Süddeutsche Zeitung

Narendra Modi:Ein Premier, der Moskaus Kunde ist

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Warum sich der indische Regierungschef und sein Land in der UN-Generalversammlung bei der Verurteilung Russlands wohl der Stimme enthalten haben.

Von David Pfeifer

Es sind keine einfachen Zeiten für Indiens Premierminister Narendra Modi, 71. Als hätte er nicht im eigenen, riesigen Land Probleme genug, kommt nun auch noch die Geopolitik dazu. Gleich zwei Mal hat sich Indien bei den Vereinten Nationen der Stimme enthalten, als es darum ging, Russlands Vorgehen zu verurteilen. Dabei findet das Land sich plötzlich in der ideologischen Nachbarschaft von Peking wieder, mit dem es sich sonst im Dauerclinch befindet. Normalerweise sucht Modi die Nähe zu Washington, unabhängig davon, wer gerade im Weißen Haus sitzt. Die USA bleiben der größte Verbündete gegen den bedrohlichen Nachbarn China - neben Russland. Die Situation ist also kompliziert.

Erst vor knapp drei Monaten gingen Bilder eines Gipfeltreffens von Narendra Modi und Wladimir Putin durch die Nachrichten. Putin war am 6. Dezember nach Delhi gekommen, um Gespräche über Handel und Verteidigungspolitik zu führen. "In den vergangenen Jahrzehnten war die Welt Zeuge vieler grundlegender Veränderungen und verschiedener geopolitischer Gleichgewichte, doch die Freundschaft zwischen Indien und Russland blieb konstant", sagte Modi bei dem Treffen. "Wir sehen Indien als eine Großmacht, eine befreundete Nation und einen bewährten Freund", gab Putin zu Protokoll.

Indien importiert knapp zehn Prozent aller Waffen weltweit

Es wurden mehrere Handels- und Rüstungsabkommen unterzeichnet. Das China-Geschäft mit Stahl, Kohle und Energie ist zu bedeutend, um sich wirtschaftlich von dem Nachbarn lösen zu können; die indische Verteidigung wiederum hängt entscheidend von Waffenlieferungen aus Russland ab. China und Indien, die beiden bevölkerungsreichsten Nationen der Erde, belagern sich an der unscharf gezogenen Grenze im Himalaja, seit mehr als einem Jahr mit mehr als jeweils 100 000 Soldaten. Umso bizarrer, dass Indien nun mit seiner Enthaltung bei den Vereinten Nationen in einer Ecke mit China steht.

Indien ist mit einem Anteil von knapp zehn Prozent einer der größten Waffenimporteure weltweit - und Moskau ist seit Langem der größte Lieferant Delhis. Ein Waffendeal im Wert von etwa fünf Milliarden Dollar wurde bereits 2018 beschlossen und hatte zu Verstimmungen mit den USA geführt. Dass er nun umgesetzt werden kann, erscheint derzeit unwahrscheinlich: Die Lieferungen müssten ja bezahlt werden, und wie sollte dies angesichts der Sanktionen möglich sein? Doch Indien braucht die Waffen, um seine Armee zu modernisieren.

4000 Inderinnen und Inder studieren in der Ukraine

Zwei Mal hat Narendra Modi in den vergangenen Tagen schon bei Wladimir Putin angerufen, berichtete die Hindustan Times am Donnerstag. Dabei drang Modi auf eine Einstellung der Gewalt, vor allem in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Etwa 4000 indische Studenten sind in der Ukraine gemeldet, die meisten von ihnen in Charkiw. Ein Medizinstudent kam am Dienstag bei einem Bombardement ums Leben, als er Essen besorgen wollte, für sich und die Menschen, mit denen er sich in Deckung gebracht hatte. Die indische Botschaft hat alle Inderinnen und Inder aufgefordert, die umkämpften Städte zu verlassen und sich in anderen Regionen in Sicherheit zu bringen, bis sie aus dem Land gebracht werden können.

Derweil geht in Indien der Wahlkampf im größten Bundesstaat Uttar Pradesh zu Ende, nach zwei Jahren Pandemie und einem Jahr Streit mit den Bauern. Ausgezählt wird erst kommende Woche, doch selbst wenn Narendra Modi und seine Bharatiya Janata Party sich in dem Bundesstaat an der Macht halten können, wird er Verluste hinnehmen müssen, auch was seine persönlichen Zustimmungswerte angeht. Eines der Wahlversprechen seiner Partei war vor der Wiederwahl im Jahr 2019, dem Bundesstaat Jammu und Kaschmir die Autonomie abzuerkennen. Die Opposition wurde unter Hausarrest gestellt, das Militär versucht seitdem, den Widerstand auszuschalten. Vielleicht ein weiterer Grund, weshalb man Moskaus Angriffskrieg aus Delhi nicht scharf verurteilen wollte.

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