Mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl:Merkel wird es richten müssen

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Wem wird Kanzlerin Merkel nach der Wahl wohl die Hand reichen? (Foto: Getty Images)

Wenn es nach der Wahl weder für Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb reicht, ist Deutschland im Grunde nicht regierbar. Denn alle anderen Optionen hat irgendwer schon ausgeschlossen. Dahinter steckt die Angst der Parteien, sich ansonsten kaum mehr zu unterscheiden.

Eine Analyse von Thorsten Denkler, Berlin

Es kann gut sein, dass es nach der Bundestagswahl noch mal knapp reicht für Schwarz-Gelb. Dann dürfte Kanzlerin Angela Merkel einfach fröhlich weiterregieren mit gestutzten und domestizierten Liberalen. Und vielleicht wäre das auch die einzige Chance, die den Deutschen angeblich so wichtigen stabilen Verhältnisse zu garantieren. Denn Gott bewahre, wenn es dafür nicht reicht! Dann wäre Deutschland geradezu unregierbar. Zumindest gemessen an der pünktlich zur Wahl aufkommenden Ausschließeritis, die die Parteien mal wieder befallen hat.

Die demokratischen Parteien sollen untereinander immer koalitionsfähig sein. Dieser schöne Grundsatz ist in Wahrheit nur ein Lippenbekenntnis. Schauen wir uns die rechnerischen Optionen neben Schwarz-Gelb mal an:

  • Rot-Grün: Wollen zwar SPD und Grüne. Unbedingt, wie sie versichern. Aber dass es dafür reichen könnte, dafür bedarf es schon eines Wunders. Und die sind eher selten in der Politik.
  • Schwarz-Grün: Könnte sich Merkel vielleicht vorstellen. Im Zweifel wäre ihr ohnehin ziemlich egal, wer sie zur Kanzlerin wählt. Aber die Grünen wollen partout nicht. Ihr Spitzenkandidat Jürgen Trittin hat eine Koalition mit CDU und CSU kürzlich erst wieder ausgeschlossen.
  • Große Koalition: Auch hier würde Merkel es machen. Aber die SPD will nicht. Unter Merkel will er nichts werden, erklärt deren Kanzlerkandidat Peer Steinbrück jedem, der ihn danach fragt. Und das gelte auch für die SPD insgesamt, die nicht zum "Steigbügelhalter für Frau Merkel" werden wolle. Manch ein Sozialdemokrat behilft sich gar mit einer absurden Bedingung: Große Koalition geht nur wenn a) die SPD den Kanzler stellt (ziemlich unwahrscheinlich, siehe Wunder in der Politik), oder b) Merkel auf die Kanzlerschaft verzichtet. Das ist jedoch noch unwahrscheinlicher als ein Wunder.
  • Rot-Rot-Grün: Will die SPD nicht, kann die Linke nicht. Wird also auch nichts. Nicht mal auf die theoretische Möglichkeit der Tolerierung will sich jemand einlassen. Die Linke will sich sie sogar per Beschluss verbieten.
  • Rot-Grün-Gelb: Da macht die FDP nicht mit.Sie will noch vor der Bundestagswahl auf einem Parteikonvent in Mainz die Option formell ausschließen.
  • Schwarz-Gelb-Grün: Das ist nichts für die Grünen. Und für die FDP auch nicht. Erst kürzlich hat FDP-Chef Philipp Rösler so ein "Jamaika"-Bündnis ausgeschlossen. Nach dem Scheitern einer derartigen Konstellation im Saarland will davon niemand mehr was wissen. Bis auf die Kanzlerin vielleicht.

Damit hat sich die versammelte politische Elite im Land praktisch handlungsunfähig geredet für den nicht ganz unwahrscheinlichen Fall, dass weder Union und FDP noch SPD und Grüne zusammen eine eigene Mehrheit bekommen. Manch ein Politiker scheint zu glauben, das Abendland würde untergehen, wenn mal Parteien miteinander koalierten, die nicht zu den üblichen Lagern gehören. So eine Koalition stünde zudem umgehend unter Wortbruch-Verdacht.

Allein: Einen erkennbaren Grund dafür gibt es nicht. Von den Linken mal abgesehen, die weder regieren wollen, noch es programmatisch könnten, sind alle anderen Parteien inhaltlich längst nicht mehr so weit entfernt voneinander wie noch vor 20 Jahren. Die CDU ist so dermaßen Mitte, dass sie schnell mit der SPD verwechselt werden kann und umgekehrt. Grüne und FDP unterscheiden sich noch in Habitus und Kultur. Aber dass die inhaltlichen Linien keine Kompromisse möglich machen würden, lässt sich aus den Programmen nicht ohne weiteres ableiten.

Angst vor der eigenen Unkenntlichkeit

Es ist wohl die blanke Angst vor der eigenen Unkenntlichkeit, die die Parteien in die rhetorische Abgrenzungsfalle laufen lässt. Inhaltlich sind zwar alle so angepasst, dass selbst die FDP den Atomausstieg mitträgt, die CDU die Wehrpflicht abschafft, die Grünen sich die Option auf Militärschläge offenhalten, die SPD sich als Partei der Infrastruktur präsentiert und ansonsten Sozialleistungen verteidigt, die Konservative wie Bismarck und Adenauer ersonnen und umgesetzt haben. Aber miteinander regieren? Igittigitt!

Das ist keine sonderlich kluge Haltung. Ob der Spitzensteuersatz bei 43 oder 49 Prozent liegt, davon hängt nicht wirklich das Wohl und Wehe des Landes ab. Es ist ein bisschen so wie die Wahl des Frischkäses im Kühlregal. Es gibt viele Sorten. Und doch ist überall nur Frischkäse drin. Geschmacklich trennen sie nur Nuancen voneinander. Die Verpackungen aber signalisieren, der einzig wahre Frischkäse stecke nur in dieser. Ausgeschlossen, dass der eine Frischkäse sich mit dem anderen vermengen dürfte.

Weniger Frischkäse und etwas mehr Pragmatismus würden der deutschen Politik gut tun. Angela Merkel macht das vor. Sie ist interessiert an Lösungen für akute Probleme. Ob sie die mit der FDP, der SPD oder irgendwann mal vielleicht mit den Grünen sucht, ist ihr herzlich egal. Schlimmer als mit der CSU kann es ohnehin nicht sein.

Also, keine Sorge, auch wenn es nicht reicht, für Schwarz-Gelb oder Rot-Grün, wird das Land weiter regiert werden. Merkel wird schon die richtigen Angebote machen. Denn am Ende wissen alle Beteiligten: Wenn es etwas gibt, was wirklich und überhaupt gar nicht geht, dann sind das Neuwahlen, weil sich Politiker nicht auf eine Koalition verständigen können. Das wäre der Sieg des Frischkäse-Prinzips über die Politik.

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