalition hielt dann 13 Jahre. Scheel mutete damals seiner FDP eine gewagte Kehrtwende zu; die war prickelnd und entsprach dem Zeitgeist, beutelte aber die FDP, es gab einen gewaltigen Mitglieder- und Wähleraustausch. Einen auch nur annähernd vergleichbar starken schwarz-grünen Zeitgeist gibt es heute nicht - und weder auf Seiten der CDU/CSU noch bei den Grünen gibt es Führungsfiguren, die für einen schwarz-grünen Geist stünden.

"Entzauberung" der Koalitionspartner

Es gibt allerdings Angela Merkel, die, wenn sie will, mit jedem kann: mit Müntefering, Sarkozy, Berlusconi, Westerwelle, Rösler und Claudia Roth; mit der SPD konnte sie von 2005 bis 2009, mit der FDP konnte sie von 2009 bis 2013, und sie kann notfalls mit den Grünen - von 2013 bis 20xx? Wahrscheinlich nicht sehr lang; dann hätte es die Grünen zerrissen.

Das wäre freilich auch ein Erfolg für Merkel; dann hätte sie, als erster Regierungschef der deutschen Geschichte, drei Koalitionen mit drei verschiedenen Koalitionspartnern gehabt und die letzteren jeweils an den Abgrund geführt; erst die SPD (bei der Bundestagswahl von 2009), dann die FDP (bei der Bundestagswahl von 2013) und dann auch noch die Grünen (bei der Bundestagswahl von, sagen wir 2015).

"Entzauberung" der Koalitionspartner nennen Kommentatoren diesen Vorgang oft. Der Preis, den die Union dafür zu bezahlen hat, ist die Entfärbung. "Die Union wird durch die Bündnisse mit unterschiedlichen Partnern programmatisch ausgezehrt", schreibt Eckhard Jesse. Die Union hat das bisher nicht registriert oder nicht registrieren wollen, weil sie Angela Merkel hörig ist, solange die ihr die Macht sichert.

Merkel, die "Frau ohne Schatten"

Schwarz-Grün: Die Grünen müssten dafür über ihren Schatten springen, Angela Merkel nicht; sie wirft keinen. Vor fast hundert Jahren stellte Hugo von Hofmannsthal eine "Frau ohne Schatten" auf die Opernbühne. Heute steht eine solche Frau auf der politischen Bühne und hat die Schattenlosigkeit zu ihrem Erfolgsrezept gemacht.

Die SPD fürchtet den Erfolg dieser Schattenlosigkeit, sie fürchtet, dass es Merkel gelingen könnte, ein schwarz-grünes Bündnis zumindest für so lange Zeit im Bund erfolgreich zu führen, dass sich "Nachzieheffekte" in den Bundesländern ergeben könnten (wie Decker und Jesse das nennen). Im Bundesrat hätte Schwarz-Grün allerdings, solange diese Nachzieheffekte nicht eingetreten sind - und so etwas dauert - keine einzige Stimme.

Die Aussichten, dass eine grüne Parteiführung, die einen Koalitionsvertrag mit der CDU schmiedet, auf dem Parteitag, der diesen Koalitionsvertrag genehmigen muss, mit dem Schmiedehammer verprügelt wird, sind erheblich größer als die auf solche Nachzieheffekte. Gleichwohl: In der SPD gibt es durchaus Angst davor, dass die Union aus dem Koalitionskäfig mit der FDP ausbrechen und so zu neuer Beweglichkeit gelangen könnte.

Die Angst davor ist so groß, dass eine neue große Koalition mit der Merkel-Union fast schon wieder ihren Schrecken zu verlieren beginnt - obwohl das Wahldesaster von 2009 der SPD noch in den Knochen steckt. Aber, so meint der Politologe Frank Decker in seiner schwarz-roten Vorhersage, der Absturz der SPD bei der Bundestagswahl von 2009 sei nicht zuletzt darauf zurückgegangen, dass sie bereits vorher sieben Jahre lang regiert und den Kanzler gestellt hatte.

Einmal geht alles vorüber- auch die Glückssträhne der Angela Merkel

In einer ähnlichen Situation würden sich 2017 die Unionsparteien mit Angela Merkel befinden, wenn sie bis dahin weiterregieren; Merkel wäre dann seit zwölf Jahre Kanzlerin. Das Motto, das aus Sicht der SPD für eine neue große Koalition spricht, stammt also aus einem Schlager: "Einmal geht alles vorüber, einmal geht alles vorbei" - die Glückssträhne der Angela Merkel und die Pechsträhne der SPD.

Andere strategische Überlegungen sind ein wenig komplizierter, diese zum Beispiel: Die SPD bleibt in der Opposition, wartet auf das mehr oder weniger schnelle Ende der neuen schwarz-grünen Koalition, um dann, mit den von der Union enttäuschten Freidemokraten und den von schwarzen Experimenten geheilten Grünen eine rot-gelb-grüne Ampelkoalition zu installieren - bei der FDP "unter der Ägide von Christian Lindner", dem, wie Eckhard Jesse meint, "als einzigem von den führenden FDP-Politikern ein solcher Schwenk zuzutrauen wäre".

Da unterschätzt er freilich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespann mit dem gerissenen Rainer Brüderle, der einst aus dem SPD/FDP-Bündnis in Rheinland-Pfalz eine Entente cordiale gemacht hat. Auf immerhin fünfzehn gemeinsame Regierungsjahre - von 1991 bis 2006 - haben es SPD und FDP in Mainz miteinander gebracht. Brüderle und Leutheusser-Schnarrenberger sind mehr als nur ein bisschen daran interessiert, die FDP aus dem Koalitionskäfig mit den Schwarzen zu befreien.

Dass sich die Piraten im Parteiensystem etablieren können, glauben Decker und Jesse nicht; dass die neu formierte eurokritische Alternative für Deutschland nicht nur FDP und Union "wertvolle Stimmenprozente kosten" könnte, glauben sie schon. Der Göttinger Politikwissenschaftler Stephan Klecha meint in seinem Beitrag, Minderheitsregierungen könnten, vor allem auf Länderebene, einen Ausweg weisen aus der im Fünfparteiensystem drohenden Blockade der Koalitionsbildung - und Alternative sein zu einer ungewollten großen Koalition.

Klecha verweist darauf, dass sich die Parteien einer Minderheitsregierung (siehe zuletzt die Erfahrung aus Nordrhein-Westfalen im Mai 2012) bei Neuwahlen recht gut behaupten können. Die größte Oppositionspartei CDU sowie die Linken haben damals ein Desaster erlebt.

Solche Verschiebungen, so Klecha, seien bei Minderheitsregierungen "durchaus oft" zu beobachten: Weder die jeweiligen Oppositionsparteien noch die Forschung hätten nämlich bisher eine Antwort darauf gefunden, wie man als Opposition einer Minderheitsregierung entgegentreten soll, um bei anschließenden Wahlen erfolgreich zu bestehen.

Der dicke Sammelband ist ein anregendes Kompendium kluger Analysen für alle erdenklichen politischen Konstellationen. Die bekannte Phobie des Mitherausgebers Jesse gegenüber der Partei Die Linke findet nur in ein paar Fußnoten statt.

Frank Decker, Eckhard Jesse (Hrsg.): Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der Bundestagswahl 2013. Nomos Verlag, 2013. 669 Seiten, 98 Euro.

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